Vom Denken und Handeln

Veränderung Magisches Denken, Angst vor Veränderung

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„Das ist ja unmöglich, dass kann ich nicht glauben“, sagt Alice zur weißen Königin.
„Ich sehe, du hast keine rechte Übung Unmögliches zu denken. An einem guten Tag gelingt es mir fünf unmögliche Dinge noch vor dem Mittag zu denken“, erwiderte die weiße Königin.

Stellen wir uns nur für einen Moment vor, unsere Politiker:innen hätten die Haltung und das Bewusstsein der weißen Königin: „Wagen! Das Unmögliche denken!“Was wäre alles möglich.

Stattdessen können wir die Demontage unserer Regierung nahezu im Zeitraffer beobachten, nicht ganz unerwartet, ernüchternd allemal. Das derzeitige Versagen der Regierenden auf allen Ebenen kommt dabei nicht überraschend, es ist vielmehr die konsequente Folge mutloser, auf Erhalt und Bewahren reduzierter Politik. Anstelle von visionärem Handeln, das sich den Herausforderungen des 21.-ten Jahrhunderts stellt, verharrt Deutschland im Stillstand. Wenn zum einen Regieren vorallem als Mehrheitsbeschaffung und zum anderen politisches Gestalten größtenteils als Bewahrung des gesellschaftlichen „Ist“-Zustandes verstanden wird, findet man keine Antworten auf aktuelle und kommende Herausforderungen.

Angela Merkel’s Politik der kleine Schritte, der Moderation, unaufgeregt, uneitel und pragmatisch ist dem paternalistischen Führungsstil eines Gerhard Schröder sicher überlegen - gleichwohl fehlen ihrer konservativen Politik seit jeher 2 wichtige Merkmale: Mut und eigene Utopien.

Zudem ist die „Nur-keine-Experimente-Haltung“ Konrad Adenauer’s zum festen Bestandteil der DNA deutscher Politik geworden. Mehr noch: Deutschland’s Politik ist seit Bestehen dieser Bundesrepublik, die 10 Jahre SPD/FDP in den 1970-igern ausgenommen, immer von Unionspolitiker:innen oder Gerhard Schröder regiert worden, d.h. die Interessen der Wirtschaft sind traditionell sehr eng mit der politischen Willensbildung verbunden. Sie sind der Maßstab für politisches Handeln. Der Maßstab, dem alles andere untergeordnet wird. Ob Klima, Bildung, Mobilität, Integration, um nur einige zu nennen. Und ja, wirtschaftliche Interessen sind wichtigund müssen berücksichtigt werden, denn Wohlstand sowie das Gefühl eines unbedrohten Lebens sind wichtige Pfeiler einer funktionierenden Demokratie. Wir ständen als Land und Gesellschaft nicht da wo wir heute stehen ohne unsere enormen wirtschaftlichen Erfolge der letzten 70 Jahre. Die Vorzeichen, die äußeren Rahmenbedingungen haben sich aber verändert, die Welt hat sich verändert. Die Herausforderungen der Globalisierung, der Digitalisierung, und vorallem des Klimawandels fordern ein neues politisches Verständnis.

Deutschland ist mittlerweile die Meisterin im Verwalten. Zum Verwalten braucht es keine Utopien. Man ruht sich auf den Erfolgen des letzten Jahrtausends aus.Warum auch nicht?

Weil Verwalten allein noch nie eine gute Idee war. Verwalten will vorallem erhalten. Verwalten will keine Veränderungen. Verwalten will nicht gestalten. Verwalten hat Angst vor Neuem. Wenn nun die Eltern des Verwaltens, namentlich die Zuständigkeit und die Haftung, zusammen mit ihrem Sprößling untrennbarer Bestandteil deutscher Regierungspolitik sind, werden Situationen wie wir sie aktuell beobachten können erklärbar. Keine Selbstverantwortung im eigenen Handeln, Klientelpolitik, ein stetes „weiter so“ ohne Reflexion. Wann endlich tritt Andreas Scheuer zurück, wann endlich besinnt sich Frau Klöckner wieder ausschließlich auf ihre Kernkompetenz als Weinkönigin, wann endlich sehen wir Peter Altmaier in seiner Paraderolle als Kommisar Issel neben Micky Maus anstelle als Cheflobbyist der Wirtschaft, wann endlich löst Manuela Schwesig Gerhard Schröder im Aufsichtsrat von Gazprom ab, um sich ihr Lieblingsprojekt Nordstream2 vergolden zu lassen? „Wann endlich“ können wir auf viele weitere Felder aktueller Politik ausweiten - auf das Finanzministerium mit Scholz als CumEx, Wirecard und Harz 4 Verantwortlichen, auf die unglaublich reaktionäre Drogenpolitik von Frau Ludwig, auf das Innenministerium mit Seehofer als Bewahrer rechter Werte im Polizeiapparat, auf das Bildungsministerium mit Anja Karliczek als Protagonistin für einen Frontal-Schulunterricht wie vor 150 Jahren.

