Ausgeloggt

CAMDESSUS-ABGANG Der IWF verliert seinen Krisenlotsen

Was immer die Gründe sein mögen, die den Geschäftsführenden Direktor des IWF, Michel Camdessus, in der vergangenen Woche zum Rücktritt bewogen haben, eines steht fest: Der IWF - neben der Weltbank und der WTO eine Hauptsäule der neoliberalen Dreieinigkeit in der Welt - steckt in der Krise, seiner Politik fehlt die Legitimation. Eine Reform seiner Ziele und Strukturen war noch nie so dringlich. Das wäre niemandem verborgen geblieben, hätte Camdessus seinen Abschied auf dem Höhepunkt der Asien- oder Russlandkrise genommen. Jetzt vernebelt die wieder angesprungene internationale Konjunktur diesen Hintergrund. Doch ganz verbergen lässt er sich nicht. Kein geringerer als Camdessus selbst sieht das so. In seinem Demissionsschreiben findet sich das Eingeständnis, die Ableistung seiner vollen Amtszeit von 15 Jahren "wäre unangemessen in einer Welt die eine ständige Erneuerung ihrer Institutionen braucht".

Noch vor zwei Jahren war er als erster Spitzenmann des Fonds für eine dritte Amtsperiode ernannt worden. Die insgesamt 13 Jahre seit 1986 hat er allerdings weniger zur Erneuerung der Institution als zum Ausbau ihrer Macht und Befugnisse genutzt. Äußerst erfinderisch war Camdessus, wenn es darum ging, neue Finanzmittel für den IWF an Land zu ziehen. Zwei Quotenerhöhungen brachte er während seiner Amtszeit über die Bühne. Über 50 Länder des Südens stehen derzeit unter der Kuratel der berüchtigten Strukturanpassungsprogramme des IWF. Die neoliberale Offensive der letzten beiden Jahrzehnte, die den Süden und den Osten fast flächendeckend erfasst hat, wäre ohne den IWF nicht denkbar gewesen.

Camdessus kommt somit vor allem das zweifelhafte Verdienst zu, den Fonds durch alle möglichen Krisen gesteuert und dabei das Kunststück vollbracht zu haben, seinen Einfluss zu mehren. Ob die Schuldenkrise der Dritten Welt in der achtziger Jahren oder die Implosion des Realsozialismus, ob die Mexiko-Krise in der ersten Hälfte der neunziger Jahre oder die Asien-, Lateinamerika- und Russlandkrise zuletzt - stets war der IWF mit dem Ruf zur Stelle: "Wir sind bereit!"

Doch die Kehrseite dieser Machterweiterung ist die wachsende Kritik an den Standardrezepturen, die der IWF wie eine Behörde überall verordnet. Zur Kehrseite gehören auch die schwindende Legitimität und eine zunehmende Infragestellung seiner undemokratischen und undurchsichtigen Strukturen. Wie die Weltbank wird der Fonds nach wie vor nach ständestaatlichen Prinzipien regiert; bei Entscheidungen gilt das Prinzip "Ein Dollar - eine Stimme". Indien beispielsweise mit 16 Prozent der Weltbevölkerung verfügt im IWF gerade einmal über 2 Prozent der Stimmrechte. - Der Rücktritt Camdessus' und die damit verbundene Frage, wer sein Nachfolger sein wird, ist deshalb vor allem eine Frage nach der künftigen Rolle und den künftigen Aufgaben, die der IWF in einer zusehends instabilen Weltwirtschaft übernehmen soll. Camdessus selbst hat auf der Herbsttagung der Bretton-Woods-Institutionen Ende September in Washington ausgerechnet die weltweite Bekämpfung der Armut als neue Aufgabe für den IWF entdeckt. Neben der bisherigen makroökonomischen Konditionalität seiner Programme sollen den Ländern jetzt allerlei zusätzliche Auflagen gemacht werden: Bekämpfung der Armut, Begrenzung der Rüstungsausgaben und "Good Governance", wie der neue Euphemismus für politisches Wohlverhalten heißt, angesichts der Geschichte des IWF an sich schon ein Paradox.

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