In der Nacht sind alle Blumen schwarz

Kafka in Seoul Der Prozess gegen den deutsch-koreanischen Hochschullehrer Song Du-Yul

Guchiso ist ein verfluchter Ort. Dort, an der Peripherie von Südkoreas ausufernder Megacity Seoul, liegt eines der größten Untersuchungsgefängnisse des Landes. Am Eingangstor des mausgrauen Komplexes trillern Wachtposten in schrillem Stakkato. Besucher sollen rasch und intensiv genervt werden. Passkontrolle, Registratur in der Gefängnislobby, Warten und nochmals Warten. Dann ein Signal. Die Uhr zeigt Punkt zehn Uhr. Genau 20 Minuten bleiben uns in einem winzigen Raum. In verblichener hellblauer Gefängniskluft sitzt mir ein langjähriger Kollege und Freund gegenüber. Auf der linken Seite der schäbigen Uniform, in Brusthöhe, ist ein grauer Stofffetzen aufgenäht, der den Häftling als "Nummer 65" ausweist. Uns trennen zwei Panzerscheiben, zwischen die ein Gitter gezogen ist. In die Scheiben gebohrte Löcher erlauben ein Gespräch.

Bei Häftling Nr. 65 handelt es sich um den 59-jährigen Song Du-Yul, Professor an der Universität Münster, seit 1993 deutscher Staatsbürger und von Haus aus Sozialphilosoph und Soziologe. Er vertritt Wissenschaftsdisziplinen, die lange Zeit im von Militärdiktatoren beherrschten Südkorea als subversiv galten, besonders dann, wenn dabei auch über Nordkorea geforscht wurde. Genau das hat der Exilkoreaner Song getan. Über 20 Mal besuchte er seit Mitte der siebziger Jahre die Volksrepublik und setzte sich seitdem beharrlich für einen Dialog zwischen Nord und Süd ein - sehr zum Missfallen der Ewiggestrigen in Seoul. Die drehen ihm heute einen Strick daraus.

Song war 1967 nach Deutschland gekommen, um in Heidelberg und Frankfurt/Main Philosophie, Soziologie, Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu studieren. 1972 promovierte er bei Jürgen Habermas und verstand fortan politisches Engagement als notwendige Ergänzung seiner Forschungen. So war Song seit 1995 einer der Organisatoren von Symposien, auf denen beide Teile Koreas ins Gespräch kamen. Man traf sich sechs Mal - fünfmal in Peking und einmal, Ende März 2003, in Pjöngjang.

Mehrfach hatte Song während der vergangenen Jahre versucht, in seine Heimat, auf die südkoreanische Insel Cheju, zurückzukehren. Und immer wieder hatten ihn Freunde gewarnt, die Geheimdienste würden sich seiner annehmen, sobald er koreanischen Boden betrete. Im Sommer 2003 wurde ihm jedoch signalisiert, die Zeit sei reif - er könne unbehelligt nach Seoul reisen.

Verhör in Handschellen

So landet Song am 22. September 2003 mit seiner Frau und seinen beiden in Deutschland geborenen Söhnen auf dem Seouler Flughafen Incheon. Hunderte Freunde der Familie empfangen die Heimkehrer als offizielle Gäste der staatlichen Korea Democracy Foundation. Immerhin ist Song Du-Yul über Jahre hinweg ein Stichwortgeber der außerparlamentarischen Opposition und eloquenter Kritiker der Militärdiktatur gewesen.

Das allerdings haben auch die Konservativen nicht vergessen, Heimkehrer Song wird sogleich arretiert. Tagelang muss er die Verhöre des Staatssicherheitsdienstes (NIS) über sich ergehen lassen - in Handschellen und mit gefesselten Oberarmen. Das Justizministerium erklärt später, man habe verhindern müssen, "dass sich der Angeklagte selbst Verletzungen zufügt". Song - so der NIS - sei 1973 der nordkoreanischen Partei der Arbeit (PdA) beigetreten, 1991 in deren Politbüro aufgestiegen und in der Parteihierarchie unter dem Namen Kim Chol-Su auf Rang 23 geführt worden. Als Anhänger des 1994 verstorbenen Staats- und Parteichefs Kim Il Sung habe er Nordkorea mehrfach bereist, staatliche Gelder erhalten, bei diesen Gelegenheiten stets einseitig für Nordkorea Partei ergriffen und dem Ansehen der Republik Korea (Südkorea) schwer geschadet - ausnahmslos Verstöße gegen das seit 1948 geltende "Nationale Sicherheitsgesetz".

