Ergraute Gesichter

Verschwiegenes Kapitel des Koreakrieges Es gab zwischen 1950 und 1953 Massaker an der Zivilbevölkerung, die erst jetzt in ihren Ausmaßen bekannt werden

55 Jahren, Ende Juni 1950, begann der Korea-Krieg. Wie eine Feuerwalze sollten die Kriegsmaschinerien des Nordens und des Südens in den folgenden drei Jahren mehrfach über die koreanische Halbinsel hinweg rollen. Was als Bürgerkrieg begann, rückte die Welt dank des Interessenkonfliktes der beiden Großmächte USA und Sowjetunion bedrohlich nahe an den Abgrund eines Dritten Weltkrieges.

Der Koreakrieg war von Anfang an auch ein Krieg der verbrannten Erde, bei dem besonders die erstmals massiv mit Napalm angegriffene Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wurde. Riesige Flüchtlingskonvois blockierten die Straßen, so dass Militärfahrzeuge häufig nicht passieren konnten. Militärkommandeure schreckten unter diesen Umständen nicht davor zurück, dieses "Hindernis" buchstäblich aus dem Wege bomben zu lassen.

Mehr als 50 Jahre mussten vergehen, bis ein verdrängtes, verschwiegenes und fast schon vergessenes Kapitel des Koreakrieges ins öffentliche Bewusstsein rückte - zahlreiche Massaker von Südkoreanern an der eigenen Zivilbevölkerung. Noch bis zum Jahr 2000 galten solche Gräueltaten als Teufelswerk nordkoreanischer Militärs. Aber die vom Kriegsschauplatz berichtenden Korrespondenten hatte es seinerzeit schon schockiert, dass die US-Soldaten alle Koreaner abschätzig "gooks" nannten, was soviel meinte wie "Untermenschen" und "zum Abschuss frei gegeben".

James Cameron, der aus Korea für die Londoner Picture Post berichtete, beschrieb im Spätsommer 1950 seine Eindrücke über ein Camp in der Hafenstadt Pusan, das er ein "südkoreanisches Konzentrationslager" nannte: "Diese Menschenmenge - nicht verurteilt, nicht einmal angeklagt, Südkoreaner in Südkorea, die man lediglich für ›unzuverlässig‹ hält. Es sind Hunderte - bis auf das Skelett abgemagert, Marionetten mit ergrauten Gesichtern, in Ketten gelegt und aneinander gebunden - zur Schau gestellt, in klassischer Manier der Unterwerfung kauernd oder wie Fötusse im Dreck liegend. Neben dieser mittelalterlich anmutenden Szene hielten sich in sicherer Entfernung amerikanische Soldaten auf. Sie beäugten lässig die Szenen und fotografierten. Mich empörte das dermaßen, dass ich die UN-Kommission darüber informierte. Dort teilte man mir lapidar mit: ›Nun gut, das ist erschütternd. Doch vergessen Sie bitte nicht - es sind Asiaten, mit unterschiedlichen Verhaltensweisen, allesamt sehr schwierig‹."

Erst im September 1999 konnte ein Team der Nachrichtenagentur AP nach aufwendiger Recherche beweisen, dass Kriegsflüchtlinge in Korea, selbst Frauen, Kinder und ältere Menschen, tatsächlich von südkoreanischen Kommandos mit Wissen und Duldung von US-Offizieren in verschiedenen Orten des Landes systematisch massakriert wurden. Kill ´em All: American Military Conduct in the Korean War nannte der Journalist Lee Williams seinen Beitrag, den die BBC am 1. Februar 2002 ausstrahlte. Williams stützte sich auf deklassifizierte Militärdokumente aus US-Archiven und auf die Recherche seiner AP-Kollegen vom Herbst 1999.

"Der Boden unter der Brücke war eine Mischung aus Geröll und Sand. Mit bloßen Händen versuchten die Menschen, Löcher in den Boden zu graben, um darin Schutz zu suchen. Andere schichteten die Körper der Toten so schnell wie möglich zu Barrikaden auf, um dahinter Schutz vor dem Kugelhagel zu suchen", berichtete Yang Hae Chan, einer der wenigen Überlebenden des Massakers von No Gun Ri, das am 26. Juli 1950 stattfand. Am gleichen Tag hatte die 8. US-Armee den Befehl erteilt: "Koreanischen Zivilisten und Flüchtlingen ist es zu keiner Zeit gestattet, die Kampflinien zu überschreiten. Bewegungen von Koreanern in Gruppen sind sofort zu unterbinden." Wenige Stunden, nachdem dieser Befehl erteilt wurde, töteten Einheiten des 7. US-Kavallerieregiments 400 südkoreanische Zivilisten, die neben, auf und unter einer Steinbrücke nahe der Ortschaft No Gun Ri südöstlich von Seoul Schutz gesucht hatten.

Was die wenigen koreanischen Überlebenden des Infernos wie Yang Hae Chan schilderten, wurde durch Aussagen von insgesamt 35 Veteranen des 7. US-Kavallerieregiments gestützt, unter anderem von Joe Jackman, der zu Protokoll gab: "Ein Leutnant schrie wie ein Besessener tobsüchtig herum - ›Feuert auf sie. Tötet sie alle‹. Ich wusste nicht, ob da Soldaten waren oder nicht. Ich sah nur viele Jugendliche. Egal, ob sie nun acht oder achtzig Jahre alt waren, blind, verkrüppelt oder verrückt - auf alle und alles wurde wie wild geschossen."

No Gun Ri war kein Einzelfall - 61 solcher Massaker aus der Zeit von 1950 bis 1953 sind bislang bekannt. Über drei Millionen Tote, hauptsächlich Zivilisten, forderte der Krieg, der bis heute nicht durch einen Friedensvertrag beendet wurde. Nach monatelangem Tauziehen kam am 27. Juli 1953 lediglich ein Waffenstillstandsabkommen zustande. Unterzeichnet wurde es von Nordkorea, der Volksrepublik China und dem US-General Mark W. Clark im Auftrag der UNO. Südkoreas Präsident Rhee Syngman weigerte sich nicht nur, das Abkommen zu unterschreiben. Er wollte den Krieg sogar fortsetzen. Erst als die US-Regierung einem bilateralen Sicherheitspakt zustimmte, ihr in Südkorea stationierter Oberbefehlshaber auch die Kommandogewalt über die südkoreanischen Truppen übernahm und Seoul beträchtliche Hilfslieferungen garantiert wurden, erklärte sich Rhee bereit, den Waffenstillstand zu respektieren.

Der Autor ist Leiter des Korea Kommunikations- und Forschungszentrums im Asienhaus (Essen).


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