Ein außergewöhnliches, ja geradezu nonkonformistisches Begehren artikulierte kürzlich ein älterer Herr aus Japan am Londoner Flughafen Heathrow. Mit angedeuteter Verbeugung und höflichem Lächeln schob er ein Bündel Banknoten auf den Check-out-desk und löste damit eine Katastrophe aus. Dabei ließ seine Erscheinung auf den Besitz von mindestens einem halben Dutzend Kreditkarten schließen. Das erste, nach 20 Minuten bewältigte Problem war noch bescheiden: Es war kein Wechselgeld da. Doppelt so lange dauerte die Lösung des zweiten: Keiner der anwesenden Bediensteten wußte, wie man die Zahlung bestätigt, ohne eine Kreditkarte durch das Lesegerät zu ziehen. Erst ein herbeigerufener Experte vermochte die Systemblockade zu beheben. Eine Kombination von Extravaganz, schlechtem Systemdesign und unzulänglicher Ausbildung ließ an diesem Morgen Termine platzen und Sitzplätze leerbleiben.
Die Erfahrung, daß genau der langgesuchte Artikel, den man als letzten seiner Art auf einem Ladenregal entdeckt, den häßlichen Mangel aufweist, kein Etikett mit maschinenlesbarer Artikelnummer mehr zu haben und dadurch unverkäuflich zu sein, ist bereits banal. Eine neue Variante davon war kürzlich in der Infobox am Potsdamer Platz in Berlin zu machen: Die Kombination von Fladenbrot und Tsatsiki war in der Caféteria nicht etwa deshalb nicht erhältlich, weil die Bestandteile nicht vorhanden gewesen wären, sondern weil auf der Computerkasse dafür keine Taste programmiert war. Aldi, so hört man, fahre als einziges Unternehmen der Lebensmittelbranche noch satte Gewinne ein - mittels antiquierter elektromechanischer Kassen. Die mit modernstem Gerät und automatischen Lagerverwaltungssystemen hochgerüstete Konkurrenz kränkelt dagegen. Besteht da etwa ein Zusammenhang?
Paul Strassmann, der jahrzehntelang Chefinformatiker in US-Großunternehmen und im Pentagon war, konnte zumindest keinen positiven Zusammenhang zwischen den Computerinvestitionen und der Profitabilität, der von ihm untersuchten Unternehmen erkennen. Die volkswirtschaftliche Statistik widerspricht dem nicht: Seit Mitte der siebziger Jahre, seitdem die Mikroelektronik Alltag und Arbeitsplätze zunehmend durchdringt, erleben wir keinesfalls eine Explosion der Produktivität.
Die steigende Arbeitslosigkeit verlangt wohl doch eine bessere Erklärung als den Hinweis auf die Rationalisierung durch Informationstechnologien. Und die sogenannte Kapitalproduktivität, also die Produktionsmenge pro Einheit eingesetzten Kapitals, weist sogar eine sinkende Tendenz auf. Das gilt für alle industrialisierten Länder. Wie die bayerisch-sächsische Zukunftskommission auf die Idee kommt, daß der Wert der Arbeit immer weiter sinke, weil die Produktivität von Kapital und Wissen stürmisch ansteige, ist da schwer nachvollziehbar. Wenn die populäre Weisheit zutrifft, daß das Wissen heute exponentiell wachse, dann muß seine Produktivität bei nur noch geringem Wirtschaftswachstum doch wohl dramatisch fallen. Anscheinend bringt ein explosionsartiges Wissenswachstum nur noch ein sich abschwächendes Wirtschaftswachstum hervor. Zumindest werden kaum noch Erweiterungsinvestitionen getätigt. Die massiven Ausgaben für Informationstechnik illustrieren das: Auch sie bestehen mittlerweile vor allem aus Ersatzbeschaffungen, die in kurzen Intervallen fällig werden. Das Teuerste sind dabei nicht die Geräte, sondern deren Installation und Betrieb sowie die Anwenderunterstützung.
Der Nutzen all der Innovationen, die auf der CeBIT präsentiert werden, erscheint immer fraglicher. Die Zahl der Befehle von Standardsoftware sowie ihr Umfang, die Speicherkapazität sowie die Rechenleistung der Maschinen steigen schon seit langem exponentiell an, doch die Anwender machen damit mehrheitlich immer noch das Gleiche wie vor 15 Jahren. Manager verbringen jetzt viel Zeit, indem sie Dokumente schönen oder meist überflüssige Präsentationsfolien mit Clip-art verzieren. Und die Jahr-2000-Problematik, die Informatik-Chefs ins Schwitzen bringt, entpuppt sich als eine Art Wegezoll in der Zeitdimension: vor Eintritt ins nächste Jahrtausend zu entrichten.
Der Aufwand, der keine neuen Gebrauchswerte schafft, soll nach jüngeren Schätzungen weltweit bei tausend Milliarden Dollar liegen. Die destruktivsten Auswirkungen erwarten manche Beobachter mittlerweile nicht etwa vom Versagen nicht oder falsch umgestellter Systeme, sondern von Panikreaktionen der Bevölkerung. Gerüchten zufolge soll sich in den USA schon die Nationalgarde auf Jahr-2000-Einsätze vorbereiten. Längst hat die Informationstechnik parasitäre Züge angenommen. Es geht mit ihr zwar kaum etwas besser, doch weiß niemand, wie es ohne sie geht. Deshalb tritt die Wirtschaft die Flucht nach vorn an und überläßt ihr einen wachsenden Teil der Wertschöpfung, während sie überall sonst die Schere ansetzt. Auch das gehört zur Umverteilung von unten nach oben.
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