Gipfelstürmer unerwünscht

ASEAN-Konferenz auf den Philippinen Anschläge des regionalen Al-Qaida-Ablegers "Jemaah Islamiyah" werden nicht ausgeschlossen

Nach annähernd 40 Jahren ihres Bestehens soll es soweit sein - die Vereinigung Südostasiatischer Nationen (ASEAN) will sich eine eigene Verfassung geben. Elder Statesmen des Staatenbundes wie der ehemalige philippinische Präsident Fidel Ramos und Indonesiens Ex-Außenminister Ali Alatas wurden vor einem Jahr mit Vorarbeiten betraut. Nun sollen die während des ab 11. Dezember in Cebu City abgehaltenen ASEAN-Gipfels begutachtet werden, um das erwünschte Dokument bis Ende 2007 verabschieden zu können. Vorzugsweise dürfte es bis dahin um die Frage gehen, ob der seit 1967 geltende ASEAN-Grundsatz, sich jeder Einmischung in die internen Belange anderer Mitgliedstaaten zu enthalten, für eine Verfassung opportun sein kann.

Bei ihrer Gründung galt der ASEAN dieses Prinzip als sakrosankt. Nichts fürchtete man mehr als externen Druck auf die seinerzeit mehrheitlich autoritären Regimes der Allianz. Heute mahnt Malaysias Premier Abdullah Ahmad Badawi gerade Letzteres zu überdenken, zumal sich die Militärjunta in Myanmar inneren Reformen kategorisch widersetzt und seit wenigen Monaten in Bangkok die Generalität regiert. Doch überwiegt unter den ASEAN-Mitgliedern bisher ein ausgeprägt etatistisches Verständnis, das der nationalen Sicherheit weit mehr Beachtung schenkt als der jeweiligen Staatsform.

Zu den ursprünglich fünf Gründern Indonesien, Malaysia, Philippinen, Singapur und Thailand stießen im Laufe der Zeit fünf weitere Länder hinzu: Im Januar 1984 das an Erdöl reiche Sultanat Brunei - es folgte 1995 nach zähen Bemühungen zunächst Vietnam als erster Staat aus dem einst von der ASEAN verfemten kommunistischen Indochina. Für Laos und Myanmar (Birma) war es zwei Jahre später soweit. Schließlich wurde 1999 das lange Zeit erfolglose Aufnahmebegehren Kambodschas erhört, so dass die Staatenassoziation derzeit eine Gesamtbevölkerung von 558 Millionen Menschen vereint und auf ein kumuliertes Bruttosozialprodukt von umgerechnet 876 Milliarden Dollar (2005) verweisen kann.

Was angesichts dieses Potenzials eine forcierte regionale Wirtschaftskooperation betrifft, so hat ASEAN-Generalsekretär Ong Keng Yong erst kürzlich deren Charakter so beschrieben: "Während die EU die freie Bewegung von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Menschen innerhalb der Territorien ihrer Mitglieder garantiert, wird die ASEAN einen einheitlichen Markt schaffen, auf dem es zum freien Austausch von Gütern, Dienstleistungen, Investitionen, Facharbeitern und zu einem freieren Kapitalfluss kommt." Die erheblichen Ströme von Migranten ohne gültige Ausweispapiere, die in der Region zu Hunderttausenden unterwegs sind und für das neue Prekariat Südostasiens sorgen, erwähnte er vorsichtshalber erst gar nicht.

Am 30. November 1996 hatten die Staats- und Regierungschefs des Bündnisses in Jakarta die Vision for ASEAN in the Year 2020 formuliert, um eine umfassende Kooperation bei Wissenschaft und Technologie, bei Verkehr, Umwelt, Sozial- und Drogenpolitik sowie innerer Sicherheit auf den Weg zu bringen. Mit Letzterem ist zwischenzeitlich auch Terrorbekämpfung gemeint - ein heikles Thema, stehen doch den Philippinen und Singapur als erklärten Sympathisanten des Greater Middle East von Präsident Bush mit Malaysia und Indonesien profunde Kritiker dieser Politik gegenüber. Abgesehen davon, dass regional bereits existierende oder in diversen ASEAN-Staaten auf die Verabschiedung wartende Anti-Terror-Gesetze so vage gefasst sind, dass sie sich vortrefflich instrumentalisieren lassen, um Oppositionelle auszuschalten.

Und die halten sich auf den Philippinen, aber auch in Malaysia und Indonesien derzeit mit Vorliebe an die Verfassungsdebatte - sie sei auf kleine, elitäre Zirkel beschränkt, kaum transparent und einzig dem neoliberalen Credo verpflichtet. Südostasiatische Bürgerrechtsbewegungen kündigen Proteste direkt am Schauplatz des Gipfeltreffens an. Sie werfen der Gastgeberin Gloria Macapagal-Arroyo vor, als Präsidentin eine Kultur der Straflosigkeit für Auftragsmörder begründet zu haben. In den sechs Jahren ihrer Präsidentschaft seien annähernd 800 - vorwiegend linke - Aktivisten der Opposition erschossen worden. Die Täter handeln dabei nicht selten unter dem Schutz von Armee und Polizei oder bevorzugen die Deckung geheim operierender Spezialeinheiten, die als Anti-Terror-Kämpfer einen bestenfalls halblegalen Status besitzen.

Wer sich einen Eindruck von der geltenden philippinischen Staatsraison verschaffen wollte, brauchte vor wenigen Tagen nur Justizminister Raul Gonzalez zuzuhören. "Wir werden es auf keinen Fall dulden", ließ er wissen, "dass die Staatsoberhäupter und geladenen Gäste der ASEANdurch Randalierer daran gehindert werden, ihre Hotels zu verlassen. Bevor so etwas geschieht, werden wir sie in der Mactan-Straße den Haien zum Fraß vorwerfen." Bei Mactan handelt es sich nicht allein um die Cebu direkt vorgelagerte Insel mit dem internationalen Flughafen, sondern zugleich um jenen Ort, an dem 1521 der die Meere erkundende portugiesische Seefahrer Magellan den Tod fand. Jedenfalls sollen 15.000 Soldaten und Polizisten für einen reibungslosen Verlauf des ASEAN-Treffens bürgen. Bei Einreisekontrollen werden gemäß der Order von Minister Gonzalez Besucher mit indischem, pakistanischem und afghanischem Pass verstärkt visitiert, es grassiert die Furcht, ungebetene Gipfelstürmer des regionalen Al-Qaida-Netzwerks Jemaah Islamiyah könnten sich angezogen fühlen.


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