In den turbulenten Tagen vom 22. zum 25. Februar 1986 wurde der langjährige US-Protegé Ferdinand Marcos durch eine "People Power-", mitunter auch "Rosenkranzrevolution" genannte Volksbewegung gestürzt und mit einem US-Militärflugzeug ins Exil nach Hawaii ausgeflogen. Nie mehr, so schallte es auf den Straßen Manilas und anderer Metropolen des Inselstaates, werde man es so weit kommen lassen, dass eine kleine Clique das Land autokratisch, teilweise mit Kriegsrecht regiert und dessen Ressourcen nach Strich und Faden plündert. Wirklich nicht?
Hotline zum Wahlleiter
"Wenn Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo nach etlichen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschnürenden Exekutivorders nunmehr auch noch ihr Antiterror-Gesetz im Kongress durchbringt", schrieb Girlie Padilla, Generalsekretärin der Ökumenischen Bewegung für Gerechtigkeit und Frieden in einer Erklärung am 16. Dezember 2005, "dann sind wir auf dem besten Wege zurück in die dunkle Zeit des Kriegsrechts. Die Ähnlichkeiten zum Jahr 1972 (als Marcos das Kriegsrecht verhängte, R.W.) sind frappierend, wirtschaftlich ist die Lage katastrophal, die politische Krise vertieft sich von Woche zu Woche, und die Präsidentin ist nur damit beschäftigt, an der Macht zu bleiben. Wer heute ein Verbrechen begeht, kann als Terrorist abgestempelt werden. Wer gegen die Regierung protestiert, kann ebenfalls unter Terrorverdacht festgenommen und auf unbestimmte Zeit inhaftiert werden. Der Umgang mit den Menschenrechten unter Präsidentin Arroyo ist mit Abstand der verwerflichste in der Post-Marcos-Ära." Diese Aussage Padillas gilt nicht zuletzt der Tatsache, dass allein im Jahr 2005 152 Menschen von Einheiten der Streitkräfte und Nationalpolizei erschossen wurden. Was erst wird geschehen, wenn einmal das Antiterror-Paket in Kraft ist?
Selbst Medien- und Kirchenleute fielen der Kommunistenjagd der Armee zum Opfer, auch wenn sie mehrheitlich Führer von Arbeiter- und Bauernverbänden sowie Gewerkschaften oder Mitglieder linker Parteien traf: So am 16. Januar die 61-jährige Bauernführerin Ofelia Rodriguez oder am 30. Januar zwei weitere Aktivisten der Partei Bayan Muna (Das Volk zuerst). Der Kongressabgeordnete Crispin Beltran kochte vor Wut: "Die Mordserie wird mit jedem Tag, den die Präsidentin im Amt bleibt, verlängert." Sie bedrohe jeden Bürger, der Kritik an der Arroyo-Administration übe, Journalisten und Rechtsanwälte ebenso wie Menschenrechtsaktivisten, die Blutspur führe direkt zur Tür des Malacañang-Palastes (Arroyos Amtssitz - R.W.).
Ins Kreuzfeuer öffentlicher Kritik geriet die Präsidentin besonders im Sommer vergangenen Jahres. Zuerst wurde Mitgliedern ihrer Familie vorgeworfen, tief in Korruptionsaffären verstrickt zu sein und Schmiergelder von Operateuren illegaler Glücksspiele angenommen zu haben - dann kam zu Tage, dass Arroyo ihre Wahl im Mai 2004 möglicherweise durch Manipulation gewonnen hatte. Ende Juni 2005 musste sie zugeben, noch während der Stimmenauszählung mehrfach mit dem nationalen Wahlleiter telefoniert und ihn gebeten zu haben, ihr einen Vorsprung von einer Million Stimmen zu sichern. Schließlich sah sich Arroyo gezwungen, die Authentizität der von Militärs mitgeschnittenen Telefonate zuzugeben und sich mit Stoßgebeten zu entschuldigen.
Der Kongressabgeordnete Renato Magtubo von der Partido ng Manggagawa (Arbeiterpartei) erklärte dazu: "Ich will nicht, dass Frau Arroyo ihres Amtes enthoben wird. Ich will, dass sie gestürzt wird. Die Losung der Stunde lautet: Tretet alle zurück! anstatt Gloria, tritt zurück! Wir brauchen eine revolutionäre Übergangsregierung."
Mitte 2005 sackten denn auch die Umfragewerte der Staatschefin weiter ab. Und die noch immer quirlige Opposition aus Marcos-Anhängern und Freunden des im Januar 2001 wegen Korruption aus dem Präsidentenamt gejagten Joseph Estrada machte gegen die Präsidentin ebenso Front, wie es die einflussreiche katholische Bischofskonferenz, Teile des Big Business und des Militärs taten. Etliche Bürger- und Menschenrechtsgruppen werfen sich heute selbstkritisch vor, ihr politisches Gewicht vor fünf Jahren in einer Neuauflage von "People Power" für GMA in die Waagschale geworfen zu haben. Und selbst aus den eigenen Reihen erntet die Präsidentin nur mäßiges Lob - während sie aus Washington völlig andere Töne hört. Die Bush-Regierung schätzt das "Antiterror"-Engagement Arroyos außerordentlich und gewährt den Philippinen 2006 eine erhöhte Militärhilfe von annähernd 100 Millionen Dollar. Die Gelder sind vorrangig für den Ausbau der Marine und "Antiterror"-Maßnahmen inklusive gemeinsamer amerikanisch-philippinischer Manöver im Süden der Inseln gedacht.
