"FridaysforFuture wird bedeutender als 68er"

Klimaproteste Im Interview zur Neuerscheinung 'Neuordnung' werden 'Fridays for Future' und die 68er thematisiert. Interviewer: Mathias Lohr, Interviewpartner: Prof. Dr. Klaus Moegling

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Interviewvom 17.6.19 (mit freundlicher Genehmigung der Niedersächsisch-Hessischen Allgemeinen (HNA))

Der Kasseler Politologe Klaus Moegling war schon als 68er auf der Straße. Nun freut sich der 66-Jährige über die Proteste von Fridays for Future. Sein neues Buch passt perfekt zur Bewegung.

Das neue Buch des Kasseler Politikwissenschaftlers Prof. Dr. Klaus Moegling macht Hoffnung. Wir sprachen mit dem 66-Jährigen über „Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich“ (Verlag Barbara Budrich). (…)

Schon der Buchtitel klingt nach einer Mammutaufgabe. Sie sagen, Sie ziehen nach "50 Jahren in Friedens-, Umwelt- und Bildungspolitik" eine Art Bilanz. Ist das Buch so etwas wie Ihr Lebenswerk?

In politikwissenschaftlicher Hinsicht auf jeden Fall. Dieses Buch soll immer weiter entwickelt werden. Die Dinge sind in Bewegung. Das muss immer neu eingeordnet und aktualisiert werden. Dies ist bereits nach wenigen Monaten die 2. erweiterte Auflage.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass "eine neue Radikalität im zivilgesellschaftlichen demokratischen Engagement notwendig" sei. Wie sehr freuen Sie sich über die Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung?

Ich habe schon ein paar Mal selbst an den Demonstrationen teilgenommen. Und auf dem letzten großen Streiktag im Mai durfte ich vor 2500 Schülern eine Rede halten. Die Bewegung ist absolut wichtig, aber sie ist erst der Anfang. Angesichts der zu erwartenden ökologischen Bedrohung, der wachsenden sozialen Ungleichheit und der Kriegsgefahr wird es zu weiteren Bewegungen kommen.

Das muss Sie an die 68er-Bewegung erinnern, die Sie selbst noch erlebt haben.

Ja, in meiner Rede vor dem Kulturbahnhof habe ich den Schülern erzählt, wie wir 1968 an der Albert-Schweitzer-Schule den Unterricht bestreikt haben mit einem Sit-in gegen den Vietnam-Krieg auf dem Ständeplatz. Dafür gab es unglaublich viel Beifall. Ich glaube, die neue Bewegung wird noch bedeutender als die 68er. Dazu muss Fridays for Future allerdings mit der Friedensbewegung und dem Protest gegen soziale Ungleichheit zusammenfinden.

Kriege, Armut, Artensterben, Klimakrise - welches der vielen Probleme, die die Menschheit beschäftigen, ist Ihrer Ansicht nach das wichtigste?

Die massivsten Auswirkungen haben sicher die bereits einsetzende Klimakrise und die zu erwartende ökologische Katastrophe, wenn in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht deutlich umgesteuert wird, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Allerdings ist es auch dramatisch, dass ein Prozent der Weltbevölkerung derzeit so viel Vermögen besitzt wie die anderen 99 Prozent. Wie soll man diese beiden Probleme gegeneinander abwägen? Auch die Kriegsgefahr steigt wieder für uns angesichts der Aufkündigung der Abrüstungsverträge und der massiven Aufrüstung. Zudem ist die Demokratie weltweit auf dem Rückzug. Es gibt immer mehr autokratische Systeme, und Bürgerrechte werden ausgehöhlt. Daher brauchen wir als Gegengewicht unter anderem eine Stärkung und Demokratisierung der Vereinten Nationen sowie ein demokratisches Weltparlament.

Sie fordern nicht nur eine Veränderung von übergeordneten Strukturen wie der UN, sondern betrachten die Gesellschaft ganzheitlich. Was kann der Einzelne tun für eine positive Entwicklung?

Der Einzelne muss sich organisieren und vernetzen. Hier bieten sich zunächst die demokratischen Parteien an. Es gibt darüber hinaus so viele Initiativen und Nichtregierungsorganisationen. Überall kann man mitarbeiten und sich engagieren. Jeder einzelne hat einen kleinen Einfluss, der sich summiert und einen systemischen Synergieeffekt haben kann. Gebildete und ethisch geleitete Menschen können dafür sorgen, dass eine Neuordnung mit einer sozialökologischen, demokratischen und friedensstiftenden Qualität entsteht.

Viele sagen aber: "China und die USA sind doch die viel größeren Klimasünder. Warum sollen wir denn dann anfangen? Das bringt ja eh nichts." Wie kann man da noch argumentieren?

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als vorbildlich vorauszugehen. Deutschland muss zeigen, dass eine ökologisch ausgerichtete Wirtschaft auch gerecht sein und sich ökonomisch rechnen kann. Das wird ausstrahlen.

Für einen Politikwissenschaftler beziehen Sie in der Praxis sehr eindeutig Stellung.

Politikwissenschaft ist nie objektiv. In die Analysen und Urteile fließen immer Werte mit ein. Ich mache diese Werte transparent. Politikwissenschaft, die so tut, als sei sie eine objektive Naturwissenschaft, ist meiner Ansicht nach nicht zeitgemäß. Heute muss man Partei ergreifen.

Sie waren einst in der SPD. Warum sind Sie ausgetreten?

Ich bin zu Zeiten von Willy Brandt in die SPD eingetreten und habe mich in Arbeitsgemeinschaften mit Energie- und Bildungspolitik beschäftigt - auch auf Landes- und Bundesebene. Über viele Jahre habe ich Dinge angemahnt. Hartz IV und die Vernachlässigung des ökologischen Aspekts zum Beispiel habe ich immer kritisiert. Aber es hat sich wenig getan. Darum bin ich vor fünf Jahren schweren Herzens ausgetreten. Wenn Expertisen meist nur im Papierkorb verschwinden, macht es wenig Sinn, sich zu engagieren. Die SPD müsste sich demokratisieren und mehr auf ihre Arbeitsgemeinschaften und engagierten Mitglieder hören.

(…)

Zum Buch:

Klaus Moegling

Neuordnung.

Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich.

Analyse, Vision und
Entwicklungsschritte aus einer holistischen Sicht.

ISBN 978-3-934575-73-8, 277 Seiten, 24.80 EUR, Opladen, Berlin & Toronto: Verlag Barbara Budrich (zuerst erschienen: Prolog-Verlag), 2018, 2. aktualisierte und erweiterte Auflage 2019.

Zu bestellen über info@budrich.de, https://budrich.de/ und im Buchhandel oder über Amazon

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Geschrieben von

Klaus Moegling

apl. Prof. Dr. habil. i.R., Pol.wiss. u. Soziologe, Autor von 'Neuordnung', https://www.klaus-moegling.de/aktuelle-auflage-neuordnung/

Klaus Moegling

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