„In Afrika entscheidet sich der Klimawandel“

Wasserstoffwirtschaft In seinem Buch Umdenken stellt Entwicklungsminister Müller 2020 ein Konzept vor, in dem er die Rettung des Weltklimas mit Impulsen für Afrikas Wirtschaft verbindet.

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„In Afrika entscheidet sich der Klimawandel.“ Dies offenbarte Entwicklungsminister Müller mitreisenden Journalisten 2019 auf dem Flug zum UN-Klimagipfel in New York. Im seinem wenige Monate später folgenden Buch Umdenken – Überlebensfragen der Menschheit macht er dann deutlich, dass er die Absicht verfolge, in Afrika den Bau hunderter bereits geplanter Kohlekraftwerke zu verhindern, um dort Wirtschaftswachstum und CO2-Verbrauch zu entkoppeln.

DESERTEC als Referenzprojekt

Der Minister bezieht sich in seinen Überlegungen auf das 2009 unter deutscher Beteiligung gegründete DESERTEC-Projekt – ohne es allerdings beim Namen zu nennen. Ursprünglich hatte es zum Ziel, in riesigen Solarparks in der Sahara sowie in der arabischen Wüste, aber auch in Windparks nordafrikanischer Mittelmeer-Anrainerstaaten kostengünstigen klimaneutralen Strom zu produzieren. Diese saubere Energie sollte dann über Kabel im Mittelmeer nach Europa gelangen, aber ebenso den umliegenden Staaten zugutekommen und ihren Wirtschaften so starken Auftrieb geben, dass für die Menschen dort der Anreiz entfiele, nach Europa zu migrieren.

Seit 2009 hat weltweit in Gesellschaft und Politik das Bewusstsein für die Notwendigkeit, dem Klimawandel und seinen Folgeerscheinungen Einhalt zu gebieten, enorm zugenommen. Spektakuläre Waldbrände, Überschwemmungen, Dürren haben ebenso dazu beigetragen wie der rasante Aufstieg der Grünen als politische Kraft, die unüberhörbaren Warnungen vor dem Klimawandel aus der Wissenschaft – auch dank Organisationen wie Fridays for Future – und der Umstand, dass in den letzten Jahren viele ermutigende technologische Fortschritte zur Verwertung des klimaneutral erzeugten Stroms zu verzeichnen waren. Hinzu kommt: Immer mehr Bürger in den wohlhabenden Ländern akzeptieren, dass die Klimarettung auch steigende Preise für grüne Energie notwendig macht. Dies alles und vor allem die Adoption des Themas durch die Politik stärkt wiederum die Bereitschaft von Unternehmen, mit Wagniskapital die Forschung für marktgängige Konzepte im Bereich von Herstellung, Speicherung, Absatz und Transport klimaneutraler Energie voranzubringen.

Auf diesem Fundament nun ermuntert Minister Müller deutsche Unternehmen, in Afrika „einen Zukunftsmarkt mit innovativen Energie- und Klimaschutzprojekten (zu) erschließen“ – zum Nutzen aller Beteiligten. Ihm kommt dabei zu Hilfe, dass DESERTEC inzwischen den Strom aus Sonnen- und Windkraft auch nutzt, um damit klimaneutralen Wasserstoff zu produzieren. Der ist nicht nur selbst Energieträger, sondern zugleich Ausgangsprodukt für Derivate wie grünes Methanol, grünes Benzin und andere grüne Energieträger, die überall auf der Welt benötigt werden, um fossile Kraft- und Brennstoffe zu ersetzen und so den CO2-Austoß zu vermindern. Damit der weltweite Temperaturanstieg, wie 2015 in Paris vereinbart, zumindest deutlich unter 2° bleibt. Die Produktion grüner Energieträger erfordert jedoch den Einsatz großer Mengen an Ökostrom. Denn nur wenn der gesamte Herstellungsprozess klimaneutral ist, können Energieträger für sich beanspruchen, grün zu sein. Zur Verdeutlichung: Um 1 Kilogramm Wasserstoff mittels Elektrolyse aus Wasser herzustellen benötigt man ca. 55 Kilowattstunden Strom. In Europa kann der dafür notwendige klimaneutrale Strom übers Jahr gesehen aber nicht in ausreichendem Maße zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen produziert werden. Dies jedoch wäre notwendig, wenn eine Energie- und Verkehrswende zustande kommen soll. Außerdem wären die Produktionskosten pro Kilowattstunde hier vergleichsweise hoch. An dieser Stelle kommt der entscheidende Wettbewerbsvorteil von Afrika ins Spiel: Die Produktionskosten können dort auf 2 Eurocent pro Kilowattstunde begrenzt werden. Höher dürfen sie auch nicht sein, wenn die grünen Energieträger weltweit in so großen Mengen Abnehmer finden sollen, dass damit eine wirkliche Abkehr von fossiler Energie herbeigeführt wird.

