Kein Drang zur Innigkeit

Korea Der zweite Nord-Süd-Gipfel Anfang Oktober könnte den Einstieg in die bilaterale Normalität bescheren

Wenn das Attribut "historisch" berechtigt ist, dann war der 13. Juni 2000 auf der koreanischen Halbinsel ein historischer Tag mit Symbolgehalt. Offiziell noch im Kriegszustand, gingen Nord- und Südkorea seit Jahrzehnten wieder aufeinander zu. Das Gipfeltreffen der Staatschefs Kim Jong-Il und Kim Dae-Jung endete mit einer Nord-Süd-Deklaration, mit der man sich zu regelmäßigem Kontakt bekannte. Familienzusammenführungen und Reisemöglichkeiten südkoreanischer Touristen waren die unmittelbare Folge der Begegnung.

Ein veritabler Durchbruch, bedenkt man, dass Korea bis zu diesem Zeitpunkt Hort vielfältiger Paradoxien blieb. In dem seit 1948 geltenden Nationalen Sicherheitsgesetz Südkoreas wurde der Norden bis dahin als "staatsfeindliche Organisation" geächtet. Seoul verweigerte gar seine Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen von Panmunjom, das am 27. Juli 1953 den Koreakrieg beendete. Mit ihrem "verehrten Führer" Kim Jong-Il führte die nordkoreanische Volksrepublik einen verbissenen Überlebenskampf, hatte ein eigenes Nuklearprogramm aufgelegt und militärischer Stärke Priorität eingeräumt. Bis zu 40 Prozent des Bruttosozialprodukts flossen Ende der neunziger Jahre in den Verteidigungsetat - gemäß der Losung Gedeihender Staat - das Militär zuerst!

Der Gipfel im Sommer 2000 galt als Höhepunkt der vom Südkoreaner Kim Dae-Jung verfolgten "Sonnenscheinpolitik" gegenüber Pjöngjang, wofür der Präsident noch im gleichen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Unstrittig schien, eine Nord-Süd-Annäherung hat dann Aussichten, wenn sie von äußeren Einflüssen verschont blieb.

Beim zweiten innerkoreanischen Gipfel, der nun vom 2. bis 4. Oktober stattfinden soll (wegen verheerender Überschwemmungen in Nordkorea war der ursprünglich für Ende August vorgesehene Termin verschoben worden) sind die Ausgangspositionen gänzlich anders als vor sieben Jahren. Und Südkoreas Präsident Roh Moo-Hyun tat gewiss gut daran, übermäßige Erwartungen zu dämpfen. Man möge ihn nicht zu sehr unter Druck setzen, mahnte Roh Medien und politische Entourage gleichermaßen.

Da seine Amtszeit im Februar 2008 endet (im Dezember gibt es in Südkorea Präsidentenwahlen), beschuldigt ihn die oppositionelle Grand National Party (GNP), angetrieben von der Tochter des einstigen Diktators Park Chung-Hee, der Gipfel sei nichts anderes als Propaganda und vorgezogener Wahlkampf. Soviel steht fest, sollte in drei Monaten der GNP-Kandidat triumphieren, bliebe von "Sonnenscheinpolitik" mit dem Norden nicht viel übrig.

Der sah sich Anfang 2002 über Nacht auf George Bushs ominöse "Achse des Bösen" gesetzt, es folgten Jahre der Konfrontation zwischen Pjöngjang und Washington. Am 5. Juli 2006 testete die nordkoreanische Armee erstmals Raketen größerer Reichweite und am 9. Oktober 2006 erstmals das, was sie ihre eigene Atombombe nannte. Dank der daraufhin durch China initiierten Sechser-Verhandlungen, an denen neben den beiden koreanischen Staaten auch Russland, Japan und die USA teilnahmen, sorgte das am 13. Februar 2007 vereinbarte Abkommen für leichte Entspannung. Es sieht vor, dass Nordkorea wieder Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ins Land lässt, seinen Atomreaktor in Yongbyon abschaltet und sein Nuklearprogramm schrittweise aufgibt. Im Gegenzug winkt umfangreiche Wirtschafts- und Finanzhilfe sowie eine Sicherheitsgarantie.

Schließlich scheinen die USA bereit, glaubt man den Statements von Chefunterhändler Christopher Hill, mit der nordkoreanischen Republik einen ernsthaften Dialog zu führen, bei dem bis auf die Militärpräsenz der Amerikaner im Süden nichts ausgeklammert bleiben soll - das Schmuddelkind einer Staatengemeinschaft, die sich zur Evaluierung berufen fühlt, wird rehabilitiert und "resozialisiert".

So wird auch der anstehende Gipfel Sicherheits- und Wirtschaftsfragen gewidmet sein, um die Spannungen an der Demarkationslinie zwischen beiden Ländern zu mindern und künftig mehr Wirtschaftskooperation betreiben zu können. Und das aus gutem Grund: In dem im Süden Nordkoreas bestehenden Gaeseong-Industriekomplex lassen bereits - meist mittelständische - südkoreanische Firmen produzieren. Die Zahl der dort Beschäftigten könnte sich in den nächsten fünf Jahren auf 730.000 erhöhen. Chinesische Unternehmen wollen sich gleichfalls ansiedeln.

Seit 2006 wurden überdies im Osten und Westen des Landes zwei Bahn- und Straßenverbindungen mit entsprechenden Checkpoints auf südkoreanischer Seite eröffnet, um zu ermöglichen, dass Millionen Menschen jährlich die Volksrepublik besuchen können. Im Sog dieser Entwicklung ist der innerkoreanische Handel beträchtlich gestiegen. Lag sein Volumen 1998 noch bei umgerechnet 222 Millionen Dollar, waren es 2005 bereits 1, 1 Milliarden - Tendenz steigend. Mittlerweile ist Südkorea nach China zweitgrößter Handelspartner Nordkoreas. Und nach den jüngsten Überschwemmungen, die im Norden verheerende Schäden anrichteten und etwa eine Viertel Million Menschen obdachlos machten, ist Pjöngjang mehr denn je auf Hilfen von außen angewiesen.

Eine verstärkte Wirtschaftskooperation zwischen Seoul und Pjöngjang könnte langfristig auch einen lukrativen Nordostasiatischen gemeinsamen Markt entstehen lassen - unter Einschluss Chinas und Russlands. Eine notwendige Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der schwelende Streit um Nordkoreas Nuklearprogramm beigelegt wird und gesittete Direktverhandlungen zwischen Washington und Pjöngjang zur Normalität werden. Das kann freilich in der nächsten Woche kein Thema sein.


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