Wu Ming ist viele

Verwirrspiel Ein linkes Autorenkollektiv aus Italien schreibt ausgerechnet mit historischen Romanen gegen die Utopielosigkeit der Gegenwart an
Ausgabe 43/2013

Ihr Name ist ein Wortspiel. Es stammt aus dem Chinesischen und bedeutet, je nachdem wie man es betont, „anonym“ oder „5 Namen“. Wu Ming, so nennt sich ein linkes italienisches Autorenkollektiv. Ihre bürgerlichen Identitäten halten die fünf Erzähler aus der Öffentlichkeit heraus. Wu Ming wirkt wie der wirkliche Name einer wirklichen Person. So richtig mit Vor- und Nachnamen. Zumindest klingt es außerhalb von China so. Und was weiß man hier schon über chinesische Namen?

Falsche Schnäuzer

Mit ihren Gesichtern halten es die Autoren ähnlich. Und so gibt es auch keine Porträt-Bilder, auf denen die Wu Mings zu sehen wären. Obwohl: Bilder, die Wu Ming zeigen, gibt es schon. Die sind aber ebenfalls Teil des Verwirrspiels. Früher waren fünf Bühnentänzer aus den zwanziger Jahren zu sehen, mit ausradierten Gesichtern. Seit Mitglied Wu Ming 3 die Gruppe verlassen haben soll, zeigen sie vier Gestalten in altmodischen Anzügen mit dem Gesicht von Gamal Abdel Nasser.

Das Spiel mit Nonsens-Identitäten ist nicht neu. Musiker wie die Residents bedienen sich ihrer seit den sechziger Jahren. Bei Wu Ming ist der Kollektivname allerdings eine politische Strategie. „Wir wollen weg von dem autoritären Geniekult des Schriftstellers“, sagt Mitglied Wu Ming 2. Die gemeinsame Produktion von Literatur basiert für ihn auf dem Gedanken der Solidarität. Da scheint eine Analogie zum realen sozialen Kampf auf. Wann immer in der Literatur gemeinsam produziert wird, steht allerdings das Experiment im Vordergrund, man denke nur an die Futuristen oder die Beatniks. Die künstlerische und literarische Produktion, der Umgang mit Fantastik ist es dann auch, der Wu Ming von anderen politischen Kollektiven unterscheidet, wie etwa dem Comité invisible, das mit dem Manifest Der kommende Aufstand bekannt wurde.

Die Mitglieder der heutigen Wu-Ming-Gruppe sind seit den Neunzigern aktiv, damals noch unter dem kollektiven Namen Luther Blissett. Anders als Wu Ming agierte Luther Blissett direkt politisch. Von Kommunikationsguerilla war die Rede. Lange bevor es den ersten Flashmob gab, kaperte die Gruppe in Bologna Nachtbusse und funktionierte sie in fahrende Diskos um. Die Idee einer kollektiven Identität steht dem bürgerlichen Ideal der einheitlichen individuellen Identität unversöhnlich gegenüber. Das Vertragsverhältnis, auf dem Recht und Tausch basieren, ist mit einer kollektiven Identität nicht zu machen. Luther Blissett handelte sich zum Beispiel Anzeigen wegen Schwarzfahrens ein, weil die Gruppe darauf bestand, als eine Person nur ein Ticket zu benötigen.

Ein echter Partisan

Gerade ist in Italien der neue Roman des Autorenkollektivs erschienen. Es ist, wie immer bei Wu Ming, eine historische Erzählung. Razza Partigiana, so der Titel, handelt von den Kämpfen der italienischen Partisanengruppen gegen die deutschen Besatzer. Die Hauptfigur ist Giorgio Marincola, ein aus den italienischen Kolonialgebieten in Afrika stammender Partisanenkämpfer. Echt oder erfunden? Wu Ming 2 beharrt auf Marincolas Authentizität: „Er ist eine historische Figur. Als Sohn eines Italieners und einer Somalierin war er der einzige afroitalienische Partisan.“ Die Geschichte von Giorgio Marincola wird von Wu Ming auf vielfache Weise erzählt. Neben dem Roman gibt es eine Website mit Dokumenten, die autobiografischen Berichte der Schwester Isabella Marincola, schließlich auch eine musikalische Sprach-Performance. Mit letzterer tritt Wu Ming 2 nun in Berlin auf. Durch die Mittel wandelt sich auch die Erzählung. So wird Marincola, ob nun authentisch oder nicht, zu einer greifbaren und gleichzeitig ungreifbaren Figur: Das Material häuft sich und divergiert in der Häufung.

In ihren Romanen werden stets historische Begebenheiten bemüht. Der erste, Q, erschien im Jahr 2000 noch unter dem alten Pseudonym Luther Blissett. Er spielt während der Zeit der Reformation in Deutschland. Die Protagonisten sind dissidente Theologiestudenten. Q ist der einzige bislang ins Deutsche übersetzte Roman der Gruppe. Sein Erfolg fiel in die Hochphase der globalisierungskritischen Bewegung. Während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua starb Carlo Giuliani, Antonio Negri und Michael Hardt veröffentlichten Empire, und Pierre Bourdieu proklamierte eine neue sozialrevolutionäre Bewegung. Was hatte der Reformationsroman mit der Gegenwart zu tun? Wu Ming 2 erklärt es so: Ähnlich wie bei Peter Weiss’ Ästhetik des Widerstands geht es auch in Q im Grunde um Kämpfe, die weiterhin aktuell sind. „Tatsächlich finden sich sehr unterschiedliche politische Akteure in dieser 500 Jahre zurückliegenden Welt wieder. Wer bei den Partisanen war, hält Q für eine Parabel auf die Partisanenkämpfe. Wer in den Achtzigern in militanten autonomen Gruppen organisiert war, denkt, es sei eine Parabel auf die Autonomen“.

Die Begebenheiten und Figuren in Q, und nun in Razza Partigiana sind aufwendig recherchiert. Blog und Website des Autorenkollektivs bieten eine Fülle an historischem Material, das in die Romane Eingang gefunden hat. Das Projekt Wu Ming ist auch eine rege arbeitende Geschichtswerkstatt. Und doch, sagt Wu Ming 2, sind die Romane in erster Linie Romane: „Die Freiheit der Fiktion gegenüber den Niederlagen der realen Geschichte macht ihr utopisches Potenzial aus.“

Razza Partigiana Wu Ming Ackerstadtpalast Berlin, 25. und 26. Oktober 2013 Mehr Infos unter wumingfoundation.com und razzapartigiana.it

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