Manche Sätze haben viele Väter. Zu ihnen gehört das moderne Sprichwort, wonach der Herrscher über die Bilder auch der Herrscher über die Köpfe sei. Mag sein, dass es von Silvio Berlusconi stammt oder, wie jüngst immer wieder behauptet, vom Microsoftler Bill Gates. Eigentlich aber könnte auch Alberto Diaz Schöpfer eines solchen Gedankens sein. Der hat zwar landläufig einzig einen Kopf beherrscht, den aber bis zur unendlichen Perfektion.
In der Geschichte der Ikonografie ist der kubanische Fotograf Alberto Diaz dennoch etwas untergegangen. Wenn man ihn überhaupt kennt, dann unter seinem Pseudonym Alberto Korda. Eines seiner Fotos jedoch ist um den Globus gewandert. Spätestens als der Großverleger Gian Feltrinelli es 1971 auf ein Werbeplakat drucken ließ. Es ist DAS Bild des Guerilleros Ernesto "Ché" Guevara. Jene Revolutionsikone, die sich längst auf Tassen, Schlüsselanhängern und hochwertigen Leibchen befindet. Dieses Foto hat den Ruhm des argentinischen Tropen-Messias in die Welt hinaus getragen. Unschlagbar, wie er da unter dem schräg sitzenden Barett lethargisch ins Elysium blickt.
Angeblich soll Alberto Korda, der das Foto bereits 1960 in Havanna aufgenommen hatte, für sein Meisterwerk nie einen Peso bekommen haben. Fest jedoch steht, dass bei eingerechnetem Nachhaltigkeitsfaktor das Bild ohnehin unbezahlbar gewesen wäre. Für die kubanische Revolution hat Korda damit mehr geleistet, als der Langstreckenredner Castro jemals für die gute Sache agitieren könnte.
Und so verhält es sich mit vielen der Bilder, die Fotografen wie Raul Corrales, Osvaldo Salas oder eben Korda in den fünfziger und sechziger Jahren von der Revolution gemacht haben. Jede politische Umwälzung sucht nach ihren ganz eigenen ästhetischen Ausdrucksformen. In dieser Hinsicht waren die Leibfotografen der barbudos, der unrasierten Guerrilleros von Fidel Castro, nichts anderes, als die Riefenstahls und Eisensteins des karibischen Sozialismus. Um beim Betrachter noch mehr Begeisterung zu erzielen, griffen sie avantgardistische Stile auf und verwandelten sie in einen politischen radical-chic.
Denn eigentlich kamen die einstigen lambios - Autodidakten, die für ein paar Pesos auf Hochzeiten und Banketten fotografierten -, aus der Mode- und Pressefotografie. Osvaldo Salas etwa war zuvor Fotograf für das amerikanische Magazin Life gewesen. Und Korda? Der interessierte sich zunächst nur für "la dolce vita" und den Glamour der happy few. In den fünfziger Jahren eröffnete er Havannas erstes Atelier für Mode- und Werbefotografie. "Was Alberto am meisten interessierte", so der Schriftsteller Jaime Sarusky, "war die faszinierende Welt der Mode, die es ihm erlaubte, seine beiden Leidenschaften, ja Obsessionen miteinander zu verbinden: die weibliche Schönheit und die Fotografie".
Die bitteren Seiten der Zuckerinsel, das Leben vor den Türen der kubanischen Varietés waren für Korda in diesen Jahren nicht sonderlich fotogen. Lieber würfelte sich der strebsame Bohémien ein hochkarätiges Ambiente aus Mannequins, Parfüms und Seifendüften zusammen. Selbst als er später längst zu Castros "persönlichem Fotografen" avanciert war, machte er nicht nur Aufnahmen für die neu gegründeten Zeitungen Revolución oder Cuba international sondern ebenso für Magazine wie Paris Match.
Zwischen den großen Fotografen der Revolution und den Dokumentaristen der frühen fünfziger Jahre bestanden so nur wenig Gemeinsamkeiten. Constantino Arias etwa, der in den Jahren vor der Revolution die sozialen Missstände der kubanischen Unterschicht dokumentiert hatte, war der Stil eines Alberto Korda vollkommen fremd. Erst in den späten siebzigern, als sich die kubanische Fotografie mit Mayito oder Enrique de la Zu einem bald international gerühmten neuen Dokumentarstil zuwandte, wurde Arias Werk wiederentdeckt.