Wollen wir wirklich ein weiter so? Wollen wir wirklich den Politiker:innen, die über 16 Jahre Zeit hatten Veränderungen einzuleiten, sich dabei nicht bewegt haben und vielmehr sinnvolle Veränderungen wie ein Lobbyregister, nachhaltige Klimapolitik, eine sinnvolle und humane Flüchtlingspolitik, ökologische Landwirtschaft, die digitale Transformation, zeitgemäße Bildung oder zukunftweisende Mobilität blockiert haben, weiter unser Vertrauen schenken?

Warum sollten wir das tun?

Weil wir Angst haben, Angst vor zuviel Veränderung. Wir haben selbst vor einer „grünen“ Politik Angst. Einer Politik die zwar vordergründig „Alles verändern will“, aber nur damit „Alles so bleibt“. Allein diese Haltung wird nicht reichen um die Herausforderungen des 21.-sten Jahrhunderts zu meistern. Sie überfordert uns als Gesellschaft aber bereits und zeigt uns daszivilgesellschaftlich Machbare auf.

Mehr ist nicht drin, eher weniger.

Angst war noch nie ein guter Ratgeber. Wenn wir Angst haben beginnen wir zu klammern. Wenn wir Angst haben sehnen wir uns nach Markus Söder oder schlimmer, nach noch mehr Totalität und Abgrenzung in Gestalt der AfD.Dann geben wir uns mit dem kleineren Übel zufrieden, erdulden lieber anstatt für eine glückliche und erfüllte Zukunft zu werben und uns aktiv einzubringen. Je mehr wir befürchten Liebgewonnenes verlieren zu können, umso mehr wehren wir uns gegen Veränderungen - auch wenn diese unausweichlich kommen werden. Wir wenden dann allzuoft magisches Denken an: „Was nicht sein darf, wird auch nicht geschehen“ oder „ich möchte dass dies geschieht“ auch wenn es faktisch unmöglich ist. Beispiele für magisches Denken deutscher Politik sind unsere Drogenpolitik oder auch Harz 4. Obwohl die drogenpolitisch, restriktiven Maßnahmen seit Jahrzehnten zu gar keiner Verbesserung führen, wird ein Kurswechsel strikt abgelehnt. Obwohl die Harz 4 Maßnahmen die Spaltung unserer Gesellschaft fördern, den Niedriglohnsektor stützen und die Menschen gängeln anstatt sie zu unterstützen wird daran festgehalten.

  • Wann hast du zum letzten Mal magisch gedacht?
  • Wann hattest du Angst vor einer Veränderung?
  • Wann kannst du deine Angst überwinden und dich nicht mehr mit dem kleinsten Übel zufrieden geben?
  • Wann bist du bereit für echte Veränderung, selbst wenn du ein paar Privilegien abgeben mußt?

Mir hilft in Situationen, die mir Angst machen ein lautes und klares:
„Um was geht’s hier eigentlich?“ an mich selbst gerichtet.

Dadurch wird mein Blick meist wieder klarer. Ich erkenne dann, dass Loslassen zum Leben gehört, dass alles ständig im Fluss ist, dass Leben immer auch Chaos ist und durchexerzierte Ordnung, alles soll so bleiben wie es ist, für Tod und Sterben steht.

Wann hast du den Mut noch vor dem Mittag mindestens 2 unmögliche Dinge zu denken? Trau’ dich, selbst wenn es sich anfangs schwer oder komisch anfühlt. Denn erst wenn du an deine Wirkmächtigkeit glauben kannst, lebst du ohne zuviel Angst mit dem Vertrauen auf ein selbstbestimmtes Leben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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