Wenn in dieser Woche die weltweit größte Messe für Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) öffnet, erleben wir zugleich den Auftakt zum dritten Krisenjahr in Folge. Die Branche, die von CeBIT zu CeBIT denkt wie andere von Neujahr zu Neujahr, ist im Vorjahr allein in Deutschland um 2.000 Unternehmen geschrumpft, ihre Umsätze sind rückläufig, in manchen Bereichen sogar dramatisch eingebrochen, und die Anzeichen für eine Besserung sind eher schwach. Die Zahl der Aussteller liegt dieses Jahr noch einmal zehn Prozent unter der von 2002, und es fehlen wichtige Namen.
In gewohnt großspuriger Weise werden dennoch die Sprecher der anwesenden Unternehmen jegliche Verantwortung von sich weisen: An der Krise seien natürlich die anderen schuld, die Politiker vor allem, die zu hohe Regulationsdichte, die Abgabenlast und die zu teuren UMTS-Lizensen, die mangelnde Förderung ihrer Anliegen und der deutsche Rückstand auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Auch die üblichen Heilmittel wird man verkünden: Aufhebung des Kündigungsschutzes, Steuersenkungen, massive Investitionen in die Elektronifizierung der Verwaltung, in die Ausstattung der allgemeinbildenden Schulen mit ICT-Gerät und in entsprechende Ausbildungsgänge.
Kaum eine Industrie setzt ihr Wachstum und Wohlergehen so unverfroren mit dem der Gesellschaft gleich wie diese. Schon der simple Gedanke, dass der Erfolg der ICT, der sich darin äußert, dass ihr Anteil am gesellschaftlichen Produkt gestiegen und sie damit der Dimension einer Nischenindustrie, an der die Wirtschaftszyklen vorbeigehen, deutlich entwachsen ist, scheint viele ihrer Vertreter zu überfordern.
Die Unternehmen frieren derweil ihre ICT-Budgets auch für die kommenden Jahre ein. Das Augenmerk liegt an vielen Stellen darauf, die im vergangenen Jahrzehnt beschafften Systeme endlich mit Leben zu füllen und am Leben zu erhalten. Unrealistische Planungen und schlechtes Projektmanagement haben allzu viele Systeme hinterlassen, die keine Anwenderakzeptanz finden und weit hinter den Erwartungen zurück bleiben. Allmählich setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass wirkliche Innovationen selten sind und ihre praktische Durchsetzung viel länger braucht, als die Industriepropaganda und die weitgehend kritikunfähigen Medien behaupten. Im Monatswechsel mit viel Getöse eine neue Sau durchs globale Dorf zu treiben, stellt einen Rhythmus dar, der sich bei Abwesenheit substanzieller Innovationen nicht endlos durchhalten lässt, ohne beim Publikum Gähnen hervorzurufen.
Die neunziger Jahre waren ein Jahrzehnt, in dem die fundamentalen Innovationen der vorhergehenden drei Jahrzehnte den Weg zur Massenanwendung fanden. Dieser Vorrat ist jetzt weitgehend aufgebraucht. Hinzu kommt die Ernüchterung, dass die Grundlagenforschung nur noch dürftige Früchte liefert, weil die Branche mittlerweile ihre Überschüsse eher in den Rückkauf von Aktien und zufließendes Kapital bevorzugt in PR-Kampagnen sowie schicke Büroetagen investiert. So sind in diesem Jahr die technischen Hauptthemen eher unspektakulär und eben nur die Fortsetzung bekannter Trends. Die vorhandenen Softwaresysteme Internet-tauglich zu machen und untereinander sowie über organisatorische Grenzen hinweg zu integrieren, ist das wichtigste Anliegen. Geboten wären deshalb durchsetzungsfähige Standards und eine kohärente, stabile Infrastruktur. Wer diese unabdingbaren Voraussetzungen schaffen könnte, ist allerdings bislang nicht absehbar.
Die Einführung des vor zwei Jahren noch als Hoffnungsträger gefeierten neuen Mobilfunkstandards UMTS liegt bereits weit hinter den ursprünglichen Plänen zurück. Im Herbst wollen die wichtigsten Anbieter wenigsten die Minimalkapazität bereitstellen, die in den Lizenzbedingungen gefordert wird. Zündende Geschäftsmodelle sind jedoch nicht in Sicht. Offenkundig ist inzwischen, dass die Profitabilität der UMTS-Investitionen in immer weitere Ferne rückt. Die bereits früher (s. Freitag 13/2000) geäußerte Befürchtung, dass der Erfolg des aktuellen Mobilfunk-Standards GSM zur größten Gefahr für seinen Nachfolger werden könnte, erscheint immer realistischer.
Inzwischen etabliert sich sogar im Bereich mobiler Datendienste, für deren Verbreitung UMTS einst geschaffen wurde, eine neue Konkurrenz: Die drahtlosen lokalen Netze (WLANs), die ein weiteres Hauptthema der diesjährigen CeBIT bilden, bieten auf beschränkten Arealen mit hoher Nutzerdichte wie Bürokomplexen, Hotelanlagen, Flughäfen und Bahnhöfen einen effizienten Netzzugang für mobile Endgeräte bei vergleichsweise günstigen Kosten. Das flache Land und Stadtviertel mit ungünstiger Sozialstruktur gehen dabei leer aus. Diese Entwicklung verdeutlicht noch einmal, dass die Informations- und Kommunikationstechnologie räumliche Beschränkungen nicht aufhebt, sondern den Raum nur in neuer Weise artikuliert, indem sie ihn in Zonen ungleicher Verfügbarkeit zentraler Ressourcen teilt.
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