Trotz einer vereinbarten Waffenruhe zwischen der Regierung in Manila und muslimischen Widerstandsgruppen bleibt die Lage im Süden der Philippinen angespannt. Mitte August erlitten auf der Insel Jolo die Regierungstruppen mit 26 getöteten Soldaten die seit Jahren schwersten Verluste. Präsidentin Macapagal-Arroyo lässt deshalb mobil machen: Seit dem 21. August gilt für Armee und Polizei landesweit Alarmbereitschaft.
Eigentlich soll die MV Nikel Princely Punkt 19 Uhr auslaufen, aber es dauert - am Pier in Zamboanga City sind auch noch eine Stunde später Menschentrauben versammelt, um sich von Verwandten oder Freunden zu verabschieden. Es dauert zur Freude der fliegenden Händler, die eisgekühlte Getränke feilbieten, und zum Verdruss der Schauerleute, die mehr Fracht nachladen müssen. Kurz vor 21 Uhr schließlich wird rasselnd der Anker eingezogen. Wie immer bei den Fährschiffen, die im Sulu-Archipel kreuzen, ist auch die MV Nikel Princely mit Handelsware, Gepäck und Passagieren überladen. An manchen Stellen dieses Seelenverkäufers scheint nur noch dick aufgetragene Farbe Schiffsplanken und Aufbauten zusammen zu halten.
General an der Front
Bald zeichnen sich am Horizont die ersten Konturen von Jolo City ab - erkennbar an den alles überragenden Minaretten der Großen Moschee. Am Pier wird mein Begleiter Amin bereits erwartet. Es sind Verwandte, die uns mit zwei Jeeps erst durch die Stadt und dann zu einem Haus außerhalb Jolos fahren, in dem wir nächtigen werden. Wilfredo (*), Mitglied der Nationalpolizei und einer der uns begleitenden Leibwächter, zeigt mir voller Stolz sein M-16-Gewehr und die Aufschrift seines T-Shirts, über die er sich vor Lachen schütteln kann: "Feel safe tonight, sleep with a Cop!" ("Fühl´ dich sicher heute Nacht, schlaf´ mit einem Polizisten!")
Die Insel Jolo könnte mit ihren Stränden und den mit üppiger Vegetation bewachsenen Hügeln eine Touristenidylle sein, wäre sie nicht seit Jahrzehnten von Militarisierung und sozialem Elend heimgesucht. Ältere Inselbewohner erinnern sich besserer Zeiten, da die gleichnamige Hauptstadt mit weit weniger als den heute 100.000 Einwohnern ein vitaler Warenumschlagplatz war - prosperierend, exotisch und sicher. Das änderte sich schlagartig seit Beginn der siebziger Jahre. Gewalt und Gegengewalt, Kidnapping in großem Stil und Drogenkonsum veränderten das Leben auf der Insel von Grund auf.
Einer der wenigen in Jolo noch praktizierenden Ärzte meint: "Viele hier sind abgestumpft. Bevor wieder Ruhe und Sicherheit einkehren, müssen die meisten erst von Neuem lernen, was Mensch-Sein und Menschlichkeit bedeuten." Seine Familie habe ihn mehrfach bedrängt, die Insel endlich zu verlassen, doch sei er nun einmal aus Jolo, schätze dessen Traditionen und müsse alles ihm Mögliche tun, um den Menschen als Mediziner beizustehen.
Ähnlich sieht das Raman Nair, der seinen zeitweiligen Wohnsitz in die Shiekh Mustafa Subdivision an der Peripherie von Jolo City verlegt hat, wo er im Auftrag des Genfer Centre for Humanitarian Dialogue arbeitet. Offiziell leitet er die GRP-MNLF Peace Working Group-Sulu, wobei GRP für "Regierung der Republik der Philippinen" steht. Natürlich sei sein Spielraum begrenzt, räumt der eloquente Raman ein: "Aber allein der Umstand, dass jemand im Auftrag einer internationalen Organisation vermittelnd tätig ist, verschafft vielen hier das Gefühl, wahrgenommen zu werden." Der gebürtige Inder veranstaltet Seminare und Workshops, die allen offen stehen. Ob er sich angesichts der immer wieder marodierenden Gewalt als einsamer Rufer in der Wüste fühle, möchte ich wissen. Einsam - meint Raman Nair - sei er keinesfalls, da es immer wieder neue Konflikte gebe, bei denen man ihn brauche. "Da ich Inder bin, falle ich nicht weiter auf und wäre zudem keine Geisel, aus der sich viel Gewinn schlagen ließe."
