Bitte, bitte küss mich!

Zehn Jahre "New Yorker" Eine Ausstellung zu Art Spiegelman in Berlin zeigt nun seine Illustrationen für die letzte "gute alte Tante" in Amerikas Presselandschaft

Küsse aus New York. Mit einer solchen Liebkosung hätte keiner mehr gerechnet. Seitdem das deutsch-amerikanische Verhältnis in die Binsen gegangen ist, hat sich die alte Welt nach amerikanischer Liebe verzehrt. Doch dieses Busserl entstammt nicht den gespitzten Lippen George W. Bushs oder Donald Rumsfelds. Es ist die transatlantische Botschaft des New Yorker Comiczeichners Art Spiegelman. Kisses from New York, so lautet der Titel einer Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau, die die Zeichnungen Spiegelmans für die traditionsreiche Intellektuellen-Illustrierte New Yorker zeigt.

Es offenbart das alte Dilemma. Während das politische Berlin auf ein Zeichen der US-Administration wartet, kommt der Liebesdienst wie immer von der falschen Seite. Old Europe findet seine Verbündeten immer nur in jenen Leuten, die es dann unter dem Begriff "anderes Amerika" subsumieren kann. Susan Sontag, Noam Chomsky oder eben Art Spiegelman. Es scheinen die einzigen Amerikaner zu sein, die unseren Kontinent noch lieb haben. Doch es kommt noch dicker. Die im Titel der Ausstellung angekündigte Versöhnung ist uns gar nicht zugedacht.

Anfang der neunziger Jahre wurde Art Spiegelman von Tina Brown, der damaligen Chefredakteurin des New Yorkers gebeten, die langweiligen Cover-Illustrationen der Zeitschrift aufzupeppen. Sein erster Entwurf zeigte den Kuss zwischen einer afroamerikanischen Frau und einem orthodoxen Chassid. Es war der Valentinstag des Jahres 1993, als das Magazin mit Spiegelmans Zeichnung in den Handel kam. Sie machte das altbackene Magazin nach Jahren wieder zum Stadtgespräch. Dort, wo normalerweise fallendes Herbstlaub oder verschlafene Winterlandschaften die corporate identity mit einer gesetzten Zielgruppe schaffen sollten, prangte an diesem Tag eine Provokation.

Kisses from New York war Art Spiegelmans Antwort auf brutale Rassenunruhen in Brooklyns Armenviertel Crown Heights. Nachdem dort ein schwarzes Kind von einem Chassid überfahren worden war und ein aufgebrachter schwarzer Mob einen weißen Juden gelyncht hatte, stand das Viertel am Rande eines Rassenkrieges. In dieses Gefühlsgemenge hinein schlug die Zeichnung ein wie eine Bombe. Ihre Botschaft war so apellativ wie simpel: From Spiegelman, with Love.

Über siebzig Werke hat der berühmte Comiczeichner seither für den New Yorker gefertigt. Einer Zeitschrift, die seit mehr als zwei Generationen das Leben des kultivierten Amerikas begleitet. Der New Yorker ist nicht nur in den Vereinigten Staaten längst zu einer Zeitschriften geworden, die man liebevoll "gute alte Tante" nennt. "Die Welt mag zum Teufel gehen, aber wenn wir in den Seiten unserer liebsten Wochenzeitschrift blättern, sind wir sicher, dass der Teufel nur die anderen Menschen holt", so etwa Paul Auster über sein Verhältnis zu dem oft innovativen, allzu oft aber auch gediegenen und gefälligen Wochenmagazin.

Am 11. September 2001 hätte der Teufel dann fast die Welt geholt. Und diesmal nicht nur die Anderen. Unzählige Bürger jener Stadt, denen der Titel der Zeitschrift allwöchentlich die Ehre erweist, wurden Opfer eines unbeschreiblichen Infernos. Wieder sollte es der längst Pulitzer-Preis-geadelte Spiegelman sein, der nach der Sinnbereinigung jeglicher Bilder noch eine letzte Durchsage zustande brachte. Im Nachhinein scheint seine Antwort auf die Loops immer und immer wieder zusammenstürzender Wolkenkratzer wie eine Illustration des Naheliegendsten. Dem kernsanierten Zeichensatz aus Rauch, Trümmern und Staub hält Art Spiegelman eine Art semiotisches Nichts entgegen.

Als am 24. September die erste Ausgabe nach Ground Zero erscheint, zeigt sie einen ganz in schwarz gehaltenen Einband. So bestechend dunkel, dass nur die momochrome Farbfeldmalerei der sechziger Jahre an diese Ödnis noch heranreichen könnte. Ein Schwarz-auf-Schwarz Bild, von dem Art Spiegelman selbst sagt, dass es vom abstrakten Expressionisten Ad Reinhardt beeinflusst worden sei. Auch das World Trade Center ist auf diesem Bild zu sehen. Pechschwarz und dunkel, so dass es nichts zurückwirft, außer Gram.

Für zahlreiche Kritiker markiert dieses Bild den Höhepunkt in Art Spiegelmans Schaffen. Dort, wo andere noch versucht waren, selbst aus der abseitigsten Bildeinstellung eine Botschaft zu entsaften, wird hier der Inhalt durch einen minimalistischen Zeichensatz übermittelt. Und da man immer aufhören soll, wenn die Klimax überschritten ist, schmeißt der sympathische Polit-Nörgler kurz darauf die Brocken hin. 2002 lässt er seinen Vertrag beim New Yorker auslaufen. Nicht, weil ihm die Ideen ausgegangen wären. Die Chemie zwischen beiden stimmte nicht mehr.

