Das Potenzial von Städtenamen

Musik Michaela Melián veröffentlicht nach „Baden-Baden“ und „Los Angeles“ ihr drittes Soloalbum „Monaco“
Ausgabe 40/2013
Das Potenzial von Städtenamen

Ausschnitt: Cover

Scary monsters/Super creeps/Keep me running/Running scared“. Die Zeile bildet den Refrain von David Bowies Song „Scary Monsters“ (1980). Michaela Melián hat ihn für ihr aktuelles Album Monaco neu eingespielt. Und ihre Version klingt bedrohlicher als das Original. Das liegt zum Teil an Meliáns tiefer Gesangstimme, die zusammen mit dem deutschen Akzent entfernt an Nico erinnert.

Es liegt jedoch auch an dem Zusammenhang, in dem der Song auf dem Album auftaucht. Die meisten Stücke sind instrumental, man hört Loops von Gitarre oder Klavier, stets wirkt das Spiel leicht verzögert. Wie ein Versuch, etwas zu beschreiben, etwas zu fassen, das sich einer genauen Zuschreibung entzieht. So wie die unscharfe Fotografie der Perlenkette auf dem Cover. Die Musik wirkt zugleich glamourös und melancholisch.

Schon der Name Monaco ist mehrdeutig. Unter diesem Namen firmiert ein Stadtstaat. In Italien nennt man aber auch München „Monaco di Baviera“. Ein Stück trägt den Titel „Promenadeplatz“. Doch man sollte sich von dieser Spur nicht täuschen lassen. Eine „Place Stalingrad“, wie ein anderes Stück heißt, gibt es nicht in Deutschland, wohl aber in Paris, Lyon und Brüssel.

Gedankliche Orte

Orte und ihre Geschichte spielen bei Melián eine große Rolle. Sei es in ihrer Musik oder den künstlerischen Arbeiten, die eng zusammenhängen. Ihre ersten beiden Soloalben heißen Baden-Baden und Los Angeles. Und genauso wenig wie bei Monaco handelt es sich dort um eine musikalische Beschreibung der realen Städte. Vielmehr wird hier mit Assoziationen gearbeitet und mit Subtexten. Die Namen der Städte werden so zu Bildern. Reale Städte werden unwirklich. Sie verwandeln sich in gedankliche Orte.

Anders verhält es sich in einigen künstlerischen Werken. Meliáns letzte Einlassung zum real-historischen München war 2010 das Hörspiel Memory Loops. Es wurde zum Hörspiel des Jahres gekürt. Auch hier erscheint München mehr als „scary“. Memory Loops ist eine webbasierte Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Jahren. Zu sehen ist ein Stadtplan von München, er ist mit mehreren hundert hellblauen Kringeln besetzt. An einigen Stellen überlappen sie sich stark. Jeder dieser Kringel markiert einen ganz bestimmten Ort im Stadtraum. Sie legen sich wie ein Netz über die Stadt. Jeder Punkt ist mit einer Erinnerung an die Zeit des Faschismus verknüpft. Gleichzeitig sind sie mit von Schauspielern gesprochenen Zeitzeugnissen verlinkt.

Man hört den Bericht von einer Beobachtung am Hauptbahnhof. Jemand erkennt einen Schulfreund wieder. Er wurde beim Diebstahl erwischt, war an den Füßen gefesselt und wartete darauf, nach Dachau gebracht zu werden. Das Gesprochene wird von Musik begleitet. Manchmal erkennt man kleine Sequenzen wieder, die auf Monaco verwendet werden.

Mit Meliáns Städtenamen sind viele Assoziationen verbunden. Baden-Baden: Schwarzwälder Provinz, Kurort, Casinos und Casper Hauser. Los Angeles: Hier ist die Filmindustrie zu Hause. Ein Ort als Bildmaschine. Mit München verbindet man, unter anderem, Räterepublik, Prunk und Spießertum. Wenn man will, kann man diese Dinge in den Stücken suchen. Nico jedenfalls kommt aus Köln, und David Bowie hatte die „scary monsters“ in Berlin, London oder New York gesehen, obwohl die eigentlich, wie es scheint, in Monaco zu Hause sind.

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