Die Software-Gallier

FREIHEIT STATT PRIVATEIGENTUM, COPYLEFT STATT COPYRIGHT Die via Internet agierende Linux-Bewegung bedroht das Microsoft-Imperium

Ganz Gallien ist von den Römern besetzt ... Ganz Gallien?« Nein, auch in diesem Fall gibt es eine Gemeinde von Unbeugsamen, die hier dem »Herrn der Betriebssysteme«, wie Microsoft-Chef Bill Gates in den Medien heißt, trotzt, und auch sie hat ihren Asterix. Er heißt Linus Torvalds, kommt aus Finnland, war bisher Student und gilt als Schöpfer des Betriebssystems Linux, das auf PCs sowie weiteren Rechnertypen läuft und - via Internet - praktisch umsonst erhältlich ist. Linux weist alle Merkmale der sogenannten Unix-Systeme auf, mit denen Hersteller wie IBM, Sun und Hewlett Packard Rechner jenseits der PC-Klasse ausrüsten.

Seit Jahren erfreut sich Linux wachsender Beliebtheit: zuerst an Universitäten und dann auch in der Wirtschaft. Ankündigungen verschiedener Global Player wie IBM, Intel, Oracle und SAP, Linux auf ihrer Hardware zu unterstützen beziehungsweise ihre Software auch dafür auszuliefern, überraschen jetzt die Öffentlichkeit. Ohne Miraculix und dessen Zaubertrank richtet allerdings auch der finnische Asterix wenig aus. Wenn hier jemandem die Rolle des Druiden zukommt, dann Richard Stallmann. Ohne ihn wäre Linux oder genauer: GNU/Linux nicht denkbar.

Bis 1984 Mitarbeiter des MIT, der renommiertesten technischen Universität in den USA, verfolgt er seither eine einzige Idee: Die Software von ausschließenden Ansprüchen zu befreien. Eigentumsvorstellungen entstammten der körperlichen Welt und seien auf Software nicht übertragbar. Diese sei nicht nur mühelos zu kopieren, sondern stelle auch ein Gut dar, das sich am besten gemeinschaftlich nutzen und verbessern lasse. Das Recht, Software weiterzugeben sowie zu verändern, sei unauflöslich mit ihr zu verbinden. Dafür gründete Stallmann die Free Software Foundation (FSF). In einem FSF-Projekt namens GNU entstanden neben den Komponenten eines Unix-artigen Betriebssystems auch viele beliebte Software-Werkzeuge.

Der Betriebssystem-Kern, den Torvalds, unterstützt durch eine verstreute Gruppe von Koautoren seit 1991 im Rahmen von GNU entwickelt, bildet nur ein, wenn auch zentrales, Steinchen eines großen Mosaiks. In einem Unix-artigen Betriebssystem, in dem eine Vielzahl von Programmen scheinbar parallel ablaufen, ist der Kern dafür zuständig, daß jene sich Ressourcen wie Prozessoren, Speicher und externe Schnittstellen konfliktfrei teilen.

Dieser Kern steht frei zur Verfügung. An die Stelle des Copyright tritt das Copyleft: Die GNU General Public License (GPL) garantiert das Recht auf den Quellcode und darauf, ihn verändert oder unverändert weiterzugeben, sofern man ihm genau diese Rechte ebenfalls mitgibt. Sie schließt damit die Privatisierung eines öffentlichen Gutes aus. Wenn sich das auch wie Spinnerei anhören mag, steht GNU doch für einen ungewöhnlichen technischen Erfolg. GNU-Software kommt weltweit zum Einsatz und gilt oft als die beste ihrer Kategorie. Linux selbst ist heute ein ausgereiftes, leistungsfähiges und robustes, das heißt für den Dauerbetrieb geeignetes System, das viele kommerzielle Produkte übertrifft.

GNU ist nicht die einzige Quelle für offene, samt Quellcode verfügbare Software. An der University of California in Berkely, wo das Pentagon in den achtziger Jahren die Entwicklung einer Unix-Variante mit verbesserter Speicherverwaltung und einer Modellimplementation der Internet-Protokolle finanzierte, entwickelte seit Ende jenes Jahrzehnts eine Gruppe um Kirk McKusick ebenfalls einen Kern (4.4 BSD), der frei zugänglich ist und sich heute in mehreren Produkten findet. Mit der BSD-Lizenz verbindet sich zwar nicht die Pflicht, die Offenheit und freie Kopierbarkeit abgeleiteter Codes zu erhalten. Doch sind auch BSD-Systeme auf GNU-Software angewiesen. Aus Berkeley stammen weitere offene Produkte wie »sendmail«, das Email im Internet weiterleitet, und »BIND«, mit dem im Internet Rechner durch alphanumerische Namen anstatt durch Nummern adressiert werden können. Beide laufen auf circa 80 Prozent der Internet-Server. Und über 50 Prozent der Webserver nutzen die »Apache«-Software, die zwar nicht aus Berkeley kommt, doch zu vergleichbaren Bedingungen erhältlich ist.

