Realitätsabgleich

Gesellschaft Jede Gesellschaft hat die Politiker:Innen, die sie verdient

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Wir sollten uns nicht beschweren. Nicht über die Wahl, den fürchterlich-inhaltsleeren Wahlkampf, nicht über unser politisches Personal. Denn sind wir mal ehrlich: Jede Gesellschaft hat die Politiker:Innen die sie verdient. Nach beinahe 16 Jahren GroKo, 16 Jahre der Stagnation und des Bewahrens, 16 Jahre „bloß keine Experimente“, wählen immer noch die Hälfte aller Wähler:Innen erneute die GroKo. Wahnsinn. Aber was uns von den anderen Parteien, namentlich der FDP und den Grünen angeboten wird ist ebenfalls ernüchternd. War schon die FDP in den letzten Jahrzehnten kein Quell mutigen Wandels, so sind auch die Grünen endlich im Mainstream der Beliebigkeit angekommen. Risikoscheu, bloß nicht stolpern auf den letzten Metern, so präsentieren sie sich bei den Sondierungs- und Koalitionsgesprächen. Dass man sich dabei vom Tempolimit beinah widerstandslos verabschiedet hat ist mehr als nur ein symbolisches Opfer. Wir wären endlich einmal ins Handeln gekommen anstatt immer neue, ehrgeizigere Ziele zu formulieren. Um sie erneut nicht zu erreichen. Auf den Punkt gebracht:Ein Tempolimit kostet nichts, kann sofort umgesetzt werden und spart soviel Emissionen wie der gesamte deutsche Binnenflugverkehr erzeugt.Aber es kommt noch ernüchternder. Das Verhalten von Annalena Baerbock und Robert Habeck offenbart,dass auch die Grünen noch nicht verstanden haben um was es geht.

Der Klimawandel ist keine Krise, denn die klimatischen Verhältnisse kehren nicht mehr auf ein „Vor-dem-Klimawandel“ Niveau zurück - das ist sicher.Und gerade die Rückkehr in einen vorherigen Normalzustand ist ja ein wesentliches Merkmal einer Krise. Egal ob Finanz-, Immobilen- oder Ölkrise.Aber viel wesentlicher ist die Tatsache, dass wir es beim Klimawandel mit einem Naturverhältnis zu tun haben. Das Klima ist kein fühlendes oder denkendes Wesen. Das Klima tauscht keine Argumente aus. Dem Klima sind unsere Beschlüsse und Ziele egal. Wir können das Klima durch unser Verhalten nicht beeindrucken. Das Klima ist einfach. Naturereignisse wie im Ahrtal oder in der Voreifel diesen Jahres sind kein Weckruf. Man kann vor nichts warnen, was bereits da ist. Nein. Dieser Zustand bleibt. Die Naturverhältnisse haben sich verändert und werden sich weiter verändern, ob wir wollen oder nicht. Und auch ehrgeizige Ziele wie nationale CO2-Neutralität bis 2045 oder auch globale CO2-Neutralität bis 2050 ändern daran nichts, denn: wir werden sie nicht erreichen, unsere Ziele. Trotzdem sollten wir alles versuchen. Bloß, wir kommen einfach nicht ins konkrete Handeln.