Vorläufig aber schlug die Stunde der Illusionisten. Sie prägten die Ansicht auf Havanna und auf die heldenhaften Männer des 26. Julis. Dabei hatte Alberto Korda bereits früh erkannt, dass es weniger um Realität, sondern um so etwas wie public relation ging. Nachdem er sich an den Heroen der Sierra Maestra satt geknipst hatte, machte er sich zusammen mit dem kubanischen Model Norka daran, dem Freiheitskampf ein erotisches corporate design zu geben.
Auf Anraten des New Yorker Star-Fotografen Richard Avedon, steckte er Norka in die blau-grüne Uniform der Milizen und ließ ihren fragil gebauten Korpus vor den Kulissen der Revolution posieren. Die so entstandenen Bilder verkaufte er an westliche Modejournale. Ähnlich verfuhr er in jenem historisch gewordenen Oktober 1962, als Chruschtschow und Kennedy die Welt um Haaresbreite in den atomaren Abgrund gestürzt hätten.
Während Comandante Ché, wie er später in Interviews bekannte, den atomaren Märtyrer-Tod schon damals nicht erwarten konnte, knipste Alberto Korda wohlgeformte DCA-Soldatinnen, die sich in Vorbereitung auf die Supernova ihren Lidstrich und die Haare glatt zogen. Nichts unterstreicht Kordas Dandytum besser als solche Bilder. Wenn die Welt schon untergehen musste, dann doch bitte schön mit Stil. Mochten andere an der sozialistischen Baustelle für Freiheit und Gleichheit arbeiten - Alberto Korda hielt es mehr mit Sinn und Sinnlichkeit. Nicht gerecht, sondern sexy hatte die Revolution für ihn zu sein.
Dass diese Seite der kubanischen Fotografie in Vergessenheit geriet, ist auch der Politik Castros geschuldet. Denn im Zuge der "revolutionären Offensive" von 1968 verschwanden Kordas Mode- und Werbefotografien von der Bildfläche. Nach der Verstaatlichung seines Studios wurden seine politischen Aufnahmen in den Archiven gesammelt. Andere Negative aber blieben unauffindbar. Es ist das Verdienst des Publizisten Christophe Lovinys, dass heute wieder beide Teile im Schaffen des Fotografen gewürdigt werden können. Für sein im Kunstmann-Verlag erschienenes Buch Korda sieht Kuba hat er mittels gescannter Abzüge von gedruckten Vorlagen das gängige Bild über den Fotografen erweitert.
Die Legende, nach der die Revolution erst von der westlichen Popindustrie gefressen worden sei, muss also noch einmal neu überdacht werden. Die Bilder vom Lider und seinem Comandante zirkulierten bereits im kapitalistischen Verwertungskreislauf, lange bevor der Verleger Feltrinelli sie zur Anfütterung seiner Kundschaft nutzte. Schon Korda selbst dürfte seine Fotografien eher als Reklame, denn als Reportagen verstanden haben. Sowenig der Kommandant Ernesto Guevara, ein uniformierter Christus gewesen ist, sowenig war Alberto Korda ein Lichtbildner des wahren Lebens. Zusammen aber, da war diese Melange unschlagbar. Die Fotografen und die Fidelisten, sie schufen eine frühe Form kubanischen Dokutainments.
"Korda", so schreibt die Kunstkritikerin Erika Billeter in ihrem Buch Viva la Vida, "Korda ist der Fotograf, der aus Ästhetik und Realität eine Fotografie kreiert". Ein Satz, fast zu leichtfüßig, um das ästhetische Programm des vor drei Jahren in Paris verstorbenen Fotografen fassbar zu machen. Lange bevor Andy Warhol 1972 mit seinen knallbunten Mao-Prints aus einem kommunistischen Führer einen popkulturellen Superstar gebastelt hatte, hatten die Fotografen um Fidel Castro erkannt, dass die Ära des Agit-Prop zur Neige gegangen war. Wer fortan Massen noch begeistern wollte, musste ihre Bedürfnisse anders steuern.
