Wenn der Markt den Markt beseitigt

Fusionen in der US-Telefonbranche Das ehemals staatlich regulierte Monopol könnte in neuer Form wieder auferstehen

Vom "Ende einer Ära" spricht der Technologie-Informationsdienst heise online und meint die Übernahme des einstigen US-Telefonriesen AT durch den Konkurrenten SBC aus Austin (Texas). Genauer müsste es heißen: das Ende vom Ende, denn der Anfang vom Ende liegt schon mehr als 20 Jahre zurück.

Die alte AT war - als staatlich reguliertes Monopol in privater Hand - für nahezu den gesamten Telefondienst in den USA verantwortlich, bevor sie 1984 zerschlagen wurde. Bereits in den siebziger Jahren hatte AT Schritt für Schritt das Monopol im Fernverkehrsnetz aufgeben müssen. Der Konkurrent MCI konnte sich damals das Recht erstreiten, ein mit AT konkurrierendes Netz aufzubauen. Die damals neue Technik der Signalübertragung mittels Mikrowellen-Richtfunk hatte die Investitionskosten für Langstreckennetze deutlich gesenkt, und zahlreiche Kunden aus der Wirtschaft sahen darin eine Chance, sich dem für sie kostspieligen Regime der regulierten Preise zu entziehen.

Das wichtigste Ziel war dann 1984 die vertikale Desintegration: Der Rumpf-AT blieben damals das Fernverkehrsnetz, die Ausrüstungssparte, die früher von der Vermittlungsstelle bis zum Netzstecker alle Komponenten des Gesamtsystems hergestellt hatte, und die Bell Labs, die zentrale Forschungseinrichtung des Konzerns, während die Ortsnetze unter sieben neugegründeten regionalen Gesellschaften, den sogenannten Baby Bells, aufgeteilt wurden. Nach erfolglosen Versuchen, ins Computergeschäft einzusteigen, musste AT später auch das Ausrüstungsgeschäft und die Bell Labs abgeben. Sie wurden 1995 in die neugegründete Lucent eingebracht, die 1996 aus dem Konzernverbund ausschied.

Wenn die Kinder die Mutter schlucken

Die jetzt angekündigte Übernahme der verbliebenen Reste von AT durch SBC ist eine feine Ironie der Geschichte, gleichsam eine Wiedervereinigung mit umgekehrtem Vorzeichen. Denn SBC ist aus der Fusion von dreien der ehemaligen Baby Bells hervorgegangen. Außer den Ortsnetzen im Süden und Westen der USA kontrolliert SBC als Mehrheitsaktionär auch den größten Mobilfunkanbieter Cingular, der bereits zuvor AT Wireless, den Mobilfunkbereich der ehemaligen Mutter, übernommen hatte.

Dem Drang zur vertikalen Integration scheinen die Telefongesellschaften kaum widerstehen zu können. Auch Verizon, die Gesellschaft, die im Nordosten der USA eine vergleichbare Position wie SBC innehat, sucht nach Übernahmekandidaten. In Frage kämen die AT MCI, Sprint oder Quest. Wie das Wall Street Journal vermeldet, sei die schwer angeschlagene MCI, die 2002 Schutz vor ihren Gläubigern suchen musste, das bevorzugte Ziel.

AT selbst hatte zuvor schon versucht, wieder im Ortsbereich Fuß zu fassen, und zwar durch Übernahme von TV-Kabelgesellschaften. Prinzipiell wäre es möglich, den Teilnehmeranschluss über das TV-Breitbandkabel zu führen, doch wäre dazu eine Aufrüstung der Kabelnetze nötig, die bisher nur den Transport von Signalen von der Einspeisestelle zum Kunden erlauben, aber nicht in umgekehrter Richtung. Einige Kabelbetreiber denken auch darüber nach, doch entsprechende Angebote sind bisher rar und beschränken sich auf wenige prosperierende städtische Verdichtungsräume, wo Aussicht auf eine schnelle Rendite besteht, weil eben auch diese Maßnahme zuerst finanziert werden muss. AT jedenfalls konnte die teuer erworbenen Kabelgesellschaften nicht halten: Zu sehr drückten die Schulden, die man für die Akquisitionen und für den kostspieligen Netzausbau aufgenommen hatte. Vor allem nachdem die New Economy-Blase im Jahr 2000 geplatzt war, verschärften sich die Finanzierungsbedingungen drastisch, und gleichzeitig wurden die Gewinnaussichten schlechter, weil das Nachfragewachstum zu schwach war, um den vorher geschaffenen Kapazitäten der Telefon-Branche noch zu entsprechen. Diesem doppelten Druck muss nun AT offenbar Tribut zollen.