Im Zusammenhang mit der Herstellung von Wasserstoff in Nordafrika interessiert sich Müller insbesondere für dessen Umwandlung in Methanol. Denn dabei wird CO2 benötigt. Das kann bei großen Verursachern wie Zementfabriken, Stahlwerken oder auch Kohlekraftwerken abgefangen und als Rohstoff verwendet werden. Aus dem Klimakiller CO2 würde dann ein Klimaretter!

Die Relevanz von DESERTEC und seiner wirtschaftlichen Peripherie für ganz Afrika

Wer die Nachrichten verfolgt, kommt nicht umhin festzustellen, dass Forschung und Wirtschaft dabei sind, den klimaneutralen Kosmos zu erobern. Hierzu einige jüngere Beispiele:

  • Der CEO von Airbus verkündet 2020, das Unternehmen „will bis 2035 so weit sein, dass ein grünes Flugzeug mit Wasserstoffantrieb in Betrieb gehen kann.“
  • Hamburg gibt Januar 2021 bekannt, dass in seinem Hafen eine der größten Wasserstoff-Elektrolyseanlagen Europas errichtet werden soll.
  • Der CEO des italienischen Energiekonzerns und größtem europäischen Gasnetzbetreibers Snam erläutert Anfang 2021 in einem ZEIT-Interview, dass er Wasserstoff als Kraftstoff ebenso etablieren will wie als Energieträger zum Heizen oder für die Industrie, z.B. auch der Stahlindustrie. Dafür werde auch Wasserstoff aus Afrika importiert.

In den Medien erscheinen fast täglich Meldungen dieser Art. Schon wenn Snam aber z.B. sein Vorhaben realisieren kann, 1-2% Wasserstoff in sein europäisches Gasnetz einzubringen, würde das die Nachfrage nach diesem Energieträger gewaltig ansteigen lassen. In der Folge könnten Bau und Betrieb weiterer Elektrolyseanlagen sich rechnen, auch weil dann deren Herstellungskosten sowie die für Wasserstoff fallen würden. Das aber könnte der Wasserstoff-Ökonomie einen weiteren Schub geben. Eine positive Spirale wäre ausgelöst.

Und davon könnte auch DESERTEC profitieren. Denn Snam und andere europäische Stakeholder im Bereich erneuerbarer Energie, z.B. NorthH2 in den Niederlanden oder das nordrheinwestfälische Vorhaben IN4climate.NRW, unterstellen, dass sie Wasserstoff in großen Mengen importieren müssen. Ebenso trifft das zu, wenn führende CDU-Klimapolitiker sich im November 2019 in einem Positionspapier dafür einsetzen, Wasserstoff aus Nordafrika einzuführen, weil das wirtschaftlicher sei, als ihn mit Strom aus Windkraft in Europa selbst zu produzieren.

DESERTECs Zukunft kann man daher wohl als gesichert bezeichnen. Und die Verwirklichung seiner oben aufgezeigten Chancen ist weiterhin gegeben. Allein von einem Solarkraftwerk in der marokkanischen Wüste werden neben vielen Unternehmen laut Müller heute bereits 1,3 Millionen Menschen mit sauberem Strom versorgt - auch zu Zeiten, wenn Sonne und Wind ihn nicht produzieren. Denn zahlreiche Nutznießer dort profitieren schon heute von den vorhandenen Möglichkeiten, überschüssigen Strom zu speichern, um ihn später bei Bedarf abzurufen. Auch viele Arbeitsplätze sind durch DESERTEC entstanden. Und von dem Export von Wasserstoff und seinen Folgeprodukten werden Volkswirtschaften in der DESERTEC-Region in naher Zukunft zusätzlich profitieren.

