About a Boy

Nudistencamp Dank Helmut Newton hat Berlin endlich ein geräumiges Museum für Fotografie

Das Schelmenhafte hat ihn überlebt. Helmut Newton, zu Lebzeiten einer der teuersten Porträt- und Modefotografen der Welt, scheint auch über den Tod hinaus seinen berüchtigten Humor nicht eingebüßt zu haben. Als am vergangenen Freitag im ehemaligen Casino der preußischen Landwehr in Berlin die Helmut Newton Stiftung eröffnete, war es, als wenn am Eingang der im letzten Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommene Fotograf noch einmal verschmitzt mit den Augen zwinkern würde. In dem von den Architekten Petra und Paul Kahlfeldt neu gestalteten Treppenhaus, in dem zuvor monumentale Porträts einstiger preußischer Offiziere auf den Besucher herabblickten, hängen nun fünf jener Fotografien, mit denen Newton einst endgültig der Durchbruch gelang: Die Big Nudes.

In seinem Werk war Newton immer ein Spieler: Perspektivverschiebungen, gebrochene Blicke und dezente Anspielungen. Im Landwehr-Casino hat der gebürtige Berliner nun seine letzte Partie eröffnet. Die Geschichte hierzu hat der Sohn eines jüdischen Knopffabrikanten in seinem letzten Lebensjahr oft erzählt: Wie er 1938 auf der Flucht vor den Nazis am Bahnhof Zoo einen Zug bestieg und sein letzter Blick auf eben jenes wilhelminische Gebäude fiel, in dem nun sein Lebenswerk Obdach findet. Am Ende scheint es nun, als hätte Newton über die Geschichte gesiegt. Das bis an die Zähne bewaffnete Preußentum, das ab 1933 endgültig in den Untergang trieb, wird durch die bewusste Bildhängung dezent entblättert. Die Militariasammlung verpuppt sich zum Nudistencamp.

"He was a Berlin boy". Mit diesen Worten beschreibt Newtons Frau June solch pfiffige Triumphe der Kunst. Und erlinerisch war vielleicht auch das an Newton: Trotz aller Schmähungen und Enttäuschungen, die die Stadt dem Fotografen angetan hat, kam er von ihr nicht los. Dass er seine Fotografische Sammlung am Ende nach Berlin und nicht, wie zunächst vorgesehen, nach Paris gab, hat sicherlich auch mit diesem vercruxten Wort Heimat zu tun.

Seine Vaterstadt wird es ihm auf ewig danken. Klaus-Peter Schuster jedenfalls, Generaldirektor der Staatlichen Museen, verfällt bei der Eröffnung des Hauses in eine Demutshaltung, die vielen devoten Unterwürfigkeitsspielchen einer Newton-Fotografie in kaum etwas nachsteht. Beckmann, Grosz, Mies van der Rohe und eben Helmut Newton; das seien laut Schuster die Berliner Künstler, die am meisten geleistet hätten für den Bildhaushalt der Moderne.

An solcher Umgarnung hat man lange geübt. Denn seit Mitte der neunziger Jahre gibt es in der Hauptstadt eine große Idee: Man brauche, so hieß es da plötzlich von allen Seiten, ein Deutsches Zentrum für Photographie; ein Museum, das der fotografischen Kunstform endlich jene Aufmerksamkeit zukommen ließe, die sie in anderen Städten seit langem hat. Dies aber nicht nur, weil Berlin nicht länger hinter New York, Paris oder Brüssel zurückstehen wollte, sondern da in den Archiven der Staatlichen Museen gut eine Million Fotografien und Negative ungesichtet vermoderten.

Lediglich die Finanzierung eines solchen Projektes sorgte lange für Probleme. Und so blieb von dem großen Wurf am Ende nicht mehr als eine kleine fotografische Abteilung an der Kunstbibliothek übrig. Das Buhlen um private Sammlungen und Sponsorengelder war für das Berliner Fotozentrum ohne Erfolg geblieben. Und die Schmähung, sie kam noch dicker: Während man in Berlin jahrelang darauf beschränkt blieb, von einem Museum für Fotografie zu redete, Konzepte zu erarbeiten und Papiere zu verschieben, machte die Stadt Hamburg mit der Sammlung Gundlach in Windeseile vor, wie man ein solches Museum tatsächlich realisieren konnte.

So gesehen ist es verständlich, dass Klaus-Peter Schuster bei der Eröffnung der Helmut Newton Stiftung etwas berlinerisch und großspurig wurde. Denn mit Newton hatte die Stadt im vergangenen Jahr nicht nur einen großen Namen und bedeutenden Sammler gewonnen. Er war derjenige, der das Deutsche Zentrum für Photographie Wirklichkeit werden ließ. Im Landwehr-Casino an der Jebenstraße, das die Stadt Berlin für den symbolischen Preis von einem Euro an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verkauft hat, wird in Zukunft nicht nur die Helmut Newton Stiftung ihr Domizil beziehen, sondern zudem das lang ersehnte Museum für Fotografie.

Die Kosten der Staatlichen Museen sind dabei gering. Denn Helmut und June Newton erklärten sich nicht nur bereit, dass Haus zu sanieren. Ihre Stiftung finanziert zudem den ständigen Kurator und die Kosten für Kataloge und Publikationen. Ein solche großzügiger Mäzen also, der kann auf der ewigen Bestenliste moderner Kunst auch schon mal ein paar Plätze nach vorne gepusht werden. Das hilft nicht nur den leeren Kassen, sondern letztlich auch der Fotografie.

Die zumindest hat mit der Sammlung Newton einen beachtlichen Fundus dazu gewonnen. Die zwei Ausstellungen Us and Them und Sex and Landscapes, mit denen das Haus am Freitag eröffnete, zeigen weit mehr als den bekannten Newton. Zwar ist auch hier stets jene Perspektive präsent, die aus jeder Probiermamsell einen erotischen Vamp zu zaubern versteht und die mit fast kindlicher Freude den Betrachter hineinstürzt in eine vertrackte Inszenierung aus Blicken und Obsessionen. Darüber hinaus aber gibt die Schau auch intime und oft verletzliche Einblicke in das Privatleben des Fotografenpaars. Besonders die "Krankheitsbilder", die Helmut Newton nach seinem ersten Herzinfarkt Anfang der siebziger Jahre als Selbstporträts anfertigte, die Aufnahmen von Verwundungen und Genesung, von Herz-Lungen-Maschinen und EKG-Kabeln sprechen eine deutlich morbidere Sprache als das Highclass-Ambiente, das der Betrachter von Newton gewöhnt ist.

Am eindrucksvollsten zeigt dies jedoch eine Fotografie von June Newton, die seit 1970 unter dem Pseudonym Alice Springs eine eigene Fotografenkarriere aufbaute. Das Bild stammt aus dem Jahr 2003 und zeigt sie am Totenbett ihres Mannes. Das letzte Bild von Helmut Newton enthält all das, wofür der "Berlin boy" zuletzt auch von der Kunstwelt heiß umworben wurde: ein Arrangement öffentlicher und privater Personen. Letztlich eine Provokation. June Newton will um dieses Bild keine großen Worte machen: "It´s a good picture. Isn´t it?" Nicht nur für sie dürfte es ein stilles Farewell an einen großen Fotokünstler des 20. Jahrhunderts sein.


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