Wenn Manager Regulierung loben

Universaldienst für die Nation und eine zwar beschränkte, doch verlässliche Rendite für die Aktionäre, deren Berechnungsformel langfristige Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur motivierte - das waren einst die Eckpunkte des regulierten Monopols, das bereits 1913 geschaffen und 1936 im Rahmen der New-Deal-Politik durch Bestimmungen ergänzt wurde, die dessen Transparenz und Nutzen für die Masse der Bevölkerung erhöhen sollten. "One system, one policy, universal service", so formulierte Theodore Vail, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vorstandsvorsitzender der AT war, die Politik des Konzerns. Die ökonomische Begründung für das Monopol ist die so genannte Subadditivität der Kostenfunktion, soll heißen, dass die Kosten pro Telefoneinheit sinken, je größer das Telefonnetz und die Zahl der Teilnehmer ist.

Beim Fernmeldenetz sei dieser Zusammenhang nicht mehr gegeben, behaupten die Vertreter der Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik. Der Markt sorge hier für Effizienz, und staatliche Eingriffe seien kontraproduktiv. Doch ein genauerer Blick auf die technologische Entwicklung entlarvt diese Behauptung als Illusion. Für die Mikrowellentechnik der siebziger Jahre mag der Vorwand noch zutreffen, für die Lichtwellenleiter und die digitale Vermittlungstechnik des 21. Jahrhunderts gilt wieder "big is beautiful".

Die Betreiber von Fernverkehrsnetzen - AT, MCI, Sprint, Quest - leiden unter ihren Überkapazitäten, die sie im vergangenen Jahrzehnt aufgebaut haben. Jede der Gesellschaften könnte das Geschäft auch allein machen. Der Druck zur Konzentration ist immens, und die Fusionswelle wird weiter rollen. Der Nobelpreisträger für Ökonomie, Joseph Stiglitz, äußert in seinem neuesten Buch über die "Roaring Nineties" den Verdacht, dass die Leute, die so lauthals die Marktkonkurrenz als Allheilmittel anpreisen, in Wirklichkeit auf das Monopol spekulieren, da ihnen klar geworden ist, dass alle ökonomischen und technologischen Kräfte dahin treiben - auf ein unreguliertes Monopol natürlich, das vor allem den Aktionären nutzt, weniger jedoch eienr Mehrheit der Konsumenten. Es sieht so aus, als ob der alte Vail Recht gehabt hat mit seiner bald hundert Jahre alten Formel. "We welcome regulation" - auch dieses Zitat wird ihm zugeschrieben. Welch ein Wort von einem Vorstandsvorsitzenden.


Die Legende AT

Bis zu ihrer Zerschlagung im Jahre 1984 war die US-Telefongesellschaft AT ein eigenwillig konstruiertes Unternehmen. Im Zentrum der staatlichen Regulierung stand die Quersubventionierung der Ortsnetze durch die Ferngespräche, um den sogenannten Universaldienst zu gewährleisten: Unabhängig von den Kosten und unabhängig von den Erträgen des einzelnen Anschlusses sollte jeder Teilnehmer dieselben Zugangschancen haben. Obwohl der Anschluss einer abgelegenen Farm in Wyoming ungleich teurer war als der einer Anwaltskanzlei in New York und obwohl diese viel mehr zum Gewinn des Netzbetreibers beitrugen als jene, sollten die Anschlussgebühren, die in den USA als "Flat rate" auch alle Ortgespräche einschlossen, in beiden Fällen gleich und damit auch für die Farmer erschwinglich sein.

Mit den überhöhten Fernsprechgebühren wurde darüber hinaus eine umfassende Grundlagenforschung in den "Bell Laboratories" finanziert. Aus der Arbeit an den "Bell Labs" sind zahlreiche Physik-Nobel-Preise und Turing Awards (inoffizieller "Nobel-Preis für Informatik") hervorgegangen. Nicht nur der Transistor wurde dort erfunden, auch das Betriebssystem Unix, die Programmiersprachen C und C++ und alle Maßnahmen, die dazu dienten, das Fernmeldenetz nach den Vorstellungen der Militärs robust zu machen, entstanden in dem Großlabor im Bundesstaat New Jersey.

Die Militärs zählten neben den Gewerkschaften - auch solche Allianzen gibt es - zu den entschiedensten Gegnern der Zerschlagung des Monopols. Sie fürchteten zurecht, dass Robustheit und Zuverlässigkeit im Verhältnis zur Rendite an Gewicht verlieren, wenn diese nicht mehr an das Anlagevermögen gekoppelt ist. Entsprechendes gilt auch für die Grundlagenforschung. Die "Bell Labs" haben ihre frühere Rolle längst verloren. Je wichtiger die Telekommunikation als Medium für die Koordination verteilter Prozesse wurde und je stärker deren Anteil an den Kosten wuchs, desto weniger waren die Unternehmen bereit, auf diesem Wege zur Finanzierung des sogenannten Universaldienstes beizutragen.

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