Diese "Erkenntnisse" übermittelt der NIS dem Ausschuss für nachrichtendienstliche Tätigkeiten in der Nationalversammlung, in der vor allem die Opposition in Gestalt der Großen Nationalpartei (GNP) das "Material" begierig aufnimmt. Sie erkennt die Gunst des Stunde, für ihre Niederlage bei der Präsidentschaftswahl im Dezember 2002 Revanche nehmen und Präsident Roh Moo-Hyun attackieren zu können, weil dieser der "Sonnenscheinpolitik" genannten Verständigung mit dem Norden nicht abschwört. Außerdem herrscht Vorwahlkampf. Die Rechte will im April, wenn landesweit über eine neue Nationalversammlung abgestimmt wird, unbedingt ihre Mehrheit ausbauen. Ihr Slogan lautet: Abwehr der terroristischen Gefahren von außen und innen. Also soll mit Song Du-Yul eine Symbolfigur des demokratischen Aufbruchs demontiert und legitimer Widerstand gegen die frühere Militärdiktatur im nachhinein diskreditiert werden.

Verstöße gegen das Gesetz

Die "Affäre des Dissidenten Song" zeigt, wie sich der Kalte Krieg zwischen Nord- und Südkorea auch heute fortsetzen lässt und für skurrile Absurditäten gut ist. Politiker, Firmenchefs, Sportler und Touristen aus beiden Staaten dürfen sich - wenngleich reglementiert - immer öfter treffen. Koreaner im Norden geben Interviews, und im Süden werden die Meinungen des "Feindes" publik gemacht. Alles das verbietet das Nationale Sicherheitsgesetz - eigentlich.

Die Medien geben derweil Song öffentlich zum Abschuss frei. Mit größter Selbstverständlichkeit darf der Angeklagte als "Bastard", "Vaterlandsverräter", "bezahlter Spion" oder "pro-nordkoreanischer Lügenprofessor" denunziert werden. 82 Seiten umfasst die Anklageschrift. Wörtlich heißt es da gleich zu Beginn: "Obwohl der Angeklagte weiß, dass es sich bei Nordkorea um eine ›staatsfeindliche Organisation‹ handelt, die - sich als ›Regierung‹ ausgebend - zum Zwecke des Sturzes des Staates (Südkorea) illegal organisiert wurde, (...) machte er sich in den folgenden Punkten strafbar". Und dann wird Songs Sündenregister aufgeblättert: Verherrlichung und Verbreitung der nordkoreanischen Ideologie, Gründung pro-nordkoreanischer Organisationen; "Feindbegünstigung" durch Publikationen und die Organisation wissenschaftlicher Konferenzen.

Seit dem 2. Dezember hat die Staatsanwaltschaft in sieben Verhandlungen keinen einzigen dieser Anklagepunkte beweisen können. Was Songs vermeintlichen nordkoreanischen Politbürostatus betrifft, stützt sich die Staatsanwaltschaft einzig auf die Behauptung des vor Jahren übergelaufenen einstigen ideologischen Mentors von Kim Jong-Il, Hwang Jang-Yop. Der aber weigert sich bis heute, als Kronzeuge aufzutreten. Und die Treffen koreanischer Wissenschaftler aus Süd und Nord zum Thema Wiedervereinigung wurden wesentlich von südkoreanischen Firmen finanziert. Song verstand sich dabei als Mentor. Als deutscher Staatsbürger konnte er zudem reisen, wohin er wollte. Reisen nach Nordkorea sind wohl kaum justiziabel.

Besonders grotesk ist der Vorwurf der Anklage, Song habe in dem vor 16 Jahren vom Rowohlt Verlag veröffentlichten Buch Südkorea: Kein Land für friedliche Spiele Propaganda für den Norden betrieben und "gegen die Veranstaltung der Olympischen Spiele 1988 in Korea" opponiert. Nur war dieser Band ein Gemeinschaftswerk von vier Verfassern, zu denen neben Song auch der Autor dieses Artikels gehörte. In einer Passage des Buches heißt es, "die Bauernschaft befand sich in einem Teufelskreis von Armut und Unterdrückung." Die Übersetzer der Staatsanwaltschaft sahen da sperrangelweit die Pforten zur Hölle geöffnet. Bei ihnen liest sich das so: "...der Teufel legte die Bauern in Fesseln". Wirklich kafkaesk.

Wann ein Urteil gesprochen wird und wie, steht in den Sternen. Jürgen Habermas und Günter Grass haben sich für die Freilassung des Hochschullehrers eingesetzt. "In der Nacht", sagt Song Du-Yul, "sind alle Blumen schwarz. Erst bei Licht besehen werden sie farbig. Farben sind Kräfte. Kräfte wirken mit- und gegeneinander. Wenn sich die einzelnen Kulturenergien abstoßen und durch Ähnlichkeiten auch anziehen können, entstehen gerade dadurch ungeahnte neue Schattierungen und vielfältige Zwischentöne". Nur: Wer will die im geteilten Korea schon hören?


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