Ein Marshallplan für Afrika?

BMZ/Afrika Nicht „wir“ müssen uns darüber Gedanken machen, wie afrikanische Länder entwickelt werden. Der Schlüssel dafür liegt vor allem bei den Eliten in Afrika.

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Seit vielen Jahren fordern die armen Länder dieser Welt, unterstützt durch ein Heer von NGOs im Norden, dass die reichen Industrienationen einen höheren Anteil ihres jeweiligen Bruttonationaleinkommens (BNE) für Entwicklungshilfe ausgeben. Vor allem Afrika soll davon profitieren. So brüsten sich deutsche Politiker denn auch gern damit, wenn der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) – zurzeit rund 8 Mrd. € - wieder einmal ausgeweitet wurde. Als ob das schon ein Erfolgsnachweis wäre! Höhepunkt einer solchen Debatte ist gegenwärtig die Forderung von Minister Müller nach einem Marshallplan für Afrika, die auch sogleich von dem neuen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani aufgegriffen wurde. Zur Erinnerung: Nach dem 2. Weltkrieg haben die USA mit der Bereitstellung von mehr als 13 Mrd. US$ (entspricht heute rund 130 Mrd. US$) den Wiederaufbau Westeuropas beschleunigt und damit gleichzeitig Absatzmärkte für US-Erzeugnisse geschaffen.

Zunächst einmal ist anzuerkennen: Die vom BMZ erarbeiteten Ziele des Marshallplans für Afrika und die darin genannten Maßnahmen zu ihrer Erreichung klingen für unsere westlichen Ohren durchaus plausibel und zeugen von ehrlichem partnerschaftlichen Bemühen. Denn natürlich würden wir es in Deutschland begrüßen,

… wenn die Geber-Nehmer-Mentalität sowohl in Afrika als auch bei uns abgelöst wird von einer Mentalität partnerschaftlicher Zusammenarbeit, die auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung der Beteiligten in Afrika setzt

… wenn private Investitionen dort zulasten von Subventionen/Zuwendungen gestärkt werden

… wenn in Afrika Wertschöpfungsketten aufgebaut und damit Arbeitsplätze geschaffen werden

… wenn die dortigen Regierungen für die Entwicklung ihrer Länder mehr Eigenmittel mobilisieren.

Diese und weitere im „Marshallplan“ formulierten Ziele und Maßnahmen haben nur einen erheblichen Schönheitsfehler: Sie sind im deutschen BMZ formuliert worden anstatt von afrikanischen Regierungen, die sich auch verpflichtet fühlen, sie umzusetzen.

Wenn es in dem BMZ-Papier heißt: „Wir wollen afrikanische Lösungen für afrikanische Herausforderungen“ oder wenn Tajani behauptet: „Wir müssen jetzt…“ (er nennt dann von der EU zu ergreifende Maßnahmen), stellt sich doch die Frage, ob wirklich immer noch wir für die Entwicklung in Afrika zuständig sind oder ob es nicht vielmehr an der Zeit ist, sich vom „humanitären Kolonialismus“ (Perry), der ja zugleich Entmündigung der Afrikaner bedeutet, zu verabschieden. Denn wir dürfen nicht übersehen: Afrikanische Staaten sind seit mehr als 50 Jahren politisch unabhängig. Und in dieser Zeit haben ihnen Industriestaaten und internationale Organisationen mehr als 3 Billionen US$ an Entwicklungshilfe zukommen lassen. Das Verhältnis von Aufwand und Ertrag ist dagegen äußerst unbefriedigend geblieben. Dieser Meinung ist auch der Freiburger Professor und anerkannte Afrika-Kenner Hans F. Illy. Nachdem er alle afrikanischen Länder bereist, dort z.T. auch gelebt und Menschen ausgebildet hat, und nachdem er mehr als 70 Entwicklungsprojekte im Auftrag von Regierungen, GTZ/GIZ und internationalen NGOs geprüft hat, ist er zu dem Schluss gekommen, dass nur eines dieser Projekte wirklich einen nachhaltigen Erfolg“ aufzuweisen hatte. Dies sollte uns doch sehr nachdenklich stimmen! Und das noch mehr, als dieses Projekt dann schließlich noch von somalischen Milizen zerstört wurde.

