Bis zu sieben Menschen können dank der Organe eines einzelnen toten Spenders überleben – sagt die Statistik. Um die Spende zu ermöglichen, genügt ein Vermerk auf dem scheckkartengroßen Organspendeausweis, der in jedes Portemonnaie passt. Klingt alles ganz einfach. Aber gibt es nicht auch gute Gründe, die gegen die Organspende sprechen? Und wie soll man sich entscheiden?
Die in den vergangenen Monaten immer wieder ans Licht gekommenen Fälle, bei denen Krankenhausärzte offenbar Laborwerte von Patienten gefälscht hatten, um Organe an den offiziellen Wartelisten vorbei zu vergeben, sollten nicht von sich aus ein Grund gegen die Organspende sein. Auch bei Spenden zu wohltätigen Zwecken kommt es schließlich immer wieder zur Zweckentfrem
eckentfremdung von Spendengeldern. Sollte man deshalb ganz darauf verzichten, zu spenden?Schwerer wiegt dagegen ein jetzt publik gewordener Fall, der sich 2005 in einem Düsseldorfer Klinikum ereignet hat. Wie ein jetzt an die Öffentlichkeit gelangter Untersuchungsbericht der Bundesärztekammer nahelegt, war in diesem Fall der Hirntod des Spenders nicht so gründlich untersucht worden, wie es das Transplantationsgesetz vorschreibt. Der Chef der Deutschen Stiftung Organspende, Günter Kirste, streitet sich derzeit mit der Berliner taz um die Richtigkeit dieser Behauptung.Der Vorfall lässt daran zweifeln, ob die vereinbarten Standards zur Diagnose des Hirntodes – eine Voraussetzung für die Organentnahme – auch immer eingehalten werden. Man muss allerdings betonen: Wie sich bei einer Leichenschau zweifelsfrei herausstellte, hatte der Düsseldorfer Spender eine so massive Hirnblutung gehabt, dass das Gehirn zur Zeit der Organentnahme abgestorben und der Patient demnach tot war.Das Gehirn schaltet abDer Fall hat dennoch die Frage aufgeworfen, ob das System der Organspende noch vertrauenswürdig ist. Denn es gibt immer wieder Berichte darüber, dass Patienten zunächst fälschlich als hirntot diagnostiziert werden und dann doch wieder ins Leben zurückkehren.Auseinandersetzungen gibt es auch über das Todeskriterium selbst. Das ist kein Wunder: Die Medizintechnik sorgt dafür, dass sich die Definition des Todes immer wieder verändert. Vor der Erfindung der Herz-Lungen-Maschine im Jahr 1952 galt der irreversible Kreislaufstillstand noch als Kriterium des Todes. Der Grund: Steht der Kreislauf länger still, funktionieren auch die Organe nicht mehr. Nach und nach schaltet sich der Organismus ab – einschließlich des Gehirns, welches wiederum die Atmung steuert. Mit Einführung der Herz-Lungen-Maschine wurde es möglich, dass Herzversagen und Gehirnversagen zeitlich auseinanderfallen: Bei totem Gehirn kann der Kreislauf dennoch weiter funktionieren. Das Todeskriterium „Hirntod“ wurde erstmals 1968 offiziell verwendet und zwar um einen Arzt, der einem nach damaliger Definition nicht-toten Patienten Organe entnommen hatte, gegen die Anklage des Mordes zu verteidigen.Aber auch ohne die Organspende hätte das Herzversagen als Todeskriterium ausrangiert werden müssen. Spätestens mit der in den sechziger Jahren erfolgten Einführung des Defibrillators, mit dem ein still stehendes Herz durch einen Stromschlag wieder in Gang gesetzt wird, konnte der Kreislaufstillstand, da von nun an nicht mehr per Definition irreversibel, kaum mehr als Todeskriterium gelten.Check mit VollnarkoseTechnische Innovationen haben die Definition des Hirntods in den Folgejahren immer wieder verändert. In einer Untersuchung, die vor einiger Zeit im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde, konnte nachgewiesen werden, dass Patienten, die eigentlich als hirntot galten, noch Bewusstseinsaktivitäten aufwiesen.Kein Wunder also, dass es umstritten ist, welche Kriterien ausreichend sind, um einen Hirntod zu diagnostizieren. Kritiker fordern, dass zusätzlich zu den standardmäßig praktizierten Untersuchungen (siehe Kasten) eine Untersuchung des Blutflusses im Gehirn und, in zweifelhaften Fällen, ein visueller Hirn-Scan erfolgen sollte. Außerdem sind einige Mediziner der Meinung, dass die Organentnahme bei Hirntoten unter Vollnarkose erfolgen sollte – um ganz sicher zu sein, dass die Patienten aufgrund weiterhin vorhandener Rückenmarksaktivität keine Schmerzen erleiden. In der Schweiz ist die Vollnarkose sogar vorgeschrieben.All dies sind keine zwingenden Argumente gegen die Organspende. Und man kann sich schon fragen, ob man als Empfänger einer Organspende ähnliche Skrupel hegen würde wie als potenzieller Spender. Nur: Wer sagt, dass wir uns bei unserer Entscheidung auf ein resolutes „Nein“ oder ein vorbehaltloses „Ja“ beschränken müssen? Wäre es nicht eine attraktive Option, das „Ja“ damit zu verknüpfen, dass die bisherigen Kriterien zur Feststellung des Hirntodes um zusätzliche Checkpunkte erweitert werden? Dass die Qualitätskontrolle der Diagnose verbessert wird, so wie etliche Experten dies fordern? Leider gibt es keine Möglichkeit, dies auf dem Organspende-Ausweis zu vermerken, geschweige denn, anderweitig wirkungsvoll mitzuteilen. Das ist schade für uns, die wir die Wahl haben – und eine Tragödie, für diejenigen, die so dringend auf eine Transplantation angewiesen sind, aber unter den derzeitigen Bedingungen keinen Spender finden.