Jedoch: Minister Müller hat sich zum Ziel gesetzt, den Bau hunderter von Kohlekraftwerken nicht nur in Nordafrika, sondern auf dem gesamten Kontinent zu verhindern und dabei auch noch zur Entwicklung der dortigen Volkswirtschaften beizutragen. Wie er das in Subsahara erreichen will, verrät er in seinem Buch aber nicht. Transport von Wasserstoff oder Methanol per Pipeline oder von Strom über Hochspannungsleitungen würde schon bis zu den Sahelländern aufgrund der Entfernung wirtschaftlich kaum vertretbar sein. Davon abgesehen, wäre die Durchleitung aufgrund politischer Instabilitäten und möglicher terroristischer Attacken äußerst risikoreich. Ebenso wäre der Import von Wasserstoff und seiner Derivate per Schiff für die meisten Subsaharaländer nur begrenzt sinnvoll. Denn zumindest in naher Zukunft könnte man dort keine großen Kraftwerke damit betreiben. Außerdem dürfte es gegenwärtig in den meisten subsaharischen Ländern schwierig sein, so große Agglomerationen von CO2-Emittenten zu finden, dass dort eine wirtschaftliche Methanol-Umwandlung möglich wird. Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung und Berater des BMZ, stellt zwar fest: „Mit Hilfe der Methanol-Ökonomie wird es Afrika gelingen, den Aufstieg Chinas zu replizieren – und das ohne karbonbedingte Klimaschäden.“ Als Jahrhundertaufgabe für eine entfernte Zukunft mag das vielleicht stimmen. Nur: Viele der geplanten Kohlekraftwerke drohen in einer eher nahen Zukunft das Weltklima zu schädigen. Und daher besteht Handlungsbedarf: Jetzt.

DESERTEC als Blaupause für Regionen in Subsahara-Afrika

All das wird auch Müller und seinem Ministerium bekannt sein. Deswegen ist davon auszugehen, dass er DESERTEC vor allem als Blaupause für Regionen im südlichen Afrika versteht. Dazu passt die Meldung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 11. Februar 2020, dass Ministerin Karliczek mit ihrem nigrischen Amtskollegen für 15 ECOWAS-Staaten Westafrikas „den Grundstein für eine Wasserstoff-Partnerschaft gelegt“ hat. Ihr Ministerium will dafür in den nächsten Jahren den vergleichsweisen bescheidenen Betrag von 30 Millionen Euro aufwenden. Ein Maßnahmenkatalog zum „Ausbau der strategischen Partnerschaft“ wurde bereits beschlossen. Laut Deutsche Welle erklärte der nigrische Minister Sadissou, die Region habe ein großes Energiepotenzial, das zunächst zwar für die eigene Wirtschaft genutzt würde. Es sei aber klar, dass das Ziel auch der Export sei. Außerdem würden private Investoren für die Umsetzung des Vorhabens gesucht.

Die Qualität des Westafrika-Projektes lässt sich vor seinem Beginn natürlich noch nicht beurteilen. Trotzdem ist nachvollziehbar, wenn die Bundesregierung das, was sich in Marokko, Algerien, Tunesien und Ägypten auf einem guten Weg befindet, in Subsahara duplizieren will. In Westafrika kommt noch hinzu: Es gibt dort den Westafrican Power Pool, der es ermöglicht hat, dass dort heute schon mehrere Länder mit Stromleitungen verbunden sind. Vielleicht wird eine solcherart verstärkte Partnerschaft in Westafrika auch andere politische Unternehmungen beatmen und eines Tages sogar zu einer ökonomisch überfälligen grenzüberschreitenden Integration und Ertüchtigung weiterer afrikanischer Wirtschaftsräume beitragen. Auch die praktische Umsetzung des African Continental Free Trade Agreements, die ab Beginn dieses Jahres vorgesehen ist, könnte dabei eine Rolle spielen – wenn sie denn erstmal in Gang gekommen ist.

