Streik der Konzerne

Telekom und Bahn Mit Blick auf die Kapitalmärkte versäumen Unternehmen, ihre Dienstleistungen im öffentlichen Interesse auszubauen

Zentrale Infrastrukturen in private Hände zu geben, ist kurzsichtig, auch wenn es oft als alternativlos präsentiert wird. Wie aktuell diese lange verschüttete Einsicht bleibt, offenbaren zwei Meldungen, die scheinbar wenig miteinander zu tun haben.

"Brüssel verklagt Deutschland", meldet die Süddeutsche Zeitung Ende Februar. Die EU-Kommission moniert das neugefasste Telekommunikationsgesetz, wie es der Bundestag Ende vergangenen Jahres verabschiedet hat. Damit räumt Berlin der Deutschen Telekom das befristete Monopol auf die VDSL-Zugangsnetze ein, die sie in ausgewählten Ballungsräumen neu errichtet. VDSL ermöglicht durch Glasfaser bis zum "grauen Kasten" am Straßenrand, TV-Empfang, Telefon- und Internetanschluss zu kombinieren - und das über jenen Draht, an dem früher einmal nur das Telefon hing. Fast zeitgleich titelt die Financial Times Deutschland "Netzstreit lähmt Bahn-Privatisierung", denn laut Rechnungshof weist die Bahn zwischen 2001 und 2005 eine Instandhaltungslücke von circa 1,5 Milliarden Euro auf. Außerdem verzichtete das Unternehmen von 1999 bis 2005 auf Bundesmittel von rund 1,4 Milliarden Euro. Sie waren für den Aus- und Neubau von Strecken bestimmt und hätten aus eigener Tasche aufgestockt werden müssen. Die Bahn will an die Börse und ihre Bilanz soll kapitalmarktfähig aussehen - also Gewinn ausweisen, koste es, was es wolle. Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Schienennetzes haben da zurückzustehen.

Mehr Regulation

Bei der Bahn wie bei der Telekom - es geht um Netze, ob man sie ausbaut und ob man in ihre Erhaltung investiert. Das bisherige Telekommunikationsgesetz folgte den Öffnungs- und Entbündelungsvorschriften der EU. Von diesen Richtlinien nimmt die Bundesregierung die Telekom nun indirekt aus. Berlin will den Konzern auf diese Weise motivieren, seine Netze auszubauen. Damit gesteht die Regierung ein: Ohne Aussicht auf Extraprofite unterbleiben solche Investitionen. Die Telekom droht bereits, sie werde den weiteren Ausbau stoppen, sollte sie kein Monopol auf das neue Zugangsnetz erhalten. Dabei handelt es sich um mehr als nur starke Worte, wie die australische Telstra vergangenes Jahr zeigte. Auf Entbündelungs- und Öffnungsvorgaben der Regierung antwortete der Telekommunikationskonzern, indem er kurzerhand geplante Investitionen in Höhe von vier Milliarden australischer Dollar strich.

Das illustriert, wie die praktisch überall durchgesetzte Privatisierung der Telekommunikationsinfrastruktur den Staat in ein Dilemma versetzt. Mit dem technischen Fortschritt wachsen die Größen- und Verbundvorteile eines einheitlichen Netzes und verdammen eine Aufteilung in konkurrierende Bruchstücke zur Ineffizienz. Mit Hilfe von Entbündelungsvorschriften muss also ein Markt geschaffen werden, der sonst gar nicht erst entstehen würde. Die Preise auf diesem Pseudomarkt gehen deshalb nicht auf das sonst vielgepriesene Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage zurück. Von der Regulierungsbehörde verordnet bleiben sie politisch umstritten.

Allein solche Eingriffe ermöglichen die Wahl zwischen verschiedenen Anbietern, welche die von ihnen verkauften Leistungen zum großen Teil nicht selbst erbringen. Aus der ideologisch gewünschten Privatisierung und Liberalisierung erwächst somit nicht weniger, sondern mehr Regulation. Allen Bürgern zeitgemäße Informations- und Telekommunikationsdienste bereitzustellen, erweist sich unter diesen Bedingungen als ähnlich aussichtsreich wie die Quadratur des Kreises. Was das Telekommunikationsgesetz als Universaldienst definiert, fällt weit hinter die Rhetorik von der "Informationsgesellschaft" zurück, in der sich Politiker aller Fraktionen so gern ergehen.

Profitorientierte Unternehmen wie die Telekom investieren vornehmlich, wenn sie ein Ergebnis erwarten, das die Kapitalmärkte in gute Laune versetzt. Könnten die Resultate dort Unmut hervorrufen, unterbleibt die Investition. Daher entsteht vorzugsweise in und zwischen den Verdichtungsräumen moderne Infrastruktur, nur bei besonders profitträchtigen Kunden auch bis an die Haustür. Auf dem flachen Land hingegen verfallen ohnehin schon veraltete Installationen, wie Luftleitungen im romantischen Wildwest-Stil, die von Blitzschlag und Vereisung bedroht sind. Während man über das Nachfolgemodell VDSL diskutiert, steht in manchen Regionen noch nicht einmal das einfachere TDSL zur Verfügung. Ob VDSL wie vorgesehen funktioniert, bleibt überdies fraglich.

Ideologisches Phantom

Der Fachzeitschrift Computerwoche zufolge hat die Telekom in den vergangenen Jahren bei Neuinstallationen am Kupfer gespart. Diese Symptome verweisen auf ein Muster, das man auch anderswo finden kann: Die Bahn hält einige Strecken nur unzureichend instand, andere hat sie still gelegt, und die Post weist ein deutlich ausgedünntes Filialnetz auf. In allen diesen Fällen bildet die Orientierung am Kapitalmarkt den Hintergrund.

So präsentiert sich eine unattraktive Alternative: Die zwischen einem instabilen Markt, den eine Politik schafft, die sich mehr an ideologischen Phantomen orientiert als an den technisch-wirtschaftlichen Realitäten, und einem privaten Monopol, das sich letzten Endes immer als Machtmissbrauch buchstabieren lässt.

Die Begehrlichkeiten der Telekom-Konzerne reichen noch weiter als nur bis zur Tasche der Endnutzer: In den USA verlangen sie, die so genannten Inhaltsanbieter (seien es Online-Zeitungen, Mail-Provider, Suchmaschinen oder Blogger) für eine mehr oder weniger bevorzugte Durchleitung entsprechend zur Kasse zu bitten. Die dort zuständige Behörde verzichtet schon länger darauf, den Breitbandanschluss ans Internet zu regulieren.

Statt nur über Netzneutralität zu diskutieren - mithin die Gleichbehandlung jedes Inhalts zu fordern - ist eine breitere Debatte zu eröffnen: Was ist eine ausgewogene Infrastruktur, wer verfügt über sie, wer erhält Zugang und zu welchen Bedingungen? Denn rein technisch gesehen könnte jeder Teilnehmer über eine praktisch kaum begrenzte Netzkapazität verfügen. Grenzen setzen nur noch die Kapitalmärkte und der Machthunger der Konzerne.


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