Bombenstimmung in Korea

Hoch gepokert Pjöngjang zieht einen womöglich letzten Trumpf, um direkte Gespräche mit der US-Administration zu erzwingen

Erneut hat Nordkoreas Führung bewiesen, wie schnell sie ihrem Land zur größtmöglicher Aufmerksamkeit verhelfen kann. Am 3. Oktober kündigte sie an, in absehbarer Zeit erstmals eine Atombombe testen zu wollen, um sich des wachsenden Drucks der USA zu erwehren - schon am 9. Oktober war es soweit.

Was außenstehenden Beobachtern als höchst irrationale Politik erscheinen mag, folgt streng etatistischem Kalkül. Nichts wird in Pjöngjang mehr gefürchtet, als nach Afghanistan und Irak das nächste Opfer eines von außen erzwungenen Regimewechsels zu werden. Um das zu vermeiden, wurde in den zwölf Jahren seit dem Tod des "Großen Führers" Kim Il Sung oft hoch gepokert und blieb auch beim Timing dieses Nuklearversuchs nichts dem Zufall überlassen: Am 8. Oktober, 24 Stunden vor dem Test, jährte sich zum neunten Mal der Tag, an dem Kim Jong-Il seine Führungsposition in Staat und Partei endgültig gefestigt hatte. Am 9. Oktober sollte Südkoreas Außenminister Ban Ki-Moon in New York publicityträchtig als neuer UN-Generalsekretär vorgeschlagen werden. Schließlich - auch das dürfte von Belang gewesen sein - empfing zur gleichen Zeit Chinas Regierung mit Shinzo Abe erstmals nach Jahren wieder einen japanischen Premierminister in Peking.

Blicken wir zurück, im Sommer 1994 war ein erster heftiger Streit um Nordkoreas Nuklearanlagen entbrannt - Bill Clinton erwog eine Intervention. Als ihn freilich General Gary Luck, US-Oberbefehlshaber in Südkorea, ins Bild setzte, ein solcher Feldzug könne nicht nur sechs Monate dauern, sondern bis zu 100.000 US-Soldaten das Leben kosten, wurde eingelenkt. Ex-Präsident Carter handelte in Pjöngjang einen Vertrag aus, demzufolge der Kernkraftkomplex Yongbyon still zu legen und von der Internationalen Atomenergie-Behörde (IAEO) zu überwachen sei - eine Konzession als Teil eines Agreed Framework.

Anfang 2003 loderte der zweite Atomstreit: Nordkorea warf den Amerikanern vor, durch verweigerte Energielieferungen das Agreed Framework gebrochen zu haben, und glaubte sich legitimiert, sein Nuklearprogramm wieder aufzunehmen, die IAEA-Inspektoren zu suspendieren und aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen. Spätestens seit der Irak-Invasion im März 2003 reklamierte Nordkorea - George Bush hatte den Staat gerade als Teil der ominösen "Achse des Bösen" erkannt - sein Recht, zum Selbstschutz ein größtmögliches Abschreckungspotenzial zu unterhalten. Man fühlte sich darin bestätigt, als der einstige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark im Mai 2005 erstmals gegenüber CNN einräumte, die nordkoreanische Armee gemäß dem Konzept des CONPLAN 8022 notfalls durch "zielgenaue Nuklearschläge auszuschalten".

Trotz dieser Umstände gelang der so genannten Sechser-Runde, bestehend aus China, den USA, Japan, Russland sowie Süd- und Nordkorea - im September 2005 der Durchbruch: Nordkorea versprach auf sein Nuklearprogramm zu verzichten und wieder dem Atomwaffensperrvertrag zu folgen. Im Gegenzug erklärten die USA, sie hätten weder die Absicht, Nordkorea anzugreifen, noch Kernwaffen an dessen Grenzen zu dislozieren. Bei der erstrebten Normalisierung der Beziehungen blieb strittig, wer zuerst welchen Schritt tun sollte - allein dem Prinzip "Verpflichtung gegen Verpflichtung" wollte man gehorchen. Schon einen Monat nach diesem Agreement ward es freilich um die neue Glückseligkeit geschehen: Washington warf Pjöngjang vor, durch die in Macau ansässige Banco Delta Asia eine fortgesetzte Finanzierung seines Atomprogramm zu sichern - für die Nordkoreaner war hernach die fortgesetzte Präsenz in der Sechser-Runde obsolet.

Womöglich wurde mit dem ersten Bombentest nun eine letzte Trumpfkarte gezogen, um direkte Gespräche mit der US-Regierung zu erzwingen. Nicht unbedingt eine Verzweiflungstat, zuletzt wurden selbst bei Bushs Republikanern Stimmen laut, die statt einer unerbittlichen Konfrontation und angesichts kaum noch beherrschbarer Konflikte im Nahen Osten für Verhandlungen plädieren. Die unterirdische Detonation im Nordosten Koreas war schwach genug, um sich in dieser Auffassung bestärkt zu sehen.


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