Der Sheriff von Davao

Philippinen Im südphilippinischen Davao wurden im vergangenen Jahrzehnt 800 Menschen, meist Jugendliche, von Todesschwadronen getötet. Der Bürgermeister beschwört law and order

Sie sind vermummt, tragen Baseballmützen oder schwarze Helme und Jacken, um darin ihre tödlichen Waffen zu verbergen. Meist preschen sie zu zweit auf einem Motorrad ohne Nummernschild heran, um ihr Opfer mit gezielten Kopfschüssen niederzustrecken oder mit Eispickeln zu erschlagen. So schnell die Täter kommen, so schnell verschwinden sie auch – am helllichten Tage, ohne Furcht, von Passanten erkannt, von Polizisten verfolgt, geschweige denn durch spätere Zeugenaussagen vor Gericht belastet zu werden. Sie haken buchstäblich die Namen auf Listen ab, die ihre Hintermänner und Auftraggeber erstellt haben. Diese Listen, Order of Battle genannt, enthalten die Namen von Personen, die verdächtigt werden, kriminelle Delikte begangen zu haben – Drogenschieberei, Taschendiebstahl, Straßenraub. Häufig sind die Opfer Kinder und Jugendliche, deren einziges „Verbrechen“ darin bestand, auf belebten Marktplätzen herum zu lungern.

Die Rede ist von gedungenen Schergen, die notfalls auch schon für mickrige 500 Pesos (umgerechnet acht Euro) ihr mörderisches Auftragsgeschäft erledigen. Sie firmieren unter so schillernden Namen wie Die Berüchtigten oder Retter des Volkes und sind in Wirklichkeit Mitglieder von Bürgerwehren, die, sofern sie in den vergangenen Jahren überhaupt Beachtung in den Medien fanden, als Todesschwadronen bezeichnet wurden. Auf der größten südphilippinischen Insel Mindanao ist die Davao Death Squad (DDS), die in der Metropole Davao City ihr Unwesen treibt, landesweit am meisten gefürchtet. Davao ist flächenmäßig die größte Stadt des Inselstaates und sähe sich mit ihren etwa 1,5 Millionen Einwohnern gern auch als blühendes regionales Touristenzentrum. Zumindest, wenn es nach dem Willen des heute 64-jährigen Rodrigo R. Duterte gehen würde, seit vielen Jahren Bürgermeister der Stadt.

Dutertes „Wilder Osten“

Das Markenzeichen dieses Mannes: Er liebt markige Worte, denen er umgehend Taten folgen lassen will. Und: Er ist ein glühender Verfechter von „law and order“, ein manisch repressiver Saubermann. Mitarbeitern des philippinischen Zentrums für investigativen Journalismus vertraute Duterte bereits Ende 2002 in einem Gespräch sein Erfolgsrezept an: „Wenn Wahlen sind, sage ich den Leuten immer wieder klipp und klar: Wenn ihr einen Bürgermeister wollt, der keine Kriminellen tötet, dann sucht euch gefälligst einen anderen Bürgermeister. Ich wurde 1988 gewählt, 1992 wiedergewählt, 1995 im Amt bestätigt und auch 2001, 2004 und 2007 aufs Neue gewählt. Die Leute akzeptieren mich. Das ist halt mein Erfolgsrezept.“ Bevorzugt lässt sich Duterte in den Medien mit einem Gewehr abbilden, stets und überall unermüdlich im Einsatz für das Wohlergehen „seiner“ Stadt und deren Geschäftsleute. „Kriminelles Gesindel“, „herumlungernde Bettler und Straßenkinder“, so tut er bei jeder Gelegenheit kund, „verunstalten“ das Stadtbild und „vermiesen“ dem Business die Geschäfte. Um solche Verhältnisse zum Besseren zu wenden und Kriminalität in „seiner“ Stadt einen Riegel vorzuschieben, heißt Duterte das Werk der Todesschwadronen gut und hält nicht mehr viel von ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren. Es waren anfänglich nur wenige mutige Stimmen von sozialen Aktivisten lokaler Bürgerrechtsorganisationen und von Lokalreportern zu hören, die sich nicht scheuten, dies anzuprangern.

