Congo Calling – Gedanken zum Film

Entwickungshilfe Stephan Hilpert hat über Goma im Ostkongo einen Dokumentarfilm gedreht, der die gewohnten Schlagzeilen über die Stadt hinter sich lässt.

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Am 22. August dieses Jahres ist Stephan Hilperts Dokumentarfilm Congo Calling in mehreren deutschen Programmkinos angelaufen. Das mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Kunstwerk hat - dies vorweg - das Potenzial, den Betrachter aufzuwühlen, und ist geeignet, erkennbare Spuren im Bewusstsein des Zuschauers zu hinterlassen.

Drei Entwicklungshelfer wollen in Goma/Ostkongo die Welt zum Guten verändern. Raùl, der dort über Rebellen forscht, muss erfahren, dass er mit dem Geld aus seinem Budget die einheimischen Mitarbeiter zu Korruption und Betrug verführt, wodurch sein Projektfortgang gefährdet wird. Peter aus Berlin muss es hinnehmen, dass er nach 30 Jahren Einsatz im Dienste von Hilfsorganisationen seine Arbeit im Kongo einstellen und nach Deutschland zurückkehren muss, nur weil er das Rentenalter erreicht hat; was aus seinem Straßenkinder-Projekt wird, ist ungewiss. Anne Laure hat sich bereits aus der Entwicklungshilfe zurückgezogen, der Liebe wegen - die allerdings zu scheitern droht, weil ihr kongolesischer Freund ins Gefängnis muss; er hatte es gewagt, die korrupte Regierung seines Landes zu kritisieren. Am Ende stellt sich für alle drei die Frage: Wie sinnvoll ist die Hilfe von außen?

Soweit der Inhalt des Films in Kürze.


Allerdings handelt er nicht nur von den privaten Frustrationen der Entwicklungshelfer. Er veranschaulicht beiläufig auch die deprimierenden Lebensumstände der Menschen in Goma, von denen drei Viertel Flüchtlinge sind. Jedoch auch für sie zeigt er keine Lösungen auf. Nicht einmal Hoffnung auf Lösungen vermittelt er dem Betrachter für die Menschen in Goma, denen es mehr als in den meisten anderen afrikanischen Ländern an Arbeitsplätzen und Einkommen mangelt; mehr als in den meisten „normalen“ afrikanischen Ländern leiden sie unter Perspektivlosigkeit, die ebenso wie die Armut Betrug und Korruption begünstigt, wodurch beides noch verstärkt wird; mehr als in den meisten „befriedeten“ Ländern Afrikas sind sie Opfer von Gewalt - auch von staatlichen Sicherheitsorganen, die sie eigentlich beschützen sollen. Letzteres wird auch im Film thematisiert. Denn während Anne Laure ein Musikfestival veranstaltet, mit dem sie der Welt verdeutlichen will, dass es in Goma nicht nur Leid gibt, sondern auch eine lebendige Kunst- und Musikszene, wird einer der Organisatoren, der sich bemüht, dort einen Streit zu schlichten, von einem Polizisten erschossen. - Zur Erinnerung: Wir reden nicht von einem Filmplot, sondern von einer Dokumentation!

Man muss es den Machern des Films hoch anrechnen, dass sie dem Zuschauer Lösungen für die vorgeführten überwältigenden Probleme verweigern und ihn stattdessen anregen, Fragen zu stellen: an den Film und seine Protagonisten; an Politik und Gesellschaft im Westen und in Afrika vor Ort; an den Betrachter selbst. Denn wir alle wissen: Auch bei sehr komplexen Problemen in Afrika neigen wir im Westen doch häufig dazu, Ländern und Menschen dort vorschnell unsere Lösungen anzubieten, statt sie ihre eigenen selbst entdecken und sie dafür auch die Verantwortung übernehmen zu lassen.

Doch kommen wir auf die Frage vom Ende der obigen Inhaltsangabe zurück, der sich auch der Betrachter des Films fast zwangsläufig stellen muss: Wie sinnvoll ist die Hilfe von außen? Eine Antwort darauf gibt die Protagonistin in Die amerikanische Freundin, dem jüngsten Buch von Sefi Atta: „Vom afrikanischen Standpunkt aus hat die Einmischung von außen - ganz gleich, wie gut sie gemeint war - uns noch nie etwas gebracht“. Und man kann getrost hinzufügen: Manchmal muss man auch der Einsicht Raum geben, dass Wege erst beim Gehen entstehen. Und dazu braucht es Geduld. Auch im Westen.

Beides weiß anscheinend auch Raoúl, der spanische Projektleiter in dem Film. Es ist beeindruckend, wie er mit seinen kongolesischen Mitarbeitern, aber auch mit Rebellen umgeht. Statt ihnen seine Sicht der Dinge aufdrücken zu wollen, hört er ihnen zu, schenkt ihnen seine Aufmerksamkeit und enthält sich jeder Wertung. Selbst wenn Letztere - für uns schwer aushaltbar - schildern, wie sie Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung begehen. Sein Verhalten entspricht damit nicht nur der Einsicht in die Begrenztheit seiner Mittel. Es ist auch nicht nur der Erkenntnis geschuldet, dass sie sich einer „Erziehung“ verweigern würden, sondern es ist vor allem in gewisser Weise auch respektvoll. Respekt und Würde aber sind hohe Güter im mitmenschlichen Umgang in Afrika! Auch ich, der Rezensent, habe dort lernen müssen – und das gelingt mir immer noch nicht in jedem Fall - dass man vor allem als Fremder erst einmal lange zuhören muss, bevor eine explizite Meinungsbekundung zu strittigen Fragen angezeigt ist. Weil die Gesprächspartner nämlich erst danach bereit sind, sich ihr zu öffnen. Häufig ist eine solche Meinungsbekundung, so meine Erfahrung, auch erst dann sinnvoll, nachdem man danach gefragt worden ist. Ungeachtet dessen habe ich auch erfahren, dass meine Gegenüber meine nonverbalen zustimmenden oder ablehnenden Kommentare (Mimik, Gestik, paralinguistische Signale) durchaus „lesen“ konnten. – Raoúl ist übrigens kein Weichei. Als er nämlich entdeckt, dass sein engster Mitarbeiter sich auf betrügerische Weise bereichert, setzt er ihn vor die Tür.

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Der Film läuft nicht nur, wie eingangs erwähnt, in ausgesuchten Programmkinos mehrerer deutscher Großstädte. Er wurde auch unter Beteiligung des ZDF produziert, wird nach einem überschaubaren Zeitraum also auch dort im regulären Fernsehprogramm gezeigt oder kann anschließend als Video oder in der Mediathek gesehen werden. Spätestens dann könnten Sie, die Leser dieser Rezension, sich von ihm beeindrucken und vielleicht sogar verwandeln lassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

COTRANGA

Initiator, Kontrolleur v. Entwicklungshilfe-Projekten in Westafrika - Leiter v. COTRANGA - Beirat der Social-Business-Stiftung - Mitglied BonnerAufruf

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