Als ich mit Amin in die Stadt zurückfahre, deuten mehrere Checkpoints auf erhöhte Alarmbereitschaft. Hoher Besuch aus Manila hat sich angesagt. Admiral Timothy J. Keating, seit März Befehlshaber des U.S. Pacific Command (PACOM) in Honolulu (Hawaii) und damit Herr über das weltweit größte Operationsgebiet der US-Streitkräfte, sowie US-Botschafterin Kristie Kenney wollen am nächsten Tag den Tugas-Hügel im Bezirk Patikul besuchen, wo auch die 3. Philippinische Marinebrigade stationiert ist. Ihr Blitzbesuch inklusive eines Fußmarschs durch morastiges Dschungelgelände soll die Moral der Truppe heben. Eine Art Publicity-Tour, um Erfolge im Kampf gegen die Gruppe Abu Sayyaf zelebrieren zu können. Der Tugas-Hügel war der Ort, an dem der langjährige Führer und jüngere Bruder des Abu Sayyaf-Mitbegründers, Khadaffy Janjalani, im September 2006 bei einem Feuergefecht ums Leben kam.
Während Admiral Keating Siegesstimmung verbreitet, sickert durch, dass die Abu Sayyaf nahe der Ortschaft Indanan Yasser Igasan zum Nachfolger Janjalanis gewählt haben. Igasan, so heißt es, stamme aus Jolo, habe sich jahrelang zu Islam-Studien in Libyen und Syrien aufgehalten, verfüge über gute Beziehungen ins Ausland und gehöre gleichfalls zu den Begründern der Abu Sayyaf.
Ein Feind genügt nicht
Seit dem 10. Juli gibt es auf Jolo und der vorgelagerten Insel Basilan wieder eine Hochzeit für machttrunkene Kriegstrommler, denen nicht viel gelegen ist an einer "Kultur der Mäßigung". An jenem Julitag waren 14 philippinische Marines (von 23 sprach die Führung der Bangsamoro Islamischen Streitkräfte/BIAF, des bewaffneten Arms der MILF - s. Spalte rechts) während eines Gefechts getötet worden. Zehn von ihnen fand man später enthauptet auf. Die Angehörigen trauerten noch um die Gefallenen, als die philippinischen Streitkräfte (AFP) am 9. August ihre seit Jahren schwerste Schlappe erlitten. Auf Jolo kamen allein an diesem Tag bei zwei Gefechten 26 Regierungssoldaten ums Leben. Daraufhin befahl Präsidentin Arroyo in ihrer Eigenschaft als Oberbefehlshaberin, die Kommandozentrale der Armee von Manila nach Zamboanga City in den dortigen Western Mindanao Command zu verlegen - ein in der Geschichte des Landes einmaliger Vorgang. Dort, so Frau Arroyo, bleibe die Armeespitze solange, bis die Abu Sayyaf "vernichtet" sei.
Bis Mitte August flohen nach Angaben der philippinischen Menschenrechtsorganisation Karapatan über 14.000 Menschen allein auf Basilan aus ihren Gemeinden und hinterließen Geisterorte. Jeweils 5.000 Soldaten operieren in Basilan und Jolo, unterstützt von paramilitärischen Einheiten und den U.S. Special Operations Forces. "Welch Ungleichgewicht", wundert sich der Leitartikler des Philippine Daily Inquirer, der landesweit auflagenstärksten Tageszeitung, dass "diese Soldaten eine Gruppe von 150 bis höchstens 200 Abu Sayyaf-Banditen jagen, die durch abtrünnige Elemente der Moro Nationalen Befreiungsfront ergänzt werden."
Seit Anfang 2002 - seinerzeit wurde die Region nach Afghanistan zur "zweiten Front im Kampf gegen den weltweiten Terror" erklärt - haben sich die Regierungen in Washington und Manila mehrfach des gegenseitigen Beistands im Kampf gegen die Abu Sayyaf versichert. Es verwundert nicht weiter, wenn der philippinische Verbündete auf Basilan und Jolo seit Jahr und Tag ein Verhalten kopiert, das die Amerikaner in Afghanistan vorführen: Jeder Widerstand wird pauschal als Terrorismus eingestuft. Das Böse an sich ist und bleibt zwar Abu Sayyaf, was aber nichts daran ändert, dass die philippinische Armee gleichfalls Kampfverbände der Befreiungsfront MILF attackiert, um so die anberaumten Friedensgespräche im benachbarten Malaysia zu beeinflussen. Armeekommandeure befehlen Angriffe auf laut Waffenstillstandsabkommen geschützte Hoheitsgebiete der MILF, weil die angeblich Abu Sayyaf-Mitgliedern Unterschlupf gewähre.
