In der Antike war es üblich, den Überbringer schlechter Nachrichten zu töten. Das ist eine durchaus verständliche Reaktion. Aber weder ist sie klug, noch ist sie eines demokratischen Rechtsstaats würdig. Es ist allerdings genau das, was wir in den letzten Monaten erleben. Orchestriert durch einen Bundeskanzler, der die Klimaproteste der Letzten Generation für „völlig bekloppt“ hält, während seine „Fortschrittskoalition“ sich nicht auf die simpelsten Maßnahmen zum Klimaschutz einigen kann, werden die Protestierenden zum Freiwild für empörte Autofahrer:innen und zum Opfer polizeilicher „Schmerzgriffe“.
Nachdem die juristische Ahndung von Beginn an überraschend scharf war, hat der politische, j
itische, juristische und polizeiliche Kampf gegen die Klimabewegung nun mit den Hausdurchsuchungen und dem gegen die Letzte Generation ausgesprochenen Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung nach dem Paragrafen 129 eine neue Eskalationsstufe erreicht.Mit diesem Paragrafen ist jeder, der die Geschichte der sozialen Bewegungen in der Bundesrepublik seit den 1970er und 80er Jahren verfolgt hat, gut vertraut. „Wir sind alle eine kriminelle Vereinigung“, das wurde, so stolpernd diese Parole vom Rhythmus her war, auf Demonstrationen skandiert. Ob sich der Verdacht juristisch halten lässt, wird sich – nach allem, was man aus den einschlägig rechtskundigen Kreisen hört – erst noch zeigen müssen. Politisch aber ist es ernst.Die Anwendung des Paragrafen 129 steht nicht nur für juristische Härte, sondern für eine politische Strategie. Entscheidend für seine Wirkung ist nämlich nicht, dass den hier begangenen Aktionen zivilen Ungehorsams – bei denen für jede einzelne noch strittig ist, ob sie überhaupt strafrechtlich relevant ist – durch seine Anwendung die Schwere von Vergehen unterstellt wird, wie wir sie landläufig mit mafiös organisierter brutaler Kriminalität verbinden. Für die Zukunft der Protestbewegungen entscheidend ist vielmehr das, was Juristinnen als „Vorverlagerung der Strafbarkeit“ bezeichnen. Mit dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung greift man eben nicht nur einzelne Handlungen einzelner Straftäter:innen, sondern ein ganzes – in diesem Fall politisches – Milieu an. Wir kennen das.„Soziale Lösungen für soziale Probleme“, so steht es prominent auf einem Transparent in meiner Nachbarschaft in Berlin-Kreuzberg. Und wo sich das hier konkret auf Racial Profiling und den polizeilichen Umgang mit Obdachlosigkeit bezieht, kritisiert es eine Tendenz, die auch im Umgang mit den Klimaprotesten droht. Wo eine politische und gesellschaftliche Diskussion über den Inhalt der Proteste sinnvoll wäre, wird reagiert mit Kriminalisierung.Und das eben ist es: der Versuch einer juristischen Lösung für gesellschaftliche Probleme. Diese Tendenz muss man umkehren. Erst wenn das gelänge, könnte man fundiert darüber reden, welche Art von Radikalisierung es eigentlich wirklich bräuchte, um den vielfach sich verflechtenden Krisen der Gegenwart, von denen die Klimakrise eine ist, zu begegnen.Wenn an den Aktionen der Letzten Generation etwas bemerkenswert ist, dann ist es das offenbar unverbrüchliche Vertrauen in den Rechtsstaat, in die Polizei und letztendlich auch in die Mitmenschen. Es irritiert deshalb zutiefst, dass selbst wohlmeinende Beobachter:innen aus dem grünen oder linksliberalen Umfeld nun eine Radikalisierung der Szene befürchten.Befürchten sollte man nicht die Radikalisierung dieser „höflichen jungen Menschen“, wie selbst in der FAZ zu lesen war. Befürchten sollte man vielmehr die Radikalisierung und Zuspitzung der Situation, auf die diese aufmerksam machen. Soziale Bewegungen machen manchmal latente Krisen zum Konflikt. Sie setzen Themen auf die Agenda, die ohne den „Druck von der Straße“, ohne aktivistische Öffentlichkeitsarbeit und zivilen Ungehorsam wenig Aufmerksamkeit bekämen. Das ist ihre Aufgabe, insbesondere in demokratischen Gemeinwesen. Die häufig gehörte Befürchtung, dass man mit diesen Aktionsformen aber „der Sache“ schade, soll suggerieren, dass man sich schon irgendwie kümmere. Das klingt, wie wenn ich behaupte, dass ich gerade die Geschirrspülmaschine ausräumen wollte, nur leider …Natürlich muss man über Aktionsformen und auch über Inhalte im Kampf gegen den Klimawandel diskutieren. Manches ist zu harmlos, manches ist unbedacht. Aber es ist bisher gerade eine Stärke der Klimabewegung, dass sie sich nicht zum Stellvertreterkrieg des Distanzierungsspiels hat hinreißen lassen. Natürlich zielt politisch-demokratischer Widerstand auf Verbreitung; einen Ausnahmezustand stellt man nicht alleine her. Die Normalität ist nur durchbrochen, wenn viele sie durchbrechen. „Dass es so weitergeht, das ist die Katastrophe“, wie Walter Benjamin es ausdrückte.Placeholder infobox-1