Faktencheck Mietpreis-Explosion

Mietpolitik Open Expertise: Politikvorschläge zur Eindämmung der Mietpreis-Explosion auf dem Prüfstand

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Die Mietpreise in Deutschland steigen. Vor allem in Hamburg, Berlin oder München wird derzeit bei Neuvermietungen eine 30 bis 40 Prozent höhere Miete verlangt – ohne dass an der Wohnung irgendetwas gemacht wurde. Entsprechend steigen in der Folge auch die Bestandsmieten, die in den Mietspiegeln erfasst werden. Bezahlbarer Wohnraum wird immer mehr zur Mangelware. Fachleute und Politiker streiten derzeit darüber, welche Maßnahmen dazu taugen könnten, den Wohnungsmarkt zu entspannen. Das Problem „Mietpreis-Explosion“ verspricht eines der zentralen Themen des kommenden Wahlkampfes zu werden. Faktencheck prüft die in der Diskussion befindlichen Vorschläge und fragt nach Alternativen.

Der Plan

In diesem ersten Teil des auf mehrere Folgen angelegten Faktenchecks nehmen wir vor allem die Ausgangssituation genauer unter die Lupe: Wie bedenklich ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt wirklich? In den kommenden Folgen geht es dann um Vorschläge für Politik-Maßnahmen:

  • die Einführung von Mietobergrenzen
  • die Deckelung von Mietsteigerungen bei Neuvermietungen
  • die sozialverträgliche Gestaltung von energetischen Sanierung
  • Wohnraumförderung

Die Vorschläge werden beurteilt mit Blick auf

  • die jeweils unmittelbar erstrebten Effekte (z.B. bezahlbarer Wohnraum; Aufrechterhaltung der sozialen Durchmischung)
  • die Vereinbarkeit mit übergeordneten Anliegen (wie Chancengleichheit und der Reduzierung von sozialer Ungleichheit)

Hier vorab die Wissenskarte, welche die Resultate von Teil 1 des Faktenchecks zum Thema Mietpreis-Explosion zusammenfasst. Resultate aus der Diskussion in den Foren werden fortlaufen in die Karte übertragen:

  • Mindmap größer anzeigen? Geht auch hier!
  • Tipp: Zunächst alle Zweige der Karte zuklappen. Dann schrittweise wieder öffnen. Das erleichtert die Lektüre.

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  • Knotenpunkte, hinter denen sich Kommentare oder andere Details verbergen, sind entsprechend markiert:

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Die Ausgangslage

Recherche: Hubert Beyerle

Was zeigen die Daten? Die Mieten steigen! In Berlin lagen die Angebotsmieten, zu denen Wohnungen angeboten und neu vermietet werden, zuletzt 13,8 Prozent über dem Vorjahr. Das ist ein kräftiger Anstieg. Trotzdem ist Wohnen in Berlin vergleichsweise immer noch günstig: Im Schnitt kostete eine neu angebotene Wohnung hier 7,50 Euro je Quadratmeter nettokalt. In München hingegen werden zurzeit Wohnungen für im Schnitt 12,88 Euro angeboten. Auch die Bestandsmieten steigen. Denn die Preise für Neuvermietungen wirken sich mit Verzögerung auf den Mietspiegel aus – und an diesem orientiert sich, welche Erhöhungen auch für Bestandsmieten gesetzlich zulässig sind.

So deutlich sich erhebliche Mietsteigerungen auch in den Innenbezirken der Großstädte bemerkbar machen: Bundesweite Statistiken erzählen eine andere Geschichte. Nettokaltmieten in Deutschland stiegen im Februar 2013 um magere 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seit vielen Jahren dümpelt der Anstieg bei den Mieten bei etwa ein Prozent. Das ist deutlich niedriger als die Inflationsrate. Das heißt: Statistisch betrachtet, wird Wohnen in Deutschland seit Jahren real billiger. Dazu ein Mitarbeiter des Statistischen Bundesamtes, welche die Zahlen ermittelt hat:

„Wir können ja nicht nur nach Berlin-Mitte schauen, oder München-Schwabing. Für uns zählt jeder Einwohner gleich, also auch, wenn er in Hof oder in Plauen lebt.“

Aber erklären allein die Mietpreisdifferenzen zwischen München-Schwabing und Plauen, dass die Zahlen der Statistiker sich so gar nicht mit der gefühlten Wirklichkeit decken? Mangelnde Repräsentativität kann man den Ergebnissen kaum vorwerfen: Seit Jahrzehnten beobachten die Statistiker rund 20.000 Wohnungen, die nach ausgeklügelten Maßstäben ausgesucht wurden, um die soziale Repräsentativität zu gewährleisten. Das Problem liegt vielmehr in der Definition des Gutes „Wohnung“. Ein gerade fertig gestelltes KfW-Effizienzhaus ist etwas anderes als eine unsanierte Wohnung aus den 70er Jahren. Wenn eine Wohnung saniert wird, steigt die Miete, aber es ist auch mehr Komfort darin: Wenn eine elektronische Espressomaschine teurer ist als eine alte Filterkaffeemaschine, beschwert sich auch keiner über Inflation.