Die Folge: Der verkündete Feldzug gegen die Abu Sayyaf gleitet unmerklich in einen unerklärten Krieg gegen MILF-Stellungen. Anstelle eines sieht sich der Generalstab tatsächlich mit mehreren Feinden konfrontiert. Neben den genannten Protagonisten ist da noch eine Zivilbevölkerung, die dem kollektiven Verdacht ausgesetzt ist, mit "Terroristen" zu sympathisieren.
Den Wunsch an ihre Adresse, vorgebracht nicht zuletzt vom Nationalrat der Kirchen, die Operationen im Süden endlich zu stoppen, weist Präsidentin Arroyo entschieden zurück: "Wir verstehen alle diejenigen, die den Krieg beendet sehen möchten. Doch wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es in unserem Land keine Sicherheit gibt, wenn wir den Soldaten, die unsere Nation verteidigen, keine Gerechtigkeit geben können. Die Terroristen fühlten sich ermutigt, wenn sie nicht für ihre scheußlichen Verbrechen gegen unsere Soldaten-Helden zur Rechenschaft gezogen würden."
(*) Name geändert
Gelobtes Land Mindanao
Die Konflikte auf den Südphilippinen resultieren aus Jahrhunderte langer Kolonialisierung durch Spanien und die USA und der von Manila seit den fünfziger Jahren geförderten Kolonisierung. Menschen aus den nördlichen und zentralen Landesteilen wurden ermutigt, sich als Siedler im "Gelobten Land" Mindanao niederzulassen. Die Folge: Die muslimische Bevölkerung des Südens, die Moros, und die indigenen Völker (Lumad), denen bis 1900 fast das gesamte Land gehörte, sind heute Squatters auf ihrem vormaligen Grund und Boden. Seit langem weisen Regierungsstatistiken die Moro-Gebiete als die ärmsten im Lande auf.
Seit Anfang der siebziger Jahre kämpfte die Nationale Moro Befreiungsfront (MNLF) für einen unabhängigen muslimischen Staat im Süden der Philippinen. Heute ist es die weitaus größere und bedeutsamere Moro Islamische Befreiungsfront (MILF), die für das Selbstbestimmungsrecht der Moros eintritt. Während die MNLF mit der Regierung einen Friedensvertrag schloss, besteht zwischen Manila und der MILF lediglich eine vereinbarte Waffenruhe, die von einem Internationalen Monitoring-Team (Malaysia, Libyen, Brunei, Japan) überwacht wird. Seit Frühjahr 2001 laufen unter der Ägide der Regierung Malaysias Friedensverhandlungen zwischen der MILF und Manila.
Nach knapp einjähriger Unterbrechung sollten sie am 22. August in Kuala Lumpur wieder aufgenommen werden. Doch wegen der Militäroffensiven in Jolo und Basilan verschob Manila den Termin. Heikelster Punkt ist die Frage, wie das von der MILF angesprochene Problem der ancestral domain (des Gebiets der Vorfahren) dauerhaft und für alle beteiligten Parteien zufriedenstellend gelöst werden kann. Der Verhandlungsführer der MILF und deren Informationsminister, Mohagher Iqbal, gegenüber dem Freitag: "Notfalls gibt es kein Abkommen; das ist besser als ein schlechter Vertrag."
Am 2. September 1996 hatten der damalige Präsident Fidel V. Ramos und der MNLF-Vorsitzende Nur Misuari mit ihren Unterschriften ein Friedensabkommen besiegelt, das den blutig geführten Bürgerkrieg für immer beenden sollte. Kernpunkte dieses Vertrages waren die Bildung eines Südphilippinischen Rates für Frieden und Entwicklung (SPCPD), einer Beratenden Versammlung der aus vier Provinzen bestehenden Autonomen Region in Muslim Mindanao (ARMM), sowie die Integration von 7.500 Ex-Kombattanten der Bangsamoro Armee in die nationalen Streitkräfte und die Nationalpolizei. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) sollte die Autonomie überwachen. Für die MILF blieb dieses Arrangement unzureichend - Nur Misuari war für sie ein "Kapitulant", der sich den Mächtigen unterwarf.
R.W.
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