Jammern und Stoizismus

Jammern, Stoizismus Gedanken zu: "Heult doch !" (16/2021)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wenn Agatha Frischmuth in "Heult doch !" das Jammern zur Systemkritik adelt und gleichzeitig im Stoizismus ein duldsames Ertragen sieht, möchte ich eine weitere Perspektive ergänzen. Ich stimme der Autorin zu, Jammern kann für die Einzelne, den Einzelnen im Moment des gefühlten Schmerzes heilend sein, mehr aber auch nicht.

Ist es nicht vielmehr so, dass Jammern noch nie die eigene Situation verbessert hat. Wenn ich jammere beklage ich scheinbare Machtlosigkeit - das mag im persönlichen Einzelfall auch einmal heilend sein - als Haltung läßt es Selbstverantwortung vermissen. Sich mit der Stoa zu befassen, die eigene Lebenssituation also ruhig ertragen, um zu erkennen welche Veränderungen jetzt nötig sind und welche Veränderungen Zeit und Vorbereitung benötigen, sind Zusammenhänge, die die Stoiker:innen interessieren.

Jammern und Beklagen können dabei der erste Schritt auf dem Weg zur Veränderung sein, sind aber auf Dauer verzichtbar. Mit etwas Übung erkenne ich Dinge die ich verändern will, ohne mich vorher darüber beschweren zu müssen. Ohne Zweifel müssen Menschen unterschiedliche Situationen ertragen, kommen unverschuldet in prekäre Situationen und benötigen Hilfe. Hilfe, die auch ohne Jammern der Betroffenen geleistet werden sollte - von mir, von dir, von uns allen, die wir privilegiert über verschiedenste Lebenssituationen nachdenken können ohne dabei echte existenzielle Ängste ertragen zu müssen.

Ich bleibe dabei: Jammern allein ist zuwenig, Jammern taugt zu nichts anderem als um Mitleid zu buhlen. Dies wiederum zeigt den absoluten Mangel an Mitgefühl in der Gesellschaft auf. Jammern ist also das Symptom, soziale Kälte und Egozentrik die gesellschaftlichen Krankheiten.

Wir sollten uns zu einer Gesellschaft entwickeln, die ein Jammern überflüssig macht, mehr Gemeinwohl, weniger Konkurrenz, mehr Selbstverantwortung - auch Verantwortung dafür, dass andere Menschen ebenfalls in Frieden und Freiheit leben können.

Mich mit dem Stoizismus zu beschäftigen hat mich erkennen lassen, dass es im Leben um Akzeptanz und Veränderung, niemals um Stillstand und leidvolles Ertragen geht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden