Über E-Books und die Zukunft der Verlage

Im Gespräch Gerhard Lauer, Professor der Germanistik an der Georg-August Universität Göttingen, spricht über E-Books und die Zukunft des Literaturbetriebs

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Über E-Books und die Zukunft der Verlage

Bild: Hannelore Foerster/Getty Images

Raffael Siegert: Allerorts ist vom E-Book die Rede, immer mehr wird Literatur digital erworben. Es zeichnet sich ab, dass sich der Büchermarkt drastisch verändern wird ...

Gerhard Lauer: In Deutschland ist die Situation ein bisschen anders. Noch haben wir einen Schutz für das gedruckte Buch. Das heißt: Durch eine geringere Mehrwertsteuer und die Buchpreisbindung ist der E-Book-Anteil immer noch sehr niedrig. Wenn man die Zahlen mit denen der USA vergleicht, dann wird sofort deutlich, dass der Anteil an E-Books vergleichsweise gering ist. Allerdings wächst auch hier der E-Book-Markt, vor allem bei den Gattungen, die früher als Taschenbuch bekannt waren.

Verändern sich durch das E-Book die Lesegewohnheiten?

Wie sich das langfristig entwickeln wird, wissen wir nicht. Ein erkennbarer Trend ist: Die Bücher werden vor allem von jüngeren Leserinnen und Lesern nicht nur auf den klassischen Readern gelesen, sondern auf dem Handy, beziehungsweise den Paphlets, dieser Mischung aus Handy und Tablet. Und viele Leser, die auf das Tablet umsteigen, sind Leute, die zusätzlich das E-Book zur Hand nehmen. Es gibt noch kleine Unterschiede, etwa, dass man sich nicht so gut im Buch auf einem Lesegerät orientieren kann. Deshalb sage ich: Das Lesen von E-Books erfolgt vor allem im Bereich der populären Literatur: Vom Krimi bis zur Schmonzette. Da kommt es nicht so sehr darauf an, dass man etwas wiederfindet, man streicht nichts an.

Das E-Book müsste doch eigentlich bessere Möglichkeiten bieten, Markierungen und Anmerkungen zu machen?

Alle Standardprogramme ermöglichen es, ausführliche Kommentare hinzuzufügen, sogar Audiokommentare. Es gibt eigentlich keine Limitierungen für Anstreichungen und Kommentare, außer vielleicht durch die Speicherkarte. Allerdings werden die E-Books von den Benutzern noch nicht in diesem Umfang genutzt. Obendrein sollten wir nicht davon ausgehen, dass das jetzige E-Book der Weisheit letzter Schluss ist. Derzeit orientiert sich das E-Book noch sehr stark an dem PDF und dem gedruckten Buch, denkbar sind jedoch ganz andere Formen. Dinge, die wir noch nicht erahnen können. Aber bereits jetzt gibt es sehr viel mehr Möglichkeiten, als sie von den Lesern genutzt werden.

Durch das E-Book wird das Sterben von Buchläden prognostiziert. Geht damit ein Stück Kultur verloren?

Die kleineren Buchläden, ebenso die größeren Ketten, sterben nicht wegen des E-Books, sondern wegen des Internet-Handels. Der Handel mit E-Books ist immer noch so gering, dass er, zumindest in der Bundesrepublik, keine entscheidende Rolle spielt. Der Internet-Handel aber spielt eine große Rolle. Das gilt sowohl für antiquarische als auch für Standard-Bücher. Die Neigung schnell im Internet zu bestellen, ist bei uns sehr ausgeprägt, weil wir wissen, dass die Wahrscheinlichkeit in der Buchhandlung gerade unser Buch zu finden, nicht eben hoch ist.

Ist das E-Book für Autoren eine Chance, oder wird es in der Zukunft für Autoren schwieriger, Bücher zu verlegen?

Ein Effekt, den wir derzeit beobachten können, ist, dass durch Self-Publishing sehr viel mehr Autoren Zugang zum Markt haben, die es normalerweise sehr schwer haben, bei einem Verlag zu reüssieren. Wie groß dieser Einfluss, auf eine gelesene Literatur ist, ist schwierig einzuschätzen. Es gibt bei diesen selbstpublizierenden Autoren Stars, die enorme Downloadquoten erreichen und davon sehr gut leben können, da sie eine viel höhere Beteiligung am Absatz ihrer Bücher haben. Wenn sich das noch stärker etabliert, könnte es sein, dass die Verlagswelt, so wie wir sie aus den letzten 50 oder 100 Jahren kennen, nicht bestehen bleibt. Das kann man an einigen Indikatoren jetzt schon festmachen. Umgekehrt sind die Buchumsätze der Verlage immer noch gigantisch: Täglich erscheinen 240 Neuerscheinungen auf dem deutschen Buchmarkt, daher kann man noch nicht von einem Sterben sprechen.

Wird ein Großteil der Belletristik ohne Lektorat auskommen müssen?

Es ist die Frage, wie viele Bücher heute überhaupt noch lektoriert werden. Das gilt sicherlich noch im hochliterarischen Bereich. Doch in vielen anderen Bereichen gibt es weniger bis gar keine Lektorate. Der klassische Lektor ist eine Figur, die nur noch auf wenigen Feldern der Literatur eine Rolle spielt. In vielen anderen Bereichen, beispielsweise beim wissenschaftlichen publizieren, spielt er beinahe keine Rolle mehr.

Interessant erscheint in diesem Kontext die Frage, welchen Einfluss Lektoren auf moderne Klassiker gehabt haben

Zum Teil hatten sie einen erheblichen Einfluss. Je nachdem welchen Autor sie sich vornehmen, können sie sehr deutlich sehen, dass Lektoren zum Teil fast schon Co-Autoren waren. Das wird oft unterschätzt, weil das Autoren ja nicht auf ihre Bücher drauf schreiben konnten. Ich nenne nur ein Beispiel: Elias Canetti. Jedenfalls ist klar, dass Lektoren einen enormen Einfluss auf das Manuskript hatten, nicht bloß auf das Design und das Marketing, sondern auf das gedruckte Wort.

Dass Lektoren auch für Marketing zuständig sind, ist eine neue Sache, die es erst seit den letzten zehn Jahren gibt ...

Genau. Die Bücher werden immer aufwendiger beworben. Wenn man sich im Gegensatz dazu Bücher aus den 1970er Jahren anschaut, merkt man, wie sich das verändert hat. Alleine die Positionierung der Autoren: Vom Cover bis hin zu den Auftritten der Autoren. Man muss nicht bloß auf Autoren wie Frank Schätzing verweisen, sondern ebenso auf Toni Morisson – es ist ein unglaublicher Betrieb, der nahe an dem von Popstars dran ist.

Die Digitalisierung auf dem Musikmarkt hat gezeigt, dass Künstler durch den reinen Verkauf von Musik kaum noch leben können. Halten sie diese Entwicklung auch auf dem Buchmarkt für möglich?

Es ist die Frage, welche Musiker sie meinen. Wenn Sie die Masse der Musiker meinen, dann haben Sie recht. Doch die Gehälter der Spitzen-Stars gehen nach wie vor durch die Decke. Wir haben bereits jetzt auf dem Buchmarkt eine ähnliche Entwicklung wie auf dem Musik-Markt. Übrigens werden auf dem Musik-Markt mehr Live-Konzerte besucht als früher. Die Karten werden zu unglaublichen Preisen verkauft. Ja, wir haben auch auf dem Buchmarkt eine Event-Kultur und wenige Stars, die das Geschäft zu einem Milliardengeschäft machen.

Zweifelsohne interessieren sich die Unternehmen für die Gewohnheiten der Leser – was hat es damit auf sich?

Die Unternehmen interessieren sich dafür, was gelesen wird, wie weit sie in einem Buch lesen und welche Kapitel einen besonderen Stellenwert haben. Die machen ähnliche Marketing-Studien wie Coca Cola und Mercedes-Benz, allerdings treten sie dabei mit einem bildungsbürgerlichen Habitus auf. De facto nimmt es allerdings immer mehr zu, dass Apps es ermöglichen immer genauere Daten über unser Leseverhalten zu erheben. Wer bei Amazon kauft, weiß ohnehin, dass Behavourial Targeting betrieben wird.

Was können Unternehmen eigentlich mit diesen Daten anfangen? Erhalten sie damit eine Anleitung für den perfekten Roman?

Normalerweise sind sie nicht am Einzelverhalten interessiert, sondern daran große Daten zu gewinnen, um Massenverhalten aufzuzeichnen und dann auszuwerten. Dadurch können sie beispielsweise sagen: Sehr viele Leser interessieren sich für Geschichten, in denen Boy meets Girl in einer bestimmten Variante vorkommt. Wenn es dann noch etwas präziser wird, könnten sie noch besser verstehen, welche Titel laufen. Die Verlagswelt ist stark abhängig von wenigen Titeln, die den anderen Teil des Verlags mitziehen. Einige wenige Verlagsprodukte spülen richtig Geld in die Kassen, viele andere Dinge sind im sogenannte Long-Tail, und man weiß da nicht, ob die Kosten je wieder rein kommen. Es handelt sich um ein sehr volatiles Geschäft. Den Verlagen geht es verständlicherweise darum, ihre Arbeit in ruhigere Gewässer zu bringen, weniger um die Absicht, Leute auszuspähen, doch leider schließt das eine das andere nicht aus.

Auch wenn die Möglichkeit des Self-Publishings besteht, wird diese Gattung, vor allem in den Feuilletons, nicht ernst genommen.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die öffentliche Kommunikation immer noch durch traditionelle Gatekeeper wie Feuilletons geprägt wird. Darin wird die Hochliteratur besprochen, nicht die Self-Publisher, darin bekommt auch Harry Potter eine geringere Aufmerksamkeit, obwohl die öffentliche Aufmerksamkeit eine viel größere ist. Das alles gilt für die ganzen Formen der Internetkunst. Die Folge ist, dass wir eine hochkulturelle Diskussionsstruktur haben, für die Leute wie Frank Schirrmacher und andere stehen. Darunter existiert jedoch eine sehr breite Schicht ganz anderer Formate und Ausdrucksformen. Natürlich ist nicht alles gut, was man dort findet, aber tausende Menschen produzieren jeden Tag Videos, oder erstellen Epic Battles und erfinden ganz neue Formate. Definitiv gibt es mehr Kreativität in der Gesellschaft als jemals zuvor. Allerdings wird sie nicht richtig aufgenommen, auch nicht von den Universitäten. Nur wenige stellen sich der Frage, wie ein Computer-Game aufgebaut ist, wie es erzählt wird und welche Bildsprache verwendet wird. Das ist zuwenig an den Universitäten angekommen, um heute schon ein selbstverständlicher Teil in der Lehre zu sein. Gerade in der Lehramtsausbildung fehlt das.

Es heißt immer, Kinder und Jugendliche würden zu wenig lesen, da sie ihre komplette Freizeit vor dem Computer verbringen würden. Stimmt diese Annahme eigentlich?

Sofern wir da überhaupt belastbare Daten haben, kann man das so nicht sagen. Was wir sagen können, ist, dass diejenigen die viele Medien haben, viel lesen. Während diejenigen, die von der Gesellschaft abgehängt worden oder sich selbst abgehängt haben, beides geht ja leider ineinander über, tatsächlich nichts mehr lesen. Das ist diejenige Gruppe, die ständig als Problemgruppe dargestellt wird. Für diese spezielle Gruppe fördern die kritisierten Medien die soziale Exklusion. Diese Gruppe wird dann nach vorne gestellt, um zu zeigen, dass unsere Jungs alle dick und dumm werden. Wenn man die gesamte Jugend betrachtet, dann kann man davon nicht sprechen. Zusammenfassend: Das Internet macht diejenigen, die smart sind, ein bißchen schlauer und diejenigen die hinten dran hängen ein, bißchen langsamer.

Wie stehen Sie als Akademiker zu sozialen Netzwerken?

Ich schreibe auf Twitter, allerdings nur zu zwei akademischen Themen. Es gibt in der akademischen Welt solche Netzwerke wie ResearchGate, die benutze ich auch, aber als Privatperson bin ich nicht in sozialen Netzwerken. Facebook ist für mich nicht interessant, da benutze ich lieber die Kanäle, die für meine eigene Arbeit wichtig sind. Ich habe auch eine eigene Webseite, verlinke alles und stelle es in das Netz. Das sind bereits drei Felder, das will ja alles gepflegt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Lauer: Gerne

Das Gespräch führte Raffael Siegert

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Raffael Siegert

Geboren 1982, verheiratet. Studium der Kulturanthropologie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Göttingen. Seit 2011 journalistisch tätig.

Raffael Siegert

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