Welcher Zeit-Typ bin ich?

Prägung Ob wir optimistisch nach vorn- oder wehmütig zurückblicken, das hängt mit unserer Kultur zusammen

Philip Zimbardo, ein amerikanischer Psychologe, hat auf der Grundlage von tausenden Interviews mit Menschen aller Altersgruppen eine Klassifikation verschiedener Zeitperspektiven entwickelt: das Zimbardo Time Perspective Inventory (ZTPI). Auf der Grundlage dieses Klassifikationssystem sind Tests unter anderem in den USA, Frankreich, Spanien, Italien, Russland und Südafrika durchgeführt worden. Die internationalen Tests haben gezeigt, dass sich Menschen in verschiedenen geografischen Regionen in ihrem subjektiven Zeitempfinden stark voneinander unterscheiden. Je näher man an den Äquator kommt, umso stärker ist zum Beispiel ein vor allem auf die Gegenwart fokussiertes Zeitempfinden anzutreffen.

Im Zeittunnel

„Positive Vergangenheit“ heißt jene Zeitperspektive, die mit einer insgesamt nostalgischen Haltung zusammenfällt. Menschen, deren Zeitperspektive vor allem durch den positiven Bezug zur Vergangenheit geprägt ist, pflegen alte Freundschaften, zelebrieren Familientreffen und umgeben sich gern mit Gegenständen, die eine gewisse Geschichte haben. Sie mögen Oldies und Hollywood-Klassiker.

„Einstellungen gegenüber vergangenen Ereignissen sind wichtiger als die Ereignisse selbst“, betonen Philip Zimbardo und sein Co-Autor John Boyd in ihrem Bestseller-Ratgeber Die neue Psychologie der Zeit. Denn: „Positive Einstellungen zur Vergangenheit können positive Ereignisse reflektieren, die ein Mensch tatsächlich erlebt hat, oder eine positive Geisteshaltung, die ihn in die Lage versetzt, das Beste aus schwierigen Lebenslagen zu machen“. In ihrem Buch finden sich entsprechende Tipps, wie man die eigene Einstellung durch mentales Training verändern kann.

Ja zur Vergangenheit

Eine insgesamt nostalgische Haltung bringt nach der Ansicht von Zimbardo und seinen Kollegen verschiedene Vorteile mit sich. Menschen, deren Zeitbezug vor allem durch eine positive Einstellung zur Vergangenheit geprägt ist, verhalten sich im Vergleich zu Menschen, die eine negative Einstellung zu Vergangenheit haben, weniger ängstlich, weniger aggressiv, emotional stabiler, gewissenhafter, kreativer und selbstsicherer.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch deutliche Nachteile. Nostalgiker sind stärker abhängig von Belohnungen. Sie sind weniger bereit Risiken einzugehen und neue Freundschaften zu schließen, halten fest am Status quo und verabscheuen Veränderung. „Diese Perspektive“, schließt Zimbardo, „kann sie blind machen für neue und bessere Strategien, um auftretende Probleme zu lösen“.

In Bezug auf die Psychologie ganzer Nationen scheinen die negativen Konsequenzen der Nostalgie sogar zu überwiegen: „In einer globalisierten Wirtschaft werden Nationen, die in der Vergangenheit leben, zurückfallen.“

Dies glaubt der Forscher auch am Beispiel der Heimat seiner Vorfahren, Süditalien, erkannt zu haben. Als er einmal in Sizilien auf einer Vortragsreise war, berichtet Zimbardo, wurde er von einem Zuhörer angesprochen, der sich als Dichter ausgab – und berichtete, dass es im sizilianischen Dialekt keine grammatische Zeitform für die Zukunft gäbe. Der Psychologe schließt daraus: „Das ist der Grund, warum in Sizilien nie irgendetwas angepackt wird!“.

Der von Philip Zimbardo entwickelte Test, mit dem man herausfinden kann, welcher Zeitzonen-Typ man selbst ist, kann auf der Seite tinyurl.com/aooa2f8 durchgeführt werden. Neben einem Fragebogen finden sich dort auch Hinweise zur Auswertung. Einen Erklärfilm mit animierten Zeichnungen zur Sozialpsychologie des Zeitempfindens mit Zimbardo als Sprecher hat die britische Royal Society for the Encouragement of the Arts produziert. Der Titel: The Secret Powers of Time ( youtube.com/watch?v=A3oIiH7BLmg)

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Geschrieben von

Ralf Grötker

Wissenschaftsautor.Zwischenzeitlich Redakteur der Wissens-Seiten beim FREITAG

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