Die mit diesen Produkten und Linux oder BSD ausgerüsteten Rechner sind leistungsfähig, einfach zu verwalten und laufen ein Jahr oder länger, ohne einen Neustart zu erfordern. Genau das unterscheidet sie von solchen Rechnern, auf denen Software aus dem Hause Microsoft zum Einsatz kommt, und deshalb finden Informatik-Chefs sie zunehmend attraktiv. Hinzu kommt: Linux ist für Rechenzentren geeignet. Ein entscheidender Vorteil: Denn die unternehmenskritischen Anwendungen und Daten befinden sich weiterhin auf zentralen Systemen, die hohen Anforderungen an Service, Administrierbarkeit, Leistung, Sicherheit und Zuverlässigkeit unterliegen. Microsoft-Produkten hingegen geht es vor den Türen der Rechenzentren meist wie Hunden vor dem Fleischerladen: Sie müssen leider draußen bleiben. Hinsichtlich der genannten Kriterien lassen sie zu wünschen übrig. Die Microsoft-Strategie, die sich darin erschöpft, quasi Zoll auf die Verbreitung von PCs und Büroanwendungen zu erheben und einen Bruchteil der Einnahmen in die Barockisierung der Software zu investieren, um frühere Versionen rasch veralten zu lassen, stößt an ihre Grenzen.

Paradoxerweise verstärkt die Flexibilisierung der Arbeitsorganisation die Bedeutung zentraler Systeme und folglich dir Chancen von Linux: Fluktuierende Gruppen räumlich verteilter Nutzer greifen auf gemeinsame Daten und Anwendungen zu, die deshalb überall verfügbar sein müssen. Das ist mit den lokalen Systemen und Netzen, bei denen Microsoft dominiert, schlecht zu machen. Internet-Technik bietet sich hier an und bringt zwangsläufig Alternativen wie Linux ins Spiel. Im selben Maß, in dem vom Arbeitsplatzrechner aus auch der Zugriff auf unternehmenskritische Anwendungen und Daten erfolgt, steigen die Anforderungen an dessen Sicherheit und Zuverlässigkeit und damit die Attraktivität von Linux. Auch die Kosten für Installation, Verwaltung und Betrieb, die bei Windows-PCs pro Jahr oft beim Zehnfachen des Anschaffungspreises liegen, sind hier niedriger. Und: Für Internet-, Datenbank- und Dateidienste ist Linux eine sehr interessante Alternative und damit eine Bedrohung für Microsofts Windows NT. Die Großen der Branche wie Intel und IBM sehen hier eine Chance, die ihnen durch Microsoft angelegten Fesseln zu lockern.

Weshalb ein Politiker wie NRW-Ministerpräsident Clement ausgerechnet jetzt die Zusammenarbeit mit Microsoft sucht, bleibt dagegen ein Rätsel. Dies umso mehr, als Deutschland das Land mit der höchsten Linux-Durchdringung ist und über ein großes Knowhow-Potential verfügt. Während Linux gute Chancen bei den im Hintergrund zu verrichtenden Diensten hat, bleibt offen, ob es am Arbeitsplatz den Sprung über die Freak-Gemeinde hinaus schaffen wird. Zwar sind Installationen mit vielen Rechnern gut handhabbar und mit der neuen Benutzungsschnittstelle Gnome kommen auch Uneingeweihte zurecht, doch dürfte die Anhänglichkeit der Benutzer an die gewohnten Büroanwendungen das größte Hindernis bilden.

Wird es für jene einen freien Ersatz geben oder wird Microsoft irgendwann sein Office-Paket für Linux herausbringen? Microsoft könnte in Widerspruch mit sich selbst geraten: um Anwendungssoftware zu verkaufen, wäre eine schwächere Marktposition des eigenen Windows-Betriebssystems in Kauf zu nehmen. Das würde auch die Lizenzpolitik berühren, denn für praktisch jeden PC verlangt Microsoft Lizenzzahlungen. Es gibt bereits Forderungen, Gebühren für nicht genutzte Windows-Lizenzen zu erstatten.

Die Industrie erkennt langsam, daß mit Linux und ähnlichen Angeboten neue Wege der Softwareentwicklung beschritten werden. Bisher schälten sich zwei alternative Antworten heraus: Entweder jene Wege gezielt zu stören oder ihre erfolgreichen Beispiele zu vereinnahmen und ihre Methoden zu adaptieren. Indiskretionen lassen darauf schließen, daß Microsoft zur ersten Alternative tendiert. Lizenzrechtliche Schritte der Firmen Sun und Netscape, nicht zuletzt ein Bericht in Esther Dysons Release 1.0, einem Informationsbrief für High-Tech-Investoren, daß es auch einflußreiche Anhänger der zweiten Strategie gibt. Im Weg steht ihnen Richard Stallmann, der sich dagegen wehrt, »frei« durch »offen« zu ersetzen. Der Druide erkennt hier eine Fälschung im Rezept des Zaubertranks. Das Privatisierungsverbot der GNU GPL wird zum Stein des Anstoßes, wenn es gilt, die Produktivkraft der offenen Entwicklung einzuspannen, um ihre Früchte privat anzueignen.

So artikuliert sich in den High-Tech-Gefilden der Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung in neuer Weise. Ein faszinierendes Denkspiel ergibt sich, wenn man in Betracht zieht, daß freie Software tatsächlich das Geschäft mit Standardsoftware kollabieren lassen könnte. Die aufgeblähten Aktienkurse von Microsoft und Co reflektieren die Erwartung, daß jenes Geschäft sich endlos fortsetzen ließe. Sollte sich dies als Irrtum herausstellen, hätte es der frei agierende Software-Geist geschafft, in den kapitalistischen Kernländern Billionen-Vermögen zu entwerten.

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