Die Eine mit dem Heiligenschein

Ausstellungen Bremen feiert Picassos Sylvette, Hamburg zeigt Anselm Feuerbachs Nanna. Musen stehen hoch im Kurs
Ausgabe 09/2014
Sylvette David, wie Pablo Picasso sie 1954 sah
Sylvette David, wie Pablo Picasso sie 1954 sah

Foto: Lars Lohrisch/ Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2014

In den fünfziger Jahren waren Musen selten geworden. Nach zwei Weltkriegen und dem Holocaust schien das bürgerliche Zeitalter vorüber. Und Figuren wie die Muse und das Künstlergenie gehörten dazu, mit ihrer klaren Ordnung, der Vorstellung integrer Subjekte und der Scheidung in Natur und Schöpfergeist.

Die klassische Moderne kannte sie noch, man denke an die Impressionisten und Symbolisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Anselm Feuerbach malte die Römerin Anna Risi als Iphigenie und Nymphe. Als Nanna, wie er sie nannte, den ewig Eifersüchtigen verließ, folgte ihr Lucia Brunacci nach. Zu sehen sind diese Musen-Bilder aktuell in der Hamburger Kunsthalle, die sie öffentlichkeitswirksam mit antikisierten Fotostecken von Karl Lagerfeld paart. Paul Gaugin fühlte sich von den jungen Frauen sehr inspiriert, die er im französisch-kolonialen Polynesien traf und malte. Kolonial war auch sein Blick auf die Modelle: Unverdorben lächeln sie von seinen Leinwänden, nackt unter Bäumen mit Blumen oder Südseefrüchten.

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Modell und Muse. Aktstehen für 80 Euro die Stunde ist eine idealfreie Sache, egal ob im Museumsatelier oder an der Volkshochschule. Überfrachtet von Idealvorstellungen hingegen ist die Idee der Muse, die, meistens weiblich, den männlichen Künstler beflügeln soll. Er erkennt in ihr, was immer er auch will, meist, was ihm fehlt, was er begehrt.

Bei einigen expressionistischen Malern wirken diese Ideale schon ein wenig angefressen. Bei Egon Schiele etwa, der aus seinen Modellen deren Hässlichkeit, Verletzlichkeit und Schuld destilliert. Auch er erkennt im Anderen sich selbst. Sich selbst als Modell behandelt er allerdings genauso. Für Schiele ist jeder gleichermaßen Material. Nicht nur die Eine, mit dem Heiligenschein.

An die nun aber will die aktuelle Ausstellung Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell in der Kunsthalle Bremen glauben. Pablo Picasso war schon Anfang 70, als seine Frau Françoise Gilot ihn 1953 verließ. Die beiden gemeinsamen Kinder nahm sie mit; ihre patriarchale Ehe legt sie einige Jahre später in ihren Memoiren offen. Picasso indes geriet darüber in eine Schaffenskrise.

Und so verwundert es nicht, dass Picasso sich bald darauf für eine 19-jährige Frau zu begeistern begann. Ihr Name war Sylvette David. Im Frühjahr 1954 entstanden zahlreiche Portraits. In der Presse schrieb man damals von der Pferdeschwanz-Phase. David trug der Mode dieser Jahre entsprechend einen bauschigen Pferdeschwanz und schulterfreie Oberteile. Der alte verlassene Mann fühlte sich inspiriert, von dem Besonderen des doch sehr allgemeinen Kindes seiner Zeit. Die FAZ spielt das Märchen mit, wenn sie schreibt: „Sylvette war anders. Sie war ein besonderes Mädchen. Das sah Picasso gleich.“

An den Bildern selbst sieht man: Picasso nutzte Sylvette, um zu zeigen, was er kann. Und so deklinierte er an ihr sein Repertoire aus 50 Jahren künstlerischem Schaffen durch. Er malt sie kubistisch und realistisch. Einmal malt er sie nackt. So hat er sie zwar nie gesehen, aber was macht das schon? Denn schließlich ist sie sein Geschöpf.

Die junge Frau bleibt sein Objekt, sein Werk. Gemalt mit einem Pinsel-Penis, wie der Autor Martin Büsser es einmal genannt hat. Anschaulich belegt das eine Episode: 1965 besuchte Sylvette David den Maler gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Und Picasso sagte: „Nun ja, das Gemälde ist stärker als Sylvette.“

Sylvette, Sylvette, Sylvette. Picasso und das Modell Kunsthalle Bremen bis 22. Juni 2014 Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models Hamburger Kunsthalle bis 15. Juni 2014

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