Zunächst einmal ist nur ein Gerücht: Im BMW-Motorradwerk in Berlin Spandau soll bei den am 1. März beginnenden Betriebsratswahlen auch eine rechte, AfD-nahe Liste kandidieren. Berlins IG-Metall-Chef Klaus Abel bestreitet das. Wenn es eine Liste gäbe, dann wüsste man davon. Auch eine Stippvisite nach Spandau hilft nicht weiter: Die nach Schichtende aus dem Werkstor kommenden Arbeiter beantworten die Frage, ob hier rechte Betriebsräte vor der Tür stünden, wahlweise mit „Weeß ick nich‘“ und „Was denn für Rechte? Hier macht das doch die IG Metall“.
Gewiss, bis jetzt macht das die IG Metall. Die Frage ist nur, ob sie es auch in Zukunft alleine machen wird. Die Ankündigung von AfD-Vertretern und der AfD nahestehenden Rechten, man werde sich bei den vom 1. März bis 31. Mai anstehenden Betriebsratswahlen daran machen „die Betriebe zu erobern“, hat jedenfalls für großes Medienecho gesorgt: „Rechte streben in die Betriebsräte“, schlagzeilte der Tagesspiegel, „Die AfD will in die Firmen“ die Badische Zeitung.
Rechtes Potenzial ist da
Bei den DGB-Gewerkschaften, die nach eigenen Angaben bislang rund 80 Prozent aller Betriebsräte stellen, begegnet man der Entwicklung mit einer Art kommunikativer Doppelstrategie. Spitzenfunktionäre wie DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann warnen vor „rechten Rattenfängern“ und „Dünnbrettbohrern“, die Belegschaften spalten wollten und wegen „Unfähigkeit“ ohnehin nichts für die Kollegen erreichen könnten. Auf Nachfragen bei regionalen Gliederungen erhält man dagegen in der Regel abwiegelnde Auskünfte. So erklärt eine Sprecherin des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen, dass von entsprechenden Aktivitäten „nichts bekannt“ sei, obwohl einige „alternative“ Kandidaturen, etwa im BMW-Werk in Leipzig und bei Siemens in Görlitz, bereits öffentlich sind. Auch vom IG Metall-Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen gibt es nur ein paar Sprechblasen. Völkische, rassistische oder rechtsextreme Bestrebungen in den Betrieben würden generell „aufmerksam verfolgt, thematisiert und bekämpft“. Viele Anfragen zu dem Thema werden überhaupt nicht beantwortet.
Potential für rechte Programmatik in den Fabriken und Betrieben gibt es zweifelsohne. Bei den Bundestagswahlen hat die AfD unter Arbeitern mehr als 21 Prozent erreicht, deutlich über ihrem Gesamtergebnis von 12,6 Prozent. Auch in der Gewerkschaftsbasis bekam die Partei Zuspruch. Laut Nachwahluntersuchungen stimmten 15 Prozent aller Mitglieder der zum DGB gehörenden Gewerkschaften für die AfD, in den ostdeutschen Bundesländern gar 22 Prozent.
Der Versuch der Gewerkschaften, die eigene Klientel gegen die Sirenengesänge der neuen Rechten zu immunisieren, ist offensichtlich gescheitert. An eindeutigen Erklärungen des DGB, seiner regionalen und Einzelgewerkschaften hatte es im Vorfeld der Wahlen nicht gemangelt. Verwiesen wurde dabei nicht nur auf rassistische Ausfälle der AfD, sondern auch auf ihre neoliberale Ausrichtung entgegen aller Interessen von Arbeitnehmern.