Die Statistiker verfahren so, dass ein Mietanstieg, der als Sanierungskosten auf die Miete umgelegt wird (in Höhe von maximal elf Prozent der Investitionssumme), völlig aus dem Preisanstieg rausfällt. Das erscheint zwar bedenklich: Kann doch die Kaltmiete nach einer Modernisierung gerne mal um 20 Prozent oder mehr steigen. Trotzdem wird das in der Statistik herausgerechnet. Es zählt als Verbesserung der Qualität der Wohnung.

Aber auch ohne diese Bereinigung steigen die Bestandsmieten im Schnitt noch sehr moderat. Das Hamburger Institut F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt wertet regelmäßig alle deutschen Mietspiegel aus. Der aktuelle gesamtdeutsche Durchschnittswert für 2012 liegt bei 6,13 Euro. 6,04 Euro waren es im Vorjahr – ein Anstieg von gerade mal 1,5 Prozent. Auch das ist unter der Inflationsrate. In Berlin liegt die Nettokaltmiete laut aktuellem Mietspiegel 2011 bei 5,21 Euro pro Quadratmeter. In Berlin stiegen die Wohnungsmieten im Februar offiziell um 2,6 Prozent zum Vorjahresmonat. Das ist höher als die allgemeine Inflationsrate – aber so dramatisch sehen die Zahlen denn doch nicht aus. Anekdoten, nach denen sich die erlaubten 20-Prozent-Erhöhungen zuletzt häufen, sind so betrachtet wenig repräsentativ.

Ein Metropolen-Problem?

Klar ist: Vor allem die Metropolen haben ein Mietproblem – und auch dort sind es meist nur wenige Bezirke oder Stadtteile. In den besonders beliebten Berliner Bezirken Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain-Kreuzberg beispielsweise: Hier liegen die Angebotsmieten teilweise bei bis zu 14,12 Euro. Am Kollwitzplatz (Prenzlauer Berg), wegen seinen luxussanierten Altbauwohnungen landesweit berühmt, werden Wohnungen im Schnitt für 11 Euro pro Quadratmeter angeboten. Aber die Angebote gehen bis zu 18 Euro und sogar darüber hinaus.

„In den Spitzenlagen werden Mieten bis zu 20 Euro angeboten“ bestätigt Jan Linsin vom Immobiliendienst-leistungsunternehmen CBRE. „Inzwischen ist es ja sogar so, dass Gewerbeflächen zu Wohnflächen umgewidmet werden, bis vor kurzem noch kaum denkbar.“

Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch Bezirke wie Marzahn-Hellersdorf, wo man auch jetzt noch Wohnungen ab 4,36 Euro bekommt. „Die Mietspanne ist in Städten wie Berlin mit 4 bis 20 Euro für den Quadratmeter inzwischen wirklich beträchtlich“, so Linsin. Die Zahlen legen nahe: Ursache des Anstiegs der Mieten ist vor allem die lokalen Konzentration der Nachfrage auf bestimmte Stadtteile. Diese gelten als schick, entsprechen einem sozialen Ideal. Hier wollen alle hin. Hinzu kommt, dass in bestimmten Bezirken wie etwa in Berlin-Kreuzberg viele Zuzügler aus dem Ausland ankommen, die aufgrund der Rezessionen in ihrer Heimat in Deutschland auf Arbeitssuche sind. Diese konzentrieren sich traditionell auf jene Stadtteile, wo sie auf viele Landsleute treffen.

Nichts von dem aktuellen Hype spüren die Menschen in vielen kleineren Städten auf dem flachen Land - nicht nur in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Brandenburg, sondern auch in vielen anderen Orten, die mehr als etwa 50 Kilometer von einer Großstadt entfernt liegen. Hier sind Vermieter froh, wenn sie Wohnungen für drei oder vier Euro losbekommen. Im Landesdurchschnitt stehen in Deutschland 8,6 Prozent der Wohnungen leer (2010). In Sachsen-Anhalt sind es sogar 15 Prozent.

