Geisel business

JOLO Vom politischen Nutzen einer hausgemachten Krise

Die Bilanz der Geiselnahme auf Jolo ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Die Kidnapper halten heute mehr Menschen gefangen als zu Beginn der Entführung auf der ostmalaysischen Insel Sipadan. Und: In den Südphilippinen herrscht Krieg, während die Medien weiterhin ungeniert ihre voyeuristischen Blicke auf und hinter Hängematten richten. So verschwinden klammheimlich weit über 300.000 Zwangsevakuierte - Opfer des Militärterrors der Estrada-Regierung - hinter 38 Geiseln.

Warum kann Manila die Krise nicht lösen? Sehr einfach: Sie nützt ihr mehr, als sie ihr schadet. Denn die kriminellen Machenschaften der Abu Sayyaf diskreditieren die gesamte islamische Unabhängigkeitsbewegung in den Südphilippinen. Gleichzeitig lenkt der Geiselpoker die Weltöffentlichkeit ab vom »totalen Krieg», den Präsident Estrada den »Moro-Separatisten» erklärt hat.

Schon im März drohte der Präsident den Rebellen mit »Pulverisierung»: Zum einen saß dem ehemaligen Schauspieler nach dem Erstarken der Moro Islamischen Befreiungsfront (MILF) unter Hashim Salamat die Angst im Nacken vor einem Osttimor im eigenen Land. Zum anderen war Estradas Popularität, die er als tropischer Robin-Hood-Verschnitt bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren genossen hatte, in den Keller gesunken. Zahlreiche Korruptionsaffären, schlechte Wirtschaftsdaten und Kabalen im engsten Beraterstab demolierten sein Ansehen. Da besann sich Estrada, der lange als Bürgermeister in Manilas Stadtbezirk San Juan Teil der politischen Infrastruktur der Marcos-Diktatur gewesen war, auf die Taktiken seines einstigen Mentors: Marcos beschwor immer dann die »kommunistische Subversion» und den »Moro-Sezessionismus» als nationale Gefahr, wenn es darum ging, seine Macht zu sichern.

Nichts anderes tut Estrada. Statt den friedlichen Ausgleich mit dem muslimischen Süden zu suchen, blies er am 5. März zum letzten Gefecht gegen die MILF auf Mindanao. Oberstes Kriegsziel war die Zerstörung des Hauptquartiers Camp Abubakar - ein Schlag, der den seit Jahren schwelenden Bürgerkrieg zwischen dem katholischen Norden und den für Unabhängigkeit kämpfenden Moros richtig anfachen würde. Tatsächlich war es dann am 9. Juli soweit: Das Lager wurde von Regierungstruppen eingenommen. Per Hubschrauber angereist, hisste Estrada auf den Trümmern zerschossener Häuser die Nationalflagge und labte sich im Kreis seiner Soldateska mit kaltem Bier und gebratenem Schweinefleisch. Willkommener Nebeneffekt: Die Orgie beleidigte die religiösen Gefühle der muslimischen Bevölkerung.

Estradas Kriegstreiberei ist in Europa weitgehend ignoriert worden. Berlin, Paris und Helsinki, deren Staatsbürger unter den Geiseln sind, unterstellten Manila und seinen Chefunterhändlern beste Absichten und Friedfertigkeit bei der Lösung des Geiseldramas. So verstrich kostbare Zeit, die Estrada für seine Politik des »totalen Krieges» in Mindanao nutzte. Der Durchbruch kam nicht etwa durch die Stippvisite von Außenminister Joseph Fischer und seinem französischen und finnischen Kollegen. Vielmehr waren das vorläufig erreichte Kriegsziel Estradas - die Einnahme Camp Abubakars - und malaysische Lösegeldzahlungen, die für Bewegung sorgten. Nach außen werden solche Zahlungen strikt abgelehnt und verleugnet. Dennoch sind sie, das haben viele Entführungen in und um Jolo in der Vergangenheit gezeigt, im Interesse der Geiseln nötig. Siehe Renate Wallert.

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