Genützt hat das wenig. Nun befürchten die Gewerkschaften, dass die AfD und ihre nahestehenden Gruppen den Schwung des Wahlerfolges nutzen, um bei den Betriebsratswahlen Fuß zu fassen. Hauptamtliche Gewerkschafter werden schmallippig, wenn es um Probleme mit AfD-nahen Kollegen in den Betrieben oder in der eigenen Organisation geht. So erzählte ein IG-BAU-Sekretär in einem informellen Gespräch vor einigen Monaten, dass es in Brandenburg und Sachsen etliche Austritte teils langjähriger, aktiver Mitglieder gegeben habe, nachdem sich die Gewerkschaft von Pegida und anderen rechtspopulistischen Bewegungen abgegrenzt hatte. Eine offizielle, zitierfähige Bestätigung dafür gibt es bei späteren Nachfragen allerdings nicht.
Auch Versuche in unteren Ebenen, etwa bei gewerkschaftlichen Vertrauensleuten in größeren Betrieben, Auskünfte zu erhalten, laufen ins Leere. Zu einzelnen Kandidaten und deren möglichen Verbindungen zu rechten Gruppen könne man schon aus datenschutzrechtlichen Gründen keine Auskünfte geben, heißt es. So bleibt es bei Gerüchten, wie jenem zum BMW-Werk in Spandau, die sich nicht erhärten lassen.
Eines ist jedoch klar: Wichtigster Schwerpunkt der „alternativen“ Kandidaturen ist die Automobilindustrie. Dort hat sich vor einigen Jahren eine Art Leuchtturm rechter Gewerkschaftspolitik etabliert, nicht in Ostdeutschland, sondern in Baden-Württemberg. Das 2009 gegründete „Zentrum Automobil“ stellt im Daimler-Stammwerk in Stuttgart-Untertürkheim nun vier Betriebsräte, nachdem die Liste bei den Wahlen 2014 rund zehn Prozent der Stimmen erhalten hatte. Diesmal wird sie auch in anderen Daimler-Werken kandidieren, sowie nach eigenen Angaben in anderen Branchenbetrieben wie Audi, Opel und BMW. Doch auch das „Zentrum Automobil“ ist wenig auskunftsfreudig. Mehrere Anfragen zur Vernetzung der Gruppe in- und außerhalb der Automobilindustrie und zu Kandidaturen bleiben unbeantwortet
Die allgemeine Programmatik des Vereins enthält Versatzstücke, die durchaus auch von linken gewerkschaftsoppositionellen Gruppen stammen könnten. Man wende sich gegen „Arbeitsexport, Co-Management, Begünstigung und Korruption, Lohnverzicht als Erpressungsmittel, Intransparenz und faule Kompromisse“. Daher strebe man den „Aufbau gewerkschaftlicher Strukturen als Alternative zu den Monopolgewerkschaften“ an. Dafür gelte es „ Streikfähigkeit herzustellen mittels Bildung finanzieller Rücklagen als Streikkasse“. Wichtigste Herausforderung sei „die immer weiter um sich greifende Globalisierung und deren negativen Folgen“.
Dass das im Betrieb ankommt, schilderte die ehemalige Daimler-Betriebsrätin Christa Hourani von der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken in einem Interview mit Radio Dreyecksland am 8.Februar. Zentrums-Gründer Oliver Hilburger, der 2007 erstmals in den Betriebsrat einzog – damals noch auf der Liste der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) –, laufe nicht „mit dem Hitlergruß durch die Werkshallen“, sondern spreche mit den Kollegen über alltägliche Probleme am Arbeitsplatz. Gerade die Kritik an der Kungelei der IG-Metall-Oberen mit dem Management stoße auf offene Ohren. Seine bekannte Neonazi-Vergangenheit spiele dabei schon längst keine Rolle mehr
Kämpferische Politik bleibt rar
Hourani, die auch Mitglied in den Frauenausschüssen von IG Metall und DGB ist, warnte vor dem Versuch der Gewerkschaftsspitze, das Problem einer rechten Formierung in Betrieben kleinzureden. Gruppen wie das „Zentrum“ seien eben nicht als „Dünnbrettbohrer“ abzutun, sondern arbeiteten mittlerweile „hochprofessionell“. Zwar sei die Ausweitung in andere Betriebe noch nicht dramatisch, doch gerade im Raum Stuttgart gebe es diesmal in zahlreichen Firmen „alternative Kandidaturen“ oder auch bekannte AfD-Mitglieder, die auf CGM-Listen kandidieren. Die besten Mittel gegen den rechten Vormarsch in Betrieben seien eine „offensive Auseinandersetzung mit deren Ideologie“ und vor allem eine kämpferische Politik der IG Metall. An beidem hapere es aber derzeit.