Eine Vervielfältigung von DESERTEC bietet sich in weiteren Teilen Subsaharas geradezu an. German Trade & Invest (GTAI) hat z.B. 2019 bereits gewürdigt, dass Äthiopien zum größten Stromexporteur Afrikas werden will: durch Nutzung von Wasserkraft, aber in Zukunft auch vermehrt von Geothermie und Windkraft. Bis 2030 will das Land seinen heimischen Energiebedarf ausschließlich aus erneuerbaren Quellen decken. Danach könnte der Energieverbund mit anderen Ländern forciert werden. Statt dass Kenia z.B. langfristig auf Kohle- und Kernkraftwerke setzt und dabei seine finanziellen Möglichkeiten überdehne - „obwohl es für solche Großbetriebe kaum eine Nachfrage geben wird“ - gab GTAI 2019 ausdrücklich zu bedenken: „Sinnvoller wäre ein umfassender Stromimport aus Äthiopien, wenn dessen neue Wasserkraftwerke ans Netz gehen.“ Und tatsächlich: Eine 2000-Megawatt-Stromleitung aus Äthiopien steht jetzt kurz vor der Fertigstellung.

In anderen subsaharischen Regionen befinden sich ähnliche Schätze an klimaneutraler Energie, die darauf warten, gehoben und in überregionale Energiepartnerschaften eingebracht zu werden. Man kann nur hoffen, dass die Vernunft der Verantwortlichen dies noch bewirkt. Selbst wenn sie nur von Zahlungsbilanzen und Verschuldungsgraden diktiert wird.

Wenn es aber gelingen sollte, in Afrika mehrere „DESERTECs“ aufzubauen und mit Erfolg voranzubringen, könnte dies tatsächlich ein wichtiger Beitrag zur Rettung des Weltklimas werden. Denn dann könnten sie weltweit Schule machen.

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Die Menschen in Afrika wollen zu Wohlstand kommen. Keiner kann ihnen dies ernsthaft verwehren wollen. Deswegen muss das „gigantische Potenzial“ (GTAI) an klimaneutraler Energie dort nutzbar gemacht werden. Und die reichen Länder müssen dafür – schon aus Eigeninteresse an einer lebenswerten Zukunft - viel Geld einsetzen, wenn sie den Temperaturanstieg in der Atmosphäre auf unter 2 Grad begrenzen wollen!

Viele Menschen in den reichen Ländern fordern jedoch, das für den Klimaschutz notwendige Geld statt in Afrika in den heimischen Wirtschaften einzusetzen, um diese damit zu fördern. Ihnen muss entgegnet werden, dass der Wirkungsgrad des Geldes, das wir hier ausgeben für Gebäudedämmung, den Abriss von Gebäuden und ihren Wiederaufbau unter Einhaltung vieler Klimaschutz- und anderer Verordnungen, um damit den CO2-Ausstoß zu vermindern, in Afrika deutlich höher ist als bei uns. Das gilt nicht nur im Vergleich mit Saharastaaten, sondern ebenfalls für Subsahara mit seinen Regenzeiten.

BMZ-Berater Radermacher weist aber noch auf einen anderen Trumpf der Afrikaner hin: „Die Staatengemeinschaft arbeitet jetzt auf Basis unverbindlicher, freiwilliger Versprechen der Staaten gegen die globale Erwärmung. Man beachte, dass selbst die freiwilligen Zusagen nicht verbindlich sind und zusätzlich ein Ausstieg aus dem Vertrag möglich bleibt.“ Damit das nicht passiert, sieht das Pariser Klimaabkommen einen internationalen Klimafinanzausgleich vor, der die weltweit ärmsten Länder vor unzumutbaren Belastungen durch Klimaschutzmaßnahmen schützen soll. Die ihnen dafür in Aussicht gestellten 100 Millionen US-Dollar p.a. dürften allerdings zum Ausgleich aller Mehrkosten, die ihnen durch ihren Verzicht auf fossile zugunsten klimaneutraler Energieträger entstehen, nicht ausreichen. Hier liegt also eine Baustelle vor!

FAZIT: Es ist unerlässlich, den Klimawandel auf Dauer zu stoppen! Angesichts der Dringlichkeit einer Lösung des Problems bleibt nur die Hoffnung, dass sich bei allen daran Beteiligten die Einsicht durchsetzt, dass man mit der Natur nicht schachern kann.

Autor: Rainer Gruszczynski

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

COTRANGA

Initiator, Kontrolleur v. Entwicklungshilfe-Projekten in Westafrika - Leiter v. COTRANGA - Beirat der Social-Business-Stiftung - Mitglied BonnerAufruf

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