Gegenwärtig sind es im Übrigen die vielen Armutsflüchtlinge aus Afrika, die uns auf die mangelhafte Qualität unserer bisherigen Entwicklungspolitik hinweisen. Angesichts der mangelnden Effizienz der in der Vergangenheit von „Experten“ aus dem Norden verantworteten Entwicklungskonzepte bietet es sich daher geradezu an, die Samariterrolle, die wir in Afrika immer noch spielen, abzulehnen und die Zuständigkeit für die Lösung afrikanischer Probleme an die dortigen Regierungen zurückzuverlagern.

Afrikanische Regierungen könnten, wenn sie diese Herausforderung denn annähmen, viel überzeugender, als es „Experten“ aus den reichen industrialisierten Geberländern getan haben, die historisch gewachsenen Leitbilder „ihrer“ Gesellschaften in den von ihnen zu verantwortenden Konzepten berücksichtigen – Leitbilder, auf denen, wie Danner und andere Fachleute hervorheben, jede Entwicklung beruht. Falls es ihnen notwendig erscheint, können afrikanische Verantwortliche auch viel glaubwürdiger als diese „Experten“ dafür eintreten, dass überlieferte Vorstellungen „ihrer“ Gesellschaft, wenn diese sich als entwicklungshemmend erwiesen haben, an die Erfordernisse der Gegenwart angepasst werden.

In jedem Fall aber können solche, die Lebenspraxis der Afrikaner einschränkenden Probleme nur innerafrikanisch gelöst werden. Und in diesem Prozess müssten vor allem die Mitglieder der afrikanischen Eliten die Traditionalisten in ihrem Land von Reformen überzeugen. Von Reformen, die wirtschaftliches Wachstum begünstigen und auch dem Wohl der Bevölkerung wirklich zugutekommen. Dafür müssten diese Eliten aber erst einmal für die Bürger ihrer Länder glaubwürdig werden und den ernsthaften politischen Willen beweisen, die Armut dort wirkungsvoll zu bekämpfen. Denn noch gilt: Afrikas größter Reichtum sind nicht etwa die Rohstoffe, sondern die armen Bevölkerungen, die dafür sorgen, dass Entwicklungshilfe-Milliarden den Kontinent erreichen. Geld, an dem sich die Eliten weiterhin, wie in den Zeiten des Kalten Krieges, hemmungslos bereichern. Das bezeugen auch die illegalen Finanzströme, die laut UN mit jährlich rund 50 Mrd. US$ in etwa der Summe der gesamten pro Jahr gezahlten Entwicklungsgelder für Afrika entsprechen und den Volkswirtschaften dort fehlen. Warum also sollten sich die Mitglieder afrikanischer Regierungen der Beseitigung der Armut in ihren Ländern verpflichtet fühlen? Warum sollten sie z.B. die Ansiedelung steuerzahlender Unternehmen fördern, wenn sie schon durch Entwicklungshilfe-Gelder zu persönlichem Reichtum kommen? Kenner der gegenwärtigen afrikanischen Verhältnisse – Diplomaten, Fachjournalisten, Unternehmer, Führungskräfte in internationalen Stiftungen, Projektbeteiligte - betonen einhellig, dass den Eliten das Wohlergehen der Bevölkerung meist schlicht egal ist.