An dieser Stelle kommt jedoch noch eine andere Zahl ins Spiel: Trotz im Bundesdurchschnitt moderater Mietanstiege gibt es in Deutschland seit 2006 immer mehr Landkreise mit steigenden Mieten– während die Zahl der Kreise mit sinkenden Mieten abnimmt. Gegenüber dem Jahr 2000 hat sich die Zahl der Kreise mit steigenden Mieten verdreifacht! (Deutscher Bundestag 2012: 18) Folgt daraus, dass insgesamt doch mehr als einige wenige Szene-Stadtteile von den drastischen Mieterhöhungen betroffen sind?

Zunächst: Steigende Mieten per se sind in einer wachsenden Wirtschaft normal, stagnierende oder gar fallende Mieten eine Anomalie. Es kommt jedoch darauf an, welcher Prozentsatz der Bevölkerung von stark steigenden Mieten in den attraktiven Metropolen-Stadtteilen betroffen ist. Was ist hierüber in Erfahrung zu bringen?

Nur 1 Prozent spürt deutlich steigende Mieten - oder sind es 16 Prozent?

Untersuchungen zeigen: Tatsächlich ist nur ein sehr kleiner Teil der deutschen Haushalte von drastisch steigenden Mieten betroffen. Bislang, jedenfalls. Laut Frühjahrsgutachten des Rates der Immobilienweisen 2013 sind die realen Mieten (also nach Abzug der Inflationsrate) für etwa ein Prozent der Haushalte in den vergangenen sechs Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Für die meisten Haushalte war der Mietanstieg in dieser Zeit viel moderater. Rund 60 Prozent der deutschen Haushalte spürte in dieser Zeit sogar sinkende reale Mieten, wie folgende Grafik zeigt:

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Veränderung der realen Mieten 2005/06 bis 2012. Quelle: Frühjahrsgutachten der Immobilienweisen. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des empirica-Institut.

Das Phänomen beträchtlicher Mieterhöhungen konzentriert sich auf wenige Stadtteile in einigen großen Metropolen.Hier wollen viele Menschen hinziehen. Ob sie bereit sind, in andere Stadtteile auszuweichen, erscheint derzeit fraglich. Es scheint sich hier eine Art „urbane Markenbildung“ vollzogen zu haben, die sich in höheren Mieten und Preisen widerspiegelt.

Hier die Darstellung der bisherigen Überlegungen im ('eingefrorenen') Ausschnitt aus der Wissenskarte:

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Noch etwas anderes als die Erhöhung der Preise spielt eine Rolle, wenn es darum geht, die Bedeutung der Mietenentwicklung zu beurteilen: das verfügbare Einkommen. Das Einkommen ist das Maß, anhand dessen beurteilt werden kann, ob die Mieter durch die Mietkosten tatsächlich übermäßig belastet werden. Die kritische Grenze für die Belastung durch Mietkosten liegt nach dem Ermessen von Eurostat bei 40 Prozent des verfügbaren Einkommens. Wenn man die Durchschnittsmieten betrachtet, liegen die Mieten in Deutschland weit unter dieser Grenze - selbst dann, wenn man auf die teuren Metropolen fokussiert. Laut Statistiken beträgt derzeigt der Wohnkostenanteil am verfügbaren Einkommen in Berlin ist 27,4 Prozent, in München 28,6 Prozent (Quelle: CBRE). Verglichen mit dem, was in anderen europäischen Metropolen üblich ist, scheint das noch moderat: Laut einer internationalen Übersicht des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft kostet ein Ein-Zimmer-Appartment in Berlin derzeit 21 Prozent des Durchschnittseinkommens, in München 25 Prozent. In Paris sind es schon 35 Prozent, in London 40 und in Rom sogar mit 49 Prozent fast die Hälfte des Durchschnittseinkommens.

Die Statistiken sprechen jedoch auch hier eine andere Sprache, wenn man sich nicht den Durchschnitt anschaut, sondern die einzelnen Segmente. In Frankreich liegen 6,3 Prozent der Mieter über der 40-Prozent Grenze. In Deutschland sind es 16,1 Prozent.