Die Todesliste der YOUng
Der renommierte philippinische Sozialwissenschaftler Walden Bello und Mitarbeiter des in Bangkok ansässigen globalisierungskritischen Forschungsinstituts Focus on the Global South sowie der Soziologischen Fakultät der University of the Philippines veröffentlichten im Vorjahr eine Analyse der ökonomischen Lage auf den Philippinen. Demnach betrage die Unterbeschäftigung etwa 40 Prozent, während sich die offizielle Arbeitslosigkeit von 12 Prozent im Jahr 1986 auf 15 Prozent 2004 erhöht habe. Zog es 1986 380.000 Filipinos ins Ausland, um dort zu arbeiten, so war deren Zahl 2004 um knapp das Dreifache auf eine Million Jobsuchende gestiegen. Trotz der offiziell registrierten Senkung der Armutsrate im Lande, betrachten sich 57 Prozent der Bevölkerung als arm. 1983, als die Krisenwirtschaft unter Marcos ihren Zenit erreichte, waren es 55 Prozent. Nicht nur vermochten die Reichen ihren Reichtum zu mehren. Diese Klientel ist heute stärker denn je in der Regierung verankert; 27 Prozent der Kongressabgeordneten entstammten 1962 den gut betuchten Schichten - 2004, mehr als 40 Jahre später, war der Anteil auf 50 Prozent gestiegen.
Selbst innerhalb der staatlichen Sicherheitskräfte rumort es, vor allem unter den Absolventen der Militärakademie in Baguio City (im Norden Manilas). Am 23. Januar warnte eine im Untergrund agierende Gruppe, die sich Young Officers Union New Generation (YOUng) nennt, den Justizminister Raul M. Gonzalez: Er selbst, die Präsidentin und ihr gerade frisch installierter Stabschef Michael Defensor stünden auf der Todesliste. Insgesamt, so verkündete der Sprecher des Zentralkommandos der YOUng, ein Oberstleutnant Arsenio Alcantara, habe seine Organisation über 200 Personen der Arroyo-Administration im Visier - darunter 40 Kongressabgeordnete, die sich Privatarmeen hielten, 47 Schmuggler, 32 Drogenbarone und 22 der größten Steuerbetrüger. Alcantara verband diese Drohung mit der Vorhersage, das "bis ins Mark korrupte Regime" werde "bald zusammenbrechen".
"Was die Situation zusätzlich verschlimmert", schrieb der in Manila erscheinende Philippine Daily Inquirer in seinem Editorial am 21. Januar, "ist die anhaltende und rücksichtslose Unbekümmertheit einer Regierung, weder grundlegende soziale Dienste für ihre Bürger bereit zu stellen, noch deren Grundrechte vor militärischen Übergriffen zu schützen. Wenn die Wiederbelebung des kommunistischen Aufruhrs anhält, sind wir bald da, wo wir gegen Ende der Marcos-Diktatur standen. Eigentlich war es sein Regime, das die Neue Volksarmee rekrutierte."
Die Neue Volksarmee (NPA), die Guerilla der Kommunistischen Partei der Philippinen, ließ durch ihren Sprecher Gregorio "Ka Roger" Rosal in einem euphorischen Statement zum Jahreswechsel ihre Sicht der Dinge darlegen. Die NPA, hieß es, verfüge heute über eine Gesamtstärke von 27 Bataillonen, sprich: 13.500 Kombattanten. Das schließe nicht die Zahl so genannter Volksmilizen ein, deren Mitglieder tagsüber als Bauern die Felder bestellten und des Nachts als Partisanen kämpften.
Der Autor befasst sich seit 1970 mit den Philippinen. Er ist Ko-Herausgeber des im Frühjahr im Horlemann Verlag (Unkel/Bad Honnef) erscheinenden Handbuchs Philippinen: Gesellschaft, Geschichte, Wirtschaft, Politik.
Die Präsidenten seit dem Sturz von Ferdinand Marcos
1986 - 1992
Corazón Aquino (Ehefrau des am 21. August 1983 von Militärs ermordeten Oppositionspolitikers Benigno Aquino)
1992 - 1998
Fidel Ramos (zweiter Mann im Armeegeneralstab unter Marcos, später an dessen Sturz beteiligt)
1998 - 2001
Joseph E. Estrada (Parteienkoalition Laban ng Makabayang Masang Pilipino/ LMMP; wegen Korruption zum Rücktritt gezwungen)
ab 2001
Gloria Macapagal Arroyo (Vizepräsidentin und Sozialministerin unter Joseph E. Estrada)
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.