James Shikwati, ein kenianischer Wirtschaftswissenschaftler, fordert daher neben anderen verantwortlich denkenden Fachleuten aus Afrika und dem Rest der Welt seit vielen Jahren schon, die Entwicklungshilfe einzustellen. Er nennt dafür mehrere Gründe. Einer davon lautet: Entwicklungshilfe ermöglicht es afrikanischen Regierungen, die Erledigung ihrer Hausaufgaben zu verweigern. Gewählt wurden die Regierungen von der Mehrheit der Bürger vor allem, damit sie die Armut in ihren Ländern beseitigen. Um das zu erreichen, müssten die Entscheidungsträger in der afrikanischen Politik sich dort zugleich für good governance einsetzen. Und das heißt, sie müssten Institutionen wie das Rechtswesen, die Steuerverwaltung, Rechnungshöfe und andere Kontrollinstanzen im Zuge der Gewaltenteilung stärken und von illegaler Einflussnahme unabhängig machen. Nach Paul Collier, einem führenden Wirtschaftswissenschaftler für die Ökonomien der Entwicklungsländer, verdankt der afrikanische Musterstaat Botswana seine Wirtschaftskraft vor allem starken Institutionen und einer Vielzahl von demokratischen Kontrollmechanismen. Denn diese dienen klar dem Allgemeinwohl und nicht irgendwelchen Partikularinteressen. Sie sind Voraussetzung für eine wirksame Prophylaxe und Bekämpfung von Betrug und Korruption in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie haben es Botswana ermöglicht, dass Einnahmen aus Rohstoffen – in Botswana: Diamanten - sich nicht, wie sonst in rohstoffreichen Entwicklungsländern zu beobachten ist, zu einem Fluch für das Land entwickelten. Denn aus diesen Einnahmen wurden öffentliche Leistungen. Auf diese Weise entstand dort z.B. ein funktionierendes Gesundheits- und Bildungswesen, wodurch das Wirtschaftswachstum in diesem Land zusätzlich befeuert wurde. Fazit: Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt ist in Afrika nur denkbar, wenn sich, wie in Botswana, die politischen Rahmenbedingungen ändern.

In diesem Zusammenhang verdient besonders gewürdigt zu werden, dass Botswana in einem solchen Prozess die Bevölkerung mitgenommen hat - mit Hilfe der chiefs auch die in den Dörfern. Ausländische „Experten“ hätten das niemals erreichen können! Denn dies haben die politisch Verantwortlichen vor allem dadurch bewirkt, dass sie die in der Bevölkerung anerkannten Prinzipien der traditionellen Ubuntu-Philosophie utilisiert haben. Die Ubuntu-Philosophie ist geprägt von basisdemokratischen und gemeinwohlorientierten Elementen. Sie ist – wenn auch mit unterschiedlichen Bezeichnungen – in ganz Afrika zu Hause. Und viele afrikanische Regierungen beziehen sich verbal auf die von ihr verkörperten Werte, Einstellungen und Haltungen. Aber nur wenige Regierungen setzen sie, wie Botswana, in praktische Politik um. Und kaum ein Land hat sie, wie Botswana, fest und wirksam in den politischen Strukturen des Landes verankert (van Hooft). Offensichtlich zum Nutzen für alle Beteiligten in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft!

Botswana könnte damit zu einem Modell für andere afrikanische Länder werden.

Aber machen „wir“ uns klar: „Wir“ – und darin eingeschlossen das BMZ und alle deutschen NGOs – können nicht für andere wollen. Auch nicht für Afrika.

Verfasser: Rainer Gruszczynski

Seit 2006 arbeitet Rainer Gruszczynski für gemeinnützige Organisationen als Initiator, Begleiter und Kontrolleur von Entwicklungshilfe-Projekten in Westafrika. Während dieses Einsatzes wurde er regelmäßig damit konfrontiert, dass Hilfsgelder infolge von Betrug und Korruption die für sie bestimmten Empfänger nur sehr reduziert erreichen. Daher befürwortet er die zuwendungsbasierte Entwicklungshilfe nur noch in Ausnahmefällen. Stattdessen setzt er sich für kreditbasierte Hilfen ein. Im Rahmen seiner Initiative COTRANGA (www.cotranga.de) vertritt er dieses Konzept ebenso wie als Beirat der Social-Business-Stiftung.

Rainer Gruszczynski ist Mitglied im BonnerAufruf, einem Zusammenschluss erfahrener Praktiker der Entwicklungshilfe in Afrika aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, die für einen entschiedenen Kurswechsel in der Entwicklungspolitik eintreten. Gründungsmitglieder waren u.a. Rupert Neudeck sowie Volker Seitz („Afrika wird armregiert“), der in mehreren afrikanischen Ländern als deutscher Botschafter tätig war

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

COTRANGA

Initiator, Kontrolleur v. Entwicklungshilfe-Projekten in Westafrika - Leiter v. COTRANGA - Beirat der Social-Business-Stiftung - Mitglied BonnerAufruf

COTRANGA

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