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Ursachenforschung

Neben der Konzentration der Nachfrage auf besonders begehrte Wohnviertel kommen auch weitere Gründe für den Anstieg der Mieten in Betracht:

  • Konzentration in den städtischen Ballungsräumen: 50 Prozent der Gesamtbevölkerung leben in Regionen mit steigenden Bevölkerungszahlen (Bodelschwing 2013)
  • Immer weniger Wohnungen mit Mietpreis-Bindung (Sozialwohnungen) sind auf dem Markt: Seit 2002 hat sich der Bestand an Sozialwohnungen um 38 Prozent reduziert. (Bodelschwing 2013) Inzwischen gibt es in Deutschland nur noch 1,6 Millionen Sozialwohnungen (IW Köln)
  • Der Bedarf an Wohnfläche pro Person nimmt zu. Grund: Die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland sinkt kontinuierlich. In Berlin beispielsweise leben bereits heute in mehr als der Hälfte aller Haushalte nur noch eine Person. Dabei gilt: Je kleiner der Haushalt, desto größer der Flächenbedarf pro Person. In der Gesamtstatistik führt dies zu einem höheren Verbrauch an Wohlfläche pro Einwohner. Kamen auf einen Einwohner 1999 noch 39 Quadratmeter Wohnfläche, waren es 2011 bereits 43 Quadratmeter (Statistisches Bundesamt 2011).
  • Einflussnahme renditeorientierte Finanzinvestoren auf den Wohnungsmarkt

Zwischenfazit: Im Anblick der im obigen Diagramm ("Veränderung der realen Mieten") dargestellten Gesamtschau stellen sich diese Ursachen jedoch nur als bedingt plausibel dar: Wenn die genannten Treiber allein verantwortlich wären für die Mietpreis-Explosion, dann müssten die Folgen in allen Großstädten mit ähnlicher demografischer Struktur die gleichen sein.

Tatsächlich jedoch sind die Mietpreise in den vergangenen Jahren (inflationsbereinigt) vor allem in Berlin, Hamburg und München stark gestiegen - während sie in Köln und Hannover sogar gefallen sind! Städten also, in denen die Bevölkerung nicht schrumpft, sondern wächst, wie diese Grafik zeigt: http://www.debattenprofis.de/wp-content/uploads/2013/04/20130406_bbr_wohnungsmarktregionen.jpg Auch ein Blick auf Zeitreihen am Beispiel einiger ausgewählter Städte zeigt, dass zwischen Bevölkerungswachstum- oder schrumpfung sich auf die Mietpreise sehr unterschiedlich auswirkt: Ein Bevölkerungswachstum um 2,5 Prozent (auf 5 Jahre) geht in Jena einher mit einer Steigerung der Mieten um 11,6 Prozent. In Düsseldorf geht das gleiche Wachstum einher mit einer Mietsteigerung von nur 3,4 Prozent. http://www.debattenprofis.de/wp-content/uploads/2013/04/20130406_bbr_mieten.jpg Sicherlich: das Bevölkerungswachstum in Jena ist begleitet von einem höheren Beschäftigungswachstum als in Düsseldorf. Andererseits: in Berlin (nicht in der Tabelle enthalten) steigen die Einwohnerzahlen in der Kernstadt, ohne dass es zu einer signifikanten Zunahme der Beschäftigung kommt. Dennoch steigen die Mieten. Zusätzlich ist die vermutlich auch die absolute Höhe der Mietpreise zu berücksichtigen: hier hatte Jena in der Tat "Nachholbedarf".

Auch wenn die Zusammenhänge mit dieser Betrachtung nicht geklärt sind: Die Beispiele legen nahe, dass steigende Nachfrage in den Ballungsräumen allein nicht die Ursache für drastisch steigende Mieten sein kann. Dies wird bei der Beurteilung der Vorschläge zur Eindämmung der Mietpreis-Explosion zu berücksichtigen sein.

„Zweite Miete“ Energiekosten

Selbst wenn die aktuellen Mieten vielleicht als noch als verkraftbar bezeichnet werden: Die Dynamik macht Sorgen – zumal auch die „zweite Miete“, also der Kostenaufwand für Strom und Heizung in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat: Zwischen 2001 und 2011 sind die entsprechenden Preise jährlich um 4,9 Prozent gestiegen! (Bundesregierung 2012: 20) Wie es hier weiter geht, ist seriös nicht zu sagen: Die Prognosen für die Energiepreise reichen weit auseinander: von stark steigenden wie vom Hamburger Energie-Analyst Steffen Bukold, der bis 2020 mit einem Anstieg der Heizölpreise um rund 50 Prozent, bis hin zur Internationalen Energieagentur IEA, die für die nähere Zukunft leicht fallende Ölpreise erwartet. Ginge es so weiter, wie in den vergangenen zehn Jahren, wäre das dramatisch: Die Verbraucherpreise für Heizöl haben sich mehr als verdoppelt, für Erdgas sind sie um über 50 Prozent gestiegen.