Doch Versuche, mehr über Art und Umfang des rechten Vormarsches zu erfahren, scheitern nicht nur bei den DGB-Gewerkschaften. Auch bei der AfD ist trotz telefonischer Zusagen niemand zu Auskünften bereit, weder beim Parteivorstand noch bei der Fraktion oder einzelnen Abgeordneten. Dort vertraut man wohl eher auf nicht hinterfragbares mediales Getöse.
Die Internet-Kampagne des rechten Netzwerks „Ein Prozent“ unter dem Motto „Patrioten schützen Arbeitsplätze – werde Betriebsrat“, schlägt deutliche Töne an. Beschworen wird der Schulterschluss mit Pegida, zumal jeder Arbeitnehmer, der sich „als Patriot zu Deutschland bekennt“, mit Repressalien bis hin zur Entlassung rechnen müsse. Die Initiative behauptet, dass es bundesweit über 500 Betriebsratskandidaten aus dem Umfeld des Zentrums gebe, davon alleine 300 an fünf Standorten von Daimler. Nun muss man das in Relation setzen: 500 Kandidaten, die wohl kaum alle gewählt werden, kämen auf insgesamt 180.000 zu wählende Betriebsräte.
Eine der wichtigsten Galionsfiguren der rechten Betriebsoffensive ist Guido Reil. Der gelernte Bergmann arbeitet als Steiger in der Zeche Prospiel-Haniel, wurde dort auf der Liste der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) in den Betriebsrat gewählt und saß lange für die SPD im Essener Stadtrat. Im Juli 2016 verließ er die Partei wegen der Flüchtlingspolitik und schloss sich der AfD an, in deren Bundesvorstand er im Dezember 2017 als Beisitzer gewählt wurde.
In seinen im Internet veröffentlichen Reden präsentiert sich Reil als „Sozialpatriot“. Mit scharfen Worten verurteilt er ausufernde Managergehälter, Kettenbefristungen, das niedrige Rentenniveau, die steigenden Mieten und einiges mehr, was auch auf die Agenda von Linken- und SPD-Politikern passen würde, allerdings garniert mit Rassismus und völkischen Floskeln. Gerne würde man Reil fragen, wie er sein Eintreten für Umverteilung und Arbeiterrechte mit der neoliberalen Programmatik der AfD vereinbart. Doch auf entsprechende Anfragen gibt es keine Reaktion. Und auch die IG BCE möchte nicht sagen, wie sie sich zu den Aktivitäten ihres mittlerweile recht prominenten Mitglieds Guido Reil verhält.
Als Fazit bleibt: Die AfD spuckt große Töne, und stellt sich auf Nachfrage hin taub. Die Gewerkschaften warnen, und wiegeln zugleich ab. Wahrscheinlich ist, dass bei den diesjährigen Betriebsratswahlen noch nicht mit flächendeckenden, sondern höchstens vereinzelten Erfolgen offen rechtspopulistischer Kandidaten zu rechnen ist. Das Potenzial dafür allerdings wird so schnell nicht verschwinden. Für linke Parteien wäre es allerhöchste Zeit, ein glaubwürdiges Politikangebot für Arbeiter zu formulieren. Die Gewerkschaften müssen sich auch der Frage stellen, ob die vielerorts praktizierte Politik des „Co-Managements“ nicht weiter Wasser auf die Mühlen von Rechten in Betrieben bringen wird.
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