José Lezama Lima, der wohl größte Dichter der Karibik, erfasste diesen Umbruch früh. Nach dem Sieg Castros schrieb er über diesen: "Sein Bild war ihm vorausgeeilt, vervielfältigt bis zum Überdruss, aufgeklebt, abgelöst, zerrissen, an alle Türen genagelt, um alle Masten gefaltet, mit Schnurbärten übermalt, oder Schwänzen, die sich in seinen Mund ergossen, sogar in Farbe - wie schön er war! Fast wie die Garbo! Öfter fotografiert als die Coca-Cola-Flasche".
Statt Führerkult hatte sich ein Polit-Fetischismus verbreitet. Und Alberto Korda unternahm alles, um die aufsässigsten Diven Lateinamerikas weiter unter die Leute zu bringen. "Durch seine Arbeit als Modefotograf", so Erika Billeter, "legte er gesteigerten Wert auf eine ästhetisch-formale Komposition. Dieses Kriterium behält er bei, wendet es jetzt aber auf ganz andere Themen und Motive an".
So etwa nachdem die New York Times auf ihrer Titelseite den damaligen US-Präsidenten Eisenhower bei einer Partie Golf abgebildet hatte. Dem leidenschaftlichen Sportsmann war bei einem Spiel ein direkter Schlag ins Loch gelungen, und Ché und Castro waren entschlossen, die "Heldentat" des Präsidenten bei einem eigenen Match zu verballhornen. Wieder war es Korda, dem es oblag, dieses sportliche Stelldichein werbewirksam zu bebildern. Das Ergebnis: Ein ironisches Zitat der Gesten und Insignien westlicher Kultur; ein semiotischer Kontextwechsel, der die herrschenden Zeichensysteme untergrub und destruierte.
Spaßig ging es auf Kordas Fotografien fast immer zu. So auch als er Castro im dicken Wintermantel und auf Skiern in einer Schneelandschaft irgendwo in den Weiten der UdSSR ablichtete. Eine bibbernde karibische Wintersportikone, viele Jahre vor Cool Runnings. Dort, wo der kubanische Heldenepos weniger ulkig in Erscheinung trat, schauten die Kameras von Korda, Corrales und Salas jedoch beflissentlich weg. Die Männer, die schon bald als die glaubhaften Augenzeugen der Revolution herhalten mussten, hatten stets nur die Zuckerseiten der neuen Zeit belichtet.
Als der laut Jean Paul Sartre "vollkommenste Mensch unserer Zeit", Ernesto Guevara, mindestens 200 politische Gefangene hinrichten ließ, hat Korda ebenso weggeschaut, wie bei der ab Mitte der Sechziger einsetzenden "Umerziehung" von Homosexuellen und Dissidenten. Weder lassen sich auf seinen Bildern Spuren der gefürchteten Arbeitslager, der UMAPs, noch des so genannten "grauen Jahrfünfts" finden.
Wie vielen Fotografen, die ihre Kunst einer politischen Idee unterordneten, so ist auch Alberto Korda der Vorwurf zu machen, die Wirklichkeit durch den ästhetischen Weichzeichner genudelt zu haben. Anstoß hat man bis dato daran nicht genommen. Kordas Stil prägt den Blick auf die Zuckerinsel bis heute; findet sich wieder in den Fotografien von Cartier-Bresson, René Burri oder Wim Wenders. Was sich an der Sprache von Werbung, Erotik und Popkultur orientiert, kann aus westlicher Sicht eben nicht schlecht sein.
Vor dem Hintergrund der neuen kubanischen Härte jedoch mögen diese Bilder längst zu einer Art politischen Pornografie verkommen sein. Doch solange es dem kapitalistischen Einerlei nach exotistischer Erregung gelüstet, wird Kordas schöner Schein von den kubanischen Weltverbesserern in eben dieser Welt bleiben. José Lezama Lima hat dieses Tropenfieber mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht: "Plötzlich", so der Dichter, "plötzlich war alles so schön".
Christophe Loviny (Hg.): Korda sieht Kuba. Kunstmann, München 2003, 162 S.,
24,90 EUR
Erika Billeter (Hg.): Viva la Vida. Kuba - Eine Begegnung in Bildern. Benteli, Zürich 2002. 162 S., 39,90 EUR
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