Die "Spatzeneinheiten" der KP

Immer wieder hat Bürgermeister Duterte die Existenz von Todesschwadronen in seiner Stadt rundweg abgestritten. Und der überwiegende Teil der Davaoeños vertraut ihm. Schließlich verkörpert er für sie die Wiederkehr von Stabilität und öffentlicher Ruhe nach unruhigen Zeiten. In Davao, dessen Stadtteil Agdao in den neunziger Jahren wegen der angespannten politischen Lage von den Linken in „Nikaragdao“ umbenannt wurde, operierten seinerzeit sparrow units ("Spatzeneinheiten") als Liquidationskommandos der Neuen Volksarmee, des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei (CPP). Diese Kommandos rekrutierten sich aus CPP-Mitgliedern, die statt der von der Partei propagierten „Strategie des langwierigen Volkskrieges“ die „direkte Insurrektion“ bevorzugten. Mit der Folge, dass bald nicht mehr die Politik über die Gewehre, sondern umgekehrt Gewehre die Politik bestimmten. Im Sog dieses Militarismus und verheerender militärischer Rückschläge größerer bewaffneter Einheiten ordneten führende CPP-Kader auf Mindanao die „Reinigung der eigenen Ränge“ an. Oplan Kahos (Operation Knoblauch) tauften sie diese Aktion, in deren Verlauf zirka 1.000 Mitglieder als vermeintliche Spitzel ihr Leben verloren. Andererseits war Mindanao seit der autokratischen Herrschaft von Ferdinand Marcos zwischen 1966 und 1986 landesweit das Hauptaufmarschgebiet der Streitkräfte und Polizei, um dort den muslimischen und kommunistischen Aufstand „auszumerzen“.

Anfang 2003 berief Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo den militanten Bürgermeister höchstpersönlich in den Stab ihrer Sicherheitsberater, denn sie baute auf seine Expertise in Sachen Verbrechensbekämpfung. Ein Skandal, wie nationale Menschenrechtsorganisationen befanden. Doch die seit Januar 2001 amtierende Präsidentin steckt dermaßen tief in einem Sud von Skandalen, Korruptionsfällen und Wahlmanipulationen, dass die „Duterte-Affäre“ nicht weiter ins Gewicht fiel. Die Praxis außergerichtlicher Hinrichtungen missliebiger Oppositioneller und die unter Arroyo gepflegte Kultur der Straffreiheit gerieten erst in den vergangenen beiden Jahren ins Visier internationaler Kritik. Unter anderen prangerten der UN-Sonderberichterstatter, Professor Philip Alston, sowie Amnesty International und Human Rights Watch, die Arroyos Politik öffentlich an.

Lauter werdende Kritik

Diese Kritik wird nun auch im Lande selbst lauter. Der Philippine Daily Inquirer, eine der auflagenstärksten Tageszeitungen in dem Inselstaat, zitierte Ende März Passagen aus einem Sitzungsprotokoll der Stadtverwaltung von Davao im Februar. Während dieser Sitzung, so das Blatt, habe Bürgermeister Duterte seine zuvor mehrfach öffentlich geäußerte Ansicht wiederholt, Kriminelle hätten in Davao nichts zu suchen und würden erschossen. „Wenn jemand in meiner Stadt etwas Illegales tut, wenn ein Krimineller oder jemand als Teil eines Syndikats unschuldige Leute belästigt“, erklärte er, „dann sind sie, solange ich Bürgermeister dieser Stadt bin, ein legitimes Ziel einer Hinrichtung.” Und unmissverständlich fügte Duterte hinzu, dass die Polizei angewiesen sei, im Falle von Widerstand bei Festnahmen sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. „Sie (die Polizisten) werden auf deinen Kopf zielen, um sicher zu sein, dass du auch tot bist.“


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