Sekt für alle!

Schöne Videos Die türkische Künstlerin Şükran Moral arbeitet in ihren Performances mit den Privilegien der Männer. Mit Provokation hat das aber wenig zu tun
Ausgabe 25/2014

Seit den Polizeieinsätzen der Erdoğan-Regierung gegen die sogenannten Gezi-Proteste im vergangenen Jahr hat Kunst aus der Türkei ein Problem. Man erwartet nun geradezu, dass sie politisch ist. Besonders stark hat sich das bei der Istanbul Biennale im darauffolgenden Herbst gezeigt, die irgendwie politisch war und am Ende weder als Statement noch künstlerisch überzeugte. Anders gesagt: Wenn gesellschaftliche Freiheiten eingeschränkt werden, leidet auch die Autonomie der Kunst gegenüber den realpolitischen Geschehnissen. Der Jubel, dass sie dann endlich politisch wird, ist Unsinn. Der Druck, sich verhalten zu müssen, zeitigt selten große Werke. Etwas von diesem Dilemma steckt auch in der Retrospektive der türkischen Künstlerin Şükran Moral, die aktuell das Edith-Russ-Haus in Oldenburg zeigt.

Şükran Moral wurde 1962 in der Kleinstadt Terme am Schwarzen Meer geboren. Ihre Familie war sehr konservativ. So wurde ihr vom Vater nach der Schule eine weitere Ausbildung verwehrt. Şükran widersetzte sich ihm, arbeitete zunächst in einer Schneiderei, besuchte dann eine weiterführende Schule und studierte schließlich an der Kunstakademie in Ankara. 1989 zog sie nach Rom, wo sie sechs Jahre später ihren Abschluss als bildende Künstlerin machte.

Auf die Knie

Von diesen persönlichen Erfahrungen und der politisch-religiösen Lage in der Türkei ist Şükran Morals künstlerisches Schaffen geprägt. Selbst aus der Sicherheit heraus, sich neben Istanbul auch Rom zur Heimatstadt gewählt zu haben. Sehr plakativ zeigt das ihre aktuelle Videoinstallation Tales to a Young Girl (2014). In der unteren Etage des Russ-Hauses wurde ein schwarzer Kasten mit einem kleinen Schauloch errichtet, davor eine Bank. Um den kurzen Film sehen zu können, muss man niederknien, eine Demutsgeste. Man sieht eine gehäkelte Puppe, die ein kleines Mädchen darstellt. Zwei Hände greifen unter ihren Rock, die eine hält eine Rasierklinge, es fließt eine Menge Blut, die Hände holen ein kleines Stück Gummi ans Tageslicht. Dann fährt die Kamera an dem baumelnden Körper des Wollmädchens entlang. Von einem ihrer hängenden Füße ist der Schuh heruntergerutscht. Das Kind hat sich erhängt. Das Video erinnert an Aufklärungsclips, die im Kino laufen. Gut gemeint, aber plump. Dabei kann Şükran Moral, auch das ist in Oldenburg zu sehen, mehr. Gerade auch wenn sie im realen, gesellschaftlichen Raum interveniert. Diese Performances werden in Film und Foto dokumentiert.

Hochzeit zu viert

Eines dieser Videos ist Marriage with Three Men von 2010. Man sieht die beinahe 50 Jahre alte Künstlerin in einem weißen Hochzeitskleid mit drei jungen Männern bei einer Zeremonie. In einem kleinen Dorf innerhalb der kurdischen Provinz Mardin feiern sie zu viert Hochzeit. Sie tanzen traditionelle Tänze auf dem Dorfplatz. Wie bei einer echten Hochzeit sind zahlreiche Gäste anwesend, man sieht Kinder umherspringen, ältere Männer spielen regionale Instrumente, die Situation macht einen normalen und äußerst guten Eindruck. Die anfängliche Irritation des Betrachters über die drei Bräutigame schwindet schnell angesichts der Gelassenheit der Dorfbewohner. Die vier Vermählten gehen gut miteinander um. Ihre Blicke sind zärtlich und voller Stolz und Respekt. In dieser Region ist Mehrfachheirat üblich. Ältere Männer heiraten jüngere Frauen. Şükran Morals Performance reagiert auf diese Situation. Viel stärker aber als der direkte Eingriff in den Alltag des kleinen kurdischen Dorfes sind die Bilder, die hier evoziert werden. Denn diese Bilder stellen etwas infrage, sie bringen Verunsicherung und machen darüber Mut auf ein besseres, auf ein anderes Miteinander.

Die Kuratorin der Oldenburger Ausstellung, Claudia Giannetti, stellt im Katalog die Provokation als zentrales Moment bei Şükran Moral heraus. Moral aber ist nicht Mitglied von Femen, sie ist keine politische Aktivistin. Sie verändert die Wirklichkeit in einem symbolischen Akt. Um neue Selbstverständlichkeiten zu schaffen, muss man dafür sorgen, dass sie von einem Umfeld auch angenommen werden.

Dies gelingt Moral auch in ihrer Performance Hamam von 1997. Das Edith-Russ-Haus zeigt sie als Dreikanalinstallation. Man sieht die Künstlerin in einem traditionellen türkischen Badehaus, das Männern vorbehalten ist. Inmitten einer größeren Gruppe von ihnen sitzt sie auf heißen dampfenden Kacheln. Ähnlich wie bei der Dreierhochzeit verwandelt sich die Künstlerin auch hier keinesfalls in einen Mann. Sie nimmt vielmehr die Befugnisse und Gewohnheiten von Männern als Frau für sich in Anspruch. Sie lässt sich den Körper abschrubben, mit Obst füttern und Sekt nachschenken. Die auf drei Monitoren parallel laufenden Bilder verstärken sich gegenseitig. Man sieht schwitzende nackte Körper, dann Close-ups von Händen, Mündern, Brüsten. Die Szene wird ekstatisch. Şükran Moral provoziert nicht. Alle verhalten sich ganz normal. Es ist die Schönheit dieser neuen Normalität, die provoziert.

Şükran Moral. B(r)yzanz, Edith-Russ-Haus für Medienkunst Oldenburg, bis 31. August

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