Hinzu kommt ein weiterer Faktor. Bis zum Jahr 2050, so das Ziel der Bundesregierung, sollen möglichst alle bestehenden Wohnungen in Deutschland energetisch saniert sein. Mit milliardenschweren Förderprogrammen über die KfW werden Vermieter dazu ermuntert. Die Hauptkosten der Sanierungen werden vermutlich jedoch die Mieter tragen müssen. In einer empirischen Studie aus dem Jahr 2010 kam die Deutsche Energieagentur Dena auf eine durchschnittliche Mieterhöhung von 1,73 Euro pro Quadratmeter. Der Deutsche Mieterbund befürchtet sogar eine Mieterhöhung nach energetischer Sanierung von durchschnittlich 2,75 Euro pro Quadratmeter – Kosten, die sanierungsbedingte Energie-Einsparungen nur zu einem kleineren Teil wieder ausgeglichen werden.

Das ganze noch einmal im Überblick ('eingefrorener' Ausschnitt - interaktive Komplettversion hier):

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Ausblick

Wie wird sich der aktuelle Trend fortsetzen? Ulrike Stüdemann vom Institut F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt in Hamburg, hält langfristig steigende Mieten – zumindest, was die Kaltmieten betrifft - für unwahrscheinlich. „Wir haben gerade eine Sondersituation“, sagt sie.

„So erlebten beispielsweise die Universitäten gerade einen Ansturm wegen doppelten Jahrgängen und dem Ende der Wehrpflicht. Darum steigen die Mieten dort deutlich.“ Das werde sich aber wieder normalisieren.

Außerdem floriert die deutsche Wirtschaft seit einigen Jahren. Es gibt Einkommenszuwächse und neue Jobs, vor allem in den Städten. Und es ziehen mehr Menschen in die Metropolen, auch aus dem Ausland. Dieser Zuzug ist wegen der Euro-Krise derzeit besonders stark, und dürfte auch wieder abflauen, sobald sich die Krise entspannt. Ähnliches gilt für das preistreibende Betongold: Investoren kaufen oft ganze Häuser und sanieren sie. Auch das treibt die Mieten nach oben.

"Zurzeit fließt viel Geld von Klein- und Großinvestoren in Wohnungseigentum“, sagt Stüdemann. „Dieser starke Sog wird sich irgendwann wieder abschwächen.“ Immobilienmärkte sind sehr zyklisch: Auf den Boom folgt irgendwann eine Abkühlung. Der Boom hält so lange an, wie Investoren Abnehmer oder Mieter finden, die das bezahlen können. Was aber auch heißt: Es kann womöglich noch Jahre weiter gehen wie bisher. Zumal laut allein in Berlin laut Prognosen des Amtes für Statistik Berlind-Brandenburg die Bevölkerung bis zum Jahr 2030 von derzeit 3,5 Millionen auf rund 3,75 Millionen Einwohner anwachsen wird - was ungefähr der Größe einer Stadt wie Braunschweig entspricht.

Menschen in den von drastischen Mietsteigerungen betroffenen City-Stadtteilen in Berlin Mitte, Prenzlauer Berg oder Friedrichshain-Kreuzberg, in der Sternschanze und in Sankt Georg oder Ottensen in Hamburg oder in den Münchner Stadtteilen Lehel oder Bogenhausen müssen langfristig eine Verdrängung befürchten, wenn ihre Einkommen nicht mithalten können.

Die folgenden Teile des Faktenchecks werden sich mit der Frage beschäftigen, was angesichts der diagnostizieren Ausgangslage geeignete politischen Instrumente sein könnten, um drastischen Mietpreis-Steigerungen Einhalt zu gebieten. Um die Erstellung der folgenden Teile zu finanzieren, bitten wir um eine Spende auf Krautreporter.de

Links und Literatur auf Extra-Seite

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Das Projekt Faktencheck wird gefördert durch die Robert Bosch Stiftung.

Kostenfreie Wiederveröffentlichung diese Textes ist auf Anfrage möglich: faktencheck@debattenprofis.de

Hubert Beyerle
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ralf Grötker

Wissenschaftsautor.Zwischenzeitlich Redakteur der Wissens-Seiten beim FREITAG

Ralf Grötker

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