Der Bundestagspräsident auf Politmission in Teheran, das ist wie ein Gang über den Schwebebalken. Geht er den Machthabern um den Bart, um die deutsch-iranischen Beziehungen vor einer neuen Eiszeit zu bewahren, wird er der Kumpanei mit einem tyrannischen Regime bezichtigt werden. Verlangt er ein Ende der Repressalien und pocht öffentlich auf die Einhaltung demokratischer Grundregeln als Bedingung für verstärkte Zusammenarbeit, kann das der islamischen hard-core-Fraktion in die Hände spielen. Denn nichts funktioniert in der politischen Kultur des Iran zuverlässiger als der nationale Reflex gegen die "Einmischung des Westens". Nicht zufällig versuchen die Fundamentalisten, in deren Hand sich die Justiz und die Staatsmedien befinden, die Reformbewegung als Fünfte Kolonne gottloser Mächte darzustellen.
In dieser Propagandaschlacht wurde die Berliner Iran-Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, an der 17 iranische Intellektuelle aus einem breiten politischen und kulturellen Spektrum teilnahmen, zur "zionistisch-imperialistischen Verschwörung gegen die Islamische Republik Iran" umfrisiert. Mittlerweile sind zehn Angeklagte im Zusammenhang mit der Konferenz zu Haftstrafen bis 15 Jahren verurteilt worden, darunter auch ein Dolmetscher der deutschen Botschaft in Teheran. Gegen einen weiteren prominenten Referenten der Tagung, den Geistlichen Hassan Youssefi Eshkevari, wurde ein Geheimprozess vor einem religiösen Sondergericht inszeniert. Das Urteil ist bisher nicht bekannt, Gerüchte sprechen von der Todesstrafe, die bis zur Entscheidung im Berufungsverfahren ausgesetzt wurde.
Diese Urteile sind Teil eines erbitterten Machtkampfs über den zukünftigen Weg des Iran, der nach dem überwältigenden Erfolg der reformorientierten Parteien und Kandidaten bei den Parlamentswahlen im Frühjahr des vergangenen Jahres losbrach. Intellektuelle, Künstler und Studenten wurden verhaftet, die gesamte Reformpresse ausgeschaltet. Gleichzeitig treffen Intoleranz und Repression auch wieder verstärkt den Alltag der Bevölkerung, vor allem den der Frauen und Jugendlichen.
Im Iran verteidigt sich eine religiös verkleidete Diktatur gegen eine Entwicklung, die sich ähnlich auch in anderen islamischen Staaten abzeichnet: in der Gesellschaft, vor allem unter den Jüngeren und den gebildeten Frauen, gibt es einen starken Drang nach mehr Demokratie, individueller Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Die Alternative zu einem "islamischen Gottesstaat" heißt in den Augen vieler Reformkräfte in der islamischen Welt allerdings nicht Übernahme des westlichen Modells im Maßstab eins zu eins; vielmehr geht es ihnen um die Neubestimmung des Verhältnisses von Religion, Staat und Gesellschaft entsprechend der spezifischen Traditionen ihrer Länder.
Präsident Chatami war in den vergangenen Jahren die personifizierte Gratwanderung zwischen demokratischer Reform und Festhalten am islamischen Charakter des Staates. Selbst Teil der islamischen Macht, ermutigte er die Entwicklung der Zivilgesellschaft. Chatami stand und steht für kulturellen und politischen Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und den "Dialog der Kulturen". Wo er die Grenzen zieht, wenn die Grundlagen des islamischen Regimes, das Primat der Geistlichkeit über die gewählten Körperschaften und der Ausschluss nichtreligiöser Kräfte aus dem politischen Leben, infrage gestellt werden, ist eine offene Frage. Noch scheint er der überragende politische Repräsentant der Reformbewegung zu sein. Allerdings schwindet seine Autorität, je ohnmächtiger er sich erweist, diese Bewegung vor der Unterdrückung durch die fundamentalistische Fraktion der Macht zu schützen.
Faktisch verlief die innere Entwicklung des Iran unter der Präsidentschaft Chatamis nach dem Muster "ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück". Dennoch zeichnet sich keine politische Alternative zu der von Chatami repräsentierten Reformkoalition ab. Man kann davon ausgehen, dass die aktuelle Verschärfung der Repression auch darauf zielt, ihn politisch zu demontieren oder vor einer erneuten Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Juni abzuschrecken.
Es ist deshalb richtig, den Gesprächsfaden mit der iranischen Regierung und dem Parlament mit seiner reformorientierten Mehrheit nicht abreißen zu lassen. Ein Abbruch der Beziehungen würde geradewegs den Fundamentalisten in die Hände spielen, die im politischen Dialog mit dem Westen ohnehin das Einfallstor für demokratische Ideen sehen.
Allerdings muss für beide Seiten dieses Dialogs klar sein, dass eine gedeihliche Entwicklung der deutsch-iranischen Beziehungen nicht zum politischen Nulltarif zu haben ist. Insofern ist die Ankündigung von Gerhard Schröder, dass ein Besuch des Kanzlers in Teheran erst möglich ist, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen und die Prozesse gegen die Teilnehmer an der Berliner Iran-Konferenz einen akzeptablen Ausgang gefunden haben, ein wichtiges Signal. Das gilt auch für den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Iran und der EU, der konstitutiv für die Modernisierung des Landes ist. Hier liegt ein Hebel, von dem behutsam Gebrauch gemacht werden sollte.
Ralf Fücks ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll-Stiftung
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