Gemäkelt wurde in den zehn Jahre der Zusammenarbeit häufig. Mal erschienen den Redakteuren Spiegelmans Zeichnungen zu übertrieben, mal waren sie ihnen zu amerikakritisch. Vieles, was als Coverillustration gedacht war, verschwand nach Drucklegung in den Tiefen der Zeitschrift. Auf kleinen Kommentaren lässt sich in der Berliner Ausstellung immer wieder der Ärger nachlesen, den Spiegelman in der Korrespondenz mit der Redaktion aushalten musste. "Vollkommen sicher, dass der Himmel abstürzen würde, fühle ich mich immer weniger im Einklang mit den Tendenzen der Zeitschrift".

Spätestens mit der Inthronisierung des Bush-Clans nahmen die Verstimmungen zwischen dem Zeichner und seinen Auftraggebern zu. Der eigentlich liberale New Yorker machte für Art Spiegelman immer mehr die reaktionäre Biege. Nicht, dass sich Spiegelman in seinem mehr als 30-jährigen Schaffen je mit einer sozialen oder politischen Gruppe gemein gemacht hätte. Die neuen Konservativen in Washington aber waren für ihn nur schwer zu ertragen. Seiner Meinung nach spalteten Medien und Politik mit ihrem anschwellenden neokonservativen Timbre mehr und mehr die Nation.

Art Spiegelman ist eben ein liebenswerter Rumnörgler. In seinem ganzen Habitus wirkt der nervöse Kettenraucher wie die Idealbesetzung für New York. Spiegelman gehört zu jener linksliberalen bürgerlichen Intelligenz, wie sie unentwegt durch die Filme eines Woody Allen flitzt. Gestochen komisch und doch immer bereit, die gute Laune zu vermiesen. Schon als er mit seinem längst zum Klassiker avancierten Comics Maus. A Survivor´s Tale und Maus II 1986 endlich eine breite Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte, verstand er, zu polarisieren.

Für nicht wenige Kritiker war mit der Holocaust-Fabel Maus die Erinnerungskultur an Auschwitz am absoluten Nullpunkt. Die Comic-Novelle, in der der Cartoonist die Geschichte seines von den Nazis verfolgten Vaters Wladek Spiegelman erzählt, lag nicht nur für viele Amerikaner jenseits der Grenze zum guten Geschmack. Indem er Nazis als Katzen, Juden als Mäuse und Polen als Schweine darstellte oder mit bitteren Bildbrüchen und vordergründigen Sprachzoten die Schrecken des Nazi-Terrors nachzeichnete, trat er einen Skandal los.

Das Medium Comic, in dem Gewalt und Brutalität seit jeher auf surreales Niveau runtergeschraubt werden, ist nicht geeignet, die allgegenwärtige Barbarei des Nazi-Faschismus darzustellen. Solche und ähnliche Vorwürfe waren zunächst an der Tagesordnung. Bald jedoch war klar, dass Spiegelmans Bildgeschichte alles andere als die Mickey-Mouseierung von Auschwitz war. Wie in kaum einer Holocaust-Erzählung zuvor, gelingt es hier, die üblichen Narrationsmuster zu dekonstruieren. Maus ist die Visualisierung eines vielschichtigen Generationskonfliktes zwischen den Überlebenden und den Nachgeborenen. Hintersinnig, gedreht und dabei immer auch ein gutes Stück selbstreferentiell.

"In unserer post-literarischen Kultur", so Spiegelman, "gewinnt der Comic an Bedeutung. Der Comic zeichnet die Arbeitsweise des Gehirns nach. Die Menschen denken eben in ikonographischen Bildern und nicht in Hologrammen". Wichtiger als die Bilder scheint ihm bei dieser Feststellung die Arbeit des Gehirns zu sein. Denn im Gegensatz zum alltäglichen Fernsehfluss erlauben Comic und Cartoon eine zum Teil groteske Pointierung.

Als etwa Amerikas Fernsehanstalten Clintons Impeachment auf unzähligen Programmen rauf- und runternudelten, machte Spiegelman seiner Erregung mit einem schnell gezeichneten Cartoon Luft. Eine Horde Journalisten steht da um den Präsidenten versammelt, ihre Mikros nicht auf den Mund, sondern auf den Hosenschlitz des Unzüchtigen gerichtet. Ein frecher Kommentar zu der Frage, wie man einen Blow-Job aufbläst.

In den zehn Jahren, in denen Art Spiegelman dem New Yorker eine neue Optik verabreicht hat, ist er letztlich zu einem Chronisten einer kuriosen Dekade amerikanischer Politik geworden. Ob die zero-tolerance-Offensive Rudolph Giulianis, die Luftangriffe auf Afghanistan oder die Öl-Connection der Bush-Regierung. Kaum etwas, das er nicht mit einer einzigen Zeichnung gegen den Strich gebürstet hätte. Vielleicht ist es der neue amerikanische Politikstil, der Spiegelman in seiner Entscheidung beflügelt hat, sich nun wieder längeren Bildgeschichten zuzuwenden. Wenn sich die Skandale komplex verschachtelt geben, ist nicht die Zeit für ein befreiendes Lachen auf den ersten Blick.

Art Spiegelman: Kisses from New York. Martin-Gropius-Bau. Berlin. Noch bis zum 17. September. Zur Ausstellung wird im Verlag 2001 ein Katalog für 24,90 EUR erscheinen.

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