So gut wie jede ökologische Maßnahme endet in einem Zielkonflikt.Auf der einen Seite der Bau von Windrädern, auf der anderen Seite Abstandsregelung und Lärmbelästigung. Auf der einen Seite Ausstieg aus der Kohle, auf der anderen Seite Verlust von Arbeitsplätzen. Auf der einen Seite autofreie Städte, auf der anderen Seite grenzenlose Individualmobilität. Wenn aber Lösungen regelmäßig zu Zielkonflikten führen, sollten wir nicht ständig nach besseren Antworten suchen. Wir sollten uns endlich die richtigen Fragen stellen. Wenn wir ständig nur optimieren oder ersetzen nach dem Motto: Noch effektiver, noch schadstoffärmer, noch schneller, Elektroantrieb anstatt fossil, verlassen wir nie den eingeschlagenen Pfad und kommen nicht an den Punkt, wo das eigentliche Falsche korrigiert werden kann. Sämtliche Lösungsstrategien, die politisch wie gesellschaftlich besprochen und diskutiert werden, drehen sich grundsätzlich um das Optimieren oder Ersetzten von vorhanden Prozessen. So sind der Umstieg auf den Elektroantrieb oder das autonome Fahren die größten Innovationen beim Thema Individualverkehr. Bestehende Lösungen, hier das Auto, werden immer weiter optimiert, aber nie grundsätzlich infrage gestellt. Das Prinzip des Frontalunterrichts wurde bereits vor 150 Jahren von Bismarck eingeführt und gilt auch heute noch als der Goldstandard.Nach wie vor sind die 3 wichtigsten Prinzipien von Schule: Autoritäten anerkennen, Fehler vermeiden und bloß nicht auffallen. Normal sein ist das Credo. Um im Bildungssektor als innovativ zu gelten genügt es Schulen mit schnellem Internet auszustatten, iPads zu verteilen und eine Konferenzplattform zu etablieren. Wir feiern Elon Musk’sE-Autofabrik nahe Berlin als Innovation, dabei hat Henry Ford seine erste Autofabrik bereits 1903 gegründet.

Unsere Utopielosigkeit ist geradezu grotesk.

Wir sollten als Gesellschaft, wir sollten jede:r einzelne von uns anerkennen, dass wir Kinder einer Konsumgesellschaft sind. Wir haben die Steigerungslogik, das Mantra ewigen Wachstums quasi mit der Muttermilch inkorporiert bekommen. Das macht es schwer sich davon zu lösen.

Sollten wir aber.

„Denn Wachstumswirtschaft kann keinen Frieden mit der Natur schließen.“ Harald Welzer hätte es im August 2021 auf der 50-Jahrfeier von Greenpeace nicht treffender sagen können. Wir sollten als Gesellschaft Frieden mit der Natur schließen. Wir sollten unser allgegenwärtiges Wachstumsmantra kritisch hinterfragen. Letztendlich ist Wachstum immer, Nachhaltigkeit hin oder her, immer nur ein beschönigender Ausdruck für einen erhöhten Ressourcenverbrauch.Verbote erschrecken uns, schränken sie uns doch in unserer Freiheit ein. Der Freiheitsbegriff, unsere gefühlte Freiheit ist dabei allzu oft die Freiheit zu konsumieren und zu produzieren. Uns empören Konsumverbote wie der Veggie-Day oder ein SUV-Verbot. Wir fühlen uns dadurch in unserer Freiheit eingeschränkt. Allerdings nützt sich Konsum schnell ab. Wir alle kennen das Glücks- und Freiheitsgefühl mit dem neuen Auto zu fahren oder das neue Smartphone zu streicheln. Aber bereits nach einigen Wochen fühlt es sich normal an. Der Zugewinn von Freiheit und Glück ist kaum mehr zu spüren. Dass Glückssteigerung nicht mit der Steigerung der Menge von Produkten korreliert hat schon Ludwig Erhard erkannt. Er machte sich bereits vor über 50 Jahren Gedanken über die „Zeit nach dem Güterwachstum.“

Damit die Wende zum Besseren gelingen kann, müssen wir öffentlich und laut über die Unvereinbarkeit unsere Kultur des permanenten Kaufens mit dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen diskutieren. Denn das ist die zentrale Frage des 21.ten Jahrhunderts. Die ökologische Frage. Während die letzten 170 Jahre die soziale Frage im Mittelpunkt von Politik und Gesellschaft stand und sogar Extreme wie den Nationalsozialismus oder den Sowjetkommunismus hervorgebracht hat, müssen wir uns im 21.Jahrhundert mit der ökologischen Frage auseinandersetzen. Hier entscheidet sich unsere Zukunft. Die Ökologie, unsere natürlichen Lebensgrundlagen, müssen das Fundament allen Handelns sein. Nicht die Ökonomie.Geben wir endlich der Post-Wachstums-Ökonomie mehr Gehöhr. Lassen wir uns von Initiativen wie der Gemeinwohl-Ökonomie inspirieren. Beginnen wir über unsere gesellschaftliche Zukunft laut nachzudenken. Erst wenn wir selbst beginnen mehr Verantwortung zu übernehmen, bekommen wir auch die Politiker:Innen, die unsere Kinder verdienen.

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