Filmkünstler, friss oder flieg

Ausstellung Für eine ganze Reihe aktueller Diskurse ist Harun Farockis Werk von fundamentaler Bedeutung. Im beschaulichen Oldenburg sind nun Klassiker und eine neue Arbeit zu sehen

Oldenburg ist eine beschauliche Stadt, keine Weltmetropole. Aktuell ist dort im Museum für Medienkunst, dem Edith-Ruß-Haus, eine Ausstellung des Film- und Videokünstlers Harun Farocki zu sehen, dessen Arbeiten sonst in eben diesen Weltmetropolen gezeigt werden. Allein in diesem Jahr stehen Ausstellungen in Venedig, Brüssel, Wien und Berlin an.

Berlin beispielsweise aber hat gar kein Museum für Medienkunst, einen solchen Schwerpunkt haben nur wenige Museen. In Deutschland gibt es noch das Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Auch keine Metropole. Das Ruß-Haus sichert Oldenburg als Kunststandort mehr als der dort geborene Horst Janssen.

Mit Harun Farocki feiert die neue Direktorin Claudia Gianetti ihren Einstand und setzt in vielerlei Hinsicht Maßstäbe. Farocki ist ein Künstler, dessen Name seit vielen Jahren in verschiedenen Kontexten ehrfürchtig fällt.

Geboren wurde Farocki 1944 in Nový Jičín, im heutigen Tschechien. Mitte der sechziger Jahre gehörte er mit Holger Meins zum ersten Jahrgang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB). Zu seinen ersten Filmen zählt Nicht löschbares Feuer, der sich mit dem Grauen des Einsatzes von Napalm durch das US-amerikanische Militär beschäftigt. Um den Zuschauern den Napalmbrand möglichst krass vor Augen zu führen, drückte Farocki eine brennende Zigarette auf seinem Handrücken aus: „Die Glut einer Zigarette hat 400 ° C, bei Napalm hingegen sind es 3000 ° C“.

Farockis Filme thematisieren immer auch ihre filmischen Voraussetzungen, die Wirkmächtigkeit von Bildern, die Konstruktion von Realität durch Bilder, aber auch die Verdrängung der Realität durchs Bild. Farocki interessiert sich sehr für die Entwicklung von Technologien. Er nutzt für seine Filme häufig fertiges Material, Aufzeichnungen von Überwachungskameras, animierte Instruktionsfilme und Computerspiele. Für zahlreiche Filmemacher ist er wegweisend, so arbeitet Farocki bei den Filmen seines ehemaligen Schülers Christian Petzold an der DFFB mit; für Diskurse wie die über Macht und Architektur, Herrschaft und Technik oder über den Wandel der Arbeit ist sein Werk von fundamentaler Bedeutung.

Funktionales Verhalten

Die Kuratorin Gianetti hat nun das Motiv des Spiels zum Thema der Ausstellung gemacht. Spiel wird als gesellschaftliches und kulturelles Phänomen verstanden, es folgt bestimmten Regeln, die eingeübt und befolgt werden müssen. Das Spiel wird so zu einem Gewaltverhältnis, zu einem Zwangszusammenhang.

In Farockis Klassiker Leben – BRD von 1990 kommt Spiel auf diese Weise zum Ausdruck. In 83 Minuten reiht der Film Szenen aneinander, in denen verschiedene Menschen unterschiedliche Verhaltensweisen einüben. Hebammenschülerinnen üben an einem Unterleibsmodell die Geburtshilfe, Kinder üben mit einem Verkehrspolizisten das Überqueren der Straße, künftige Manager simulieren Konferenzen. Die Szenen wirken grotesk und gleichzeitig unheimlich. Die Menschen werden den Dingen und einander fremd, obwohl sie gesellschaftliche Verkehrsformen erlernen. Alles Verhalten wird funktional.

Ein Spiel kann auch meinen: Überspielen einer schrecklichen Wirklichkeit. Im Eingangsfoyer des Ruß-Hauses stehen im Halbrund sechs große Leinwände. Darüber flirren Sequenzen aus so bekannten Spielfilmen wie Wim Wenders Falsche Begegnung, Rainer Werner Fassbinders Warum läuft Herr R. Amok? und Jean-Luc Godards Elf Uhr nachts. In allen Filmausschnitten sind verzweifelte Männer zu sehen, die kurz danach Selbstmord begehen werden. Sie drehen uns den Rücken zu, laufen in verlassene Straßen, setzen sich in ein Auto oder verkriechen sich in einem Zimmer. Der Schnitt ist hier nicht zeitlich, sondern räumlich. Erst in der Gegenüberstellung und Häufung wird dieser Akt des männlichen Selbstmordes sichtbar, wird erkennbar, dass er eine kulturelle Funktion erfüllen muss und kein Einzelereignis darstellt. Es ist der serielle Untergang des männlichen Filmhelden.

Das Spiel, in dem wir uns hier befinden, ist das der Geschlechteridentitäten. „Man kann sagen, dass der Film-Mann mit der Selbsttötung wettmacht, was ihm im Vergleich mit der Film-Frau an Gefühlstiefe und Expressivität fehlt“, schreiben Antje Ehmann und Harun Farocki über dieses Phänomen. Fressen oder Fliegen ist der Titel ihrer gemeinsamen Filminstallation von 2008. Ehmann ist eine ehemalige Schülerin von Farocki und seit 2001 mit ihm verheiratet. Viele ihrer aktuellen Arbeiten entstehen in Zusammenarbeit.

Fressen oder Fliegen ist jedoch mehr als nur der Titel einer Arbeit. Es bezeichnet eine Technik des Sezierens, Analysierens von Bildern, Medienwelten, schließlich der Kultur und Gesellschaft, derer Ehmann und Farocki sich bedienen: „Die einen zerlegen einen Vogel, um ihn zu fressen, die anderen, um herauszufinden, wie man fliegen kann“. Vielleicht liegt gerade in dieser Vorgehensweise die Radikalität. Farocki betont in Interviews häufig, dass er nicht gegen oder für die Bilder arbeitet, die er verwendet, keinen Krieg und keinen Propagandafeldzug führt, vielmehr zeigen möchte, was in dieser Welt vor sich geht. Der Vogel hingegen stirbt, wenn man bei diesem schönen Bild bleiben möchte, in beiden Fällen.

Die Subversion wirkt hier, indem das Verständnis des Spiels gleichzeitig die Grundlage zu seiner Zerstörung ist. Es wird eine Art Implosion erzeugt, die im neugeordneten Verhältnis zwischen dem Blick und dem Bild entsteht.

Ähnlich gehen Ehmann und Farocki in ihrer Bildschirminstallation Tropen des Krieges von 2011 vor. Die beiden Künstler haben wiederkehrende Momente aus unterschiedlichen Kriegsfilmen zusammengeschnitten. Hier sind es eher beiläufige, wenig heroische Dinge. So bekommen wir einen Soldaten nach dem anderen beim Betrachten eines Fotos seiner Freundin, beim panischen Telefonieren oder in Großaufnahme mit aufgerissenen Augen vorgeführt.

Die neueste Arbeit der Oldenburger Ausstellung ist Parallele von 2012. Farocki rekonstruiert hier die Entwicklung von Natur wie Bäumen, Feuer oder Wasser im Computerspiel von den siebziger Jahren bis heute; von der Auflösung in Quadrate zur räumlichen Erfassung. Auch hier setzt Farocki Impulse. Und plant eine Fortsetzung.

Farocki. Spiel und Spielregeln Edith-Russ-Haus für Medienkunst, Oldenburg. Bis 9. Juni 2013

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