Erdgeist

Video-Loop Über die Grammatik der Bilder im Fall Saddam Hussein

Der Kanal ist voll. Wann immer man sich dieser Tage durch die Programme zappt: George Bushs Aufzeichnungen aus einem Erdloch sind bereits da. Der kleine Videoclip von der Festnahme Saddam Husseins verstopft international alle Frequenzen. Das Wiederauftauchen des Diktators aus Bagdad erregt die Gemüter. Das letzte Mal, dass eine derart wuchtige Bilderschleife über die globale Fraktion der Couch-Potatoes hereinbrach, ist nun bereits zwei Jahre her. Unter dem Arbeitstitel "Ground Zero" konnte die Internationale der TV-Junkies damals miterleben, wie unsere intimsten Ängste in den Bildhaushalt der Nachrichtensendungen eindrangen.

Diesmal aber geht es eine Etage tiefer. War die amerikanische Nation mit "Ground Zero" am sprichwörtlichen Nullpunkt angelangt, so steht es Saddam Hussein nun Unterlippe-Oberkante. Der Feind im Keller scheint zunächst also die ideale Botschaft, um die Trümmer der Twin-Towers mit neuen Bildern zu überschreiben. Man mag die verstiegenen Träume des Westens auf den Boden zurückholen, an der globalen Hierarchie kann das nichts ändern. Ein paranoider Diktator jedenfalls, der sich auf Augenhöhe zu den Großen hochrüsten will, wird am Ende unter Normal Null gebombt werden. Mag sein, dass zwischen dem 11. September und dem Größenwahn Saddams politisch keine Verbindung herzustellen ist. Der Grammatik der Bilder geht diese Logik aber ohnehin ab.

Denn die großen Differenzen zwischen Story und History sind mit dem neuesten Saddam-Video wieder einmal gekittet worden. Wie wir die Bilder vom Einsturz des World Trade Centers bereits in den Katastrophen- und Actionfilmen vorsichten konnten, so ist auch der Herrscher in der Erde seit langem bekannt. Von den ältesten Mythen bis zu den letzten Fantasy-Movies feiern solche Vorstellungen fröhlichste Urstände. Saddam im Erdloch ist da nur ein weiteres Remake von jenen Geschichten alter Männer im Inneren von Bergen oder von rauschebärtigen Bösewichtern in mythischen Grotten.

Wer sich in die Erde eingräbt, dem steht der Sinn nach Ewigkeit. Denn unter Tage - und somit abseits der durch die Sonne bestimmten Zeit - ticken die Uhren anders. Hier, so meinte man noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, hat die Erde mittels Mineralien und Steinen nicht nur ein beständiges Archiv ihrer Geschichte hinterlassen. Hier ist der Ort, an dem jegliche Zeit stillsteht. Ein Unsterblichkeitsglaube, der sich über die islamischen Länder bis zum präkolumbianischen Mexiko erstreckt. Auch in der germanischen Mythologie taucht er immer wieder auf. Etwa in Form des "Wütenden Heeres", das von Zeit zu Zeit das Land verwüstet oder in der Sage vom Tannhäuser im Venusberg.

Amerika aber, als Hauptabnehmer des neuen Saddam-Videos, hat sich sicherlich die populärste Version dieses Topos geschaffen. Rip Van Winkle, jener kauzige Anti-Held, wie ihn Washington Irving 1819 in einer gleichnamigen Geschichte unter die Leute brachte, hat in zentralen Punkten Ähnlichkeiten mit dem verfilzten Bärtigen aus dem irakischen Erdloch. Nicht nur, dass Rip die Echtzeit in einer Grotte verdöste, er übersprang in der Höhle gleich die amerikanische Unabhängigkeit samt "Declaration of Rights". Vollbärtig wie Iraks Ex-Diktator trat er nach 20 Jahren wieder ans Tageslicht, nur um zu erkennen, dass er die historische Epochenwende verschlafen hatte.

Saddam Hussein mag da noch einmal zum rechten Zeitpunkt zurück auf die mediale Bildfläche gehievt worden sein. Nicht nur, weil im Irak die Wende noch nicht geschafft ist, sondern weil die Zeit nicht langte, um sich in der Ewigkeit der Erde festzusetzen. Vom Kaiser Barbarossa etwa weiß die Legende, dass ihm sein Bart im Kyffhäuser derart lang geriet, dass er ihm durch den Tisch gewachsen war. Im Gegensatz hierzu nimmt sich Saddams Rauschebart letztlich noch ganz irdisch aus. Eher wie das Accessoire eines verschlafenen Wurzelmännchens, denn das eines fantasieanregenden Widergängers.

Noch bevor sich Saddam Hussein also in der magischen Vorstellungswelt seiner Anhänger festsetzen konnte, ist er wieder da. Kein zeitloser Erdgeist, der durch die Jahrhunderte auf den Tag seiner Rückkehr wartet. Vielmehr ein gebrochener Mann, der sich widerstandslos ins Maul schauen lässt. Ein paar Monate lang mögen Mythos und Realität miteinander gerungen haben. Jetzt aber hat die Vernunft obsiegt.

Mag auf dem weiten Erdenrund noch ein Saddamist hieran Zweifel hegen, er sollte sich noch einmal durch die Szene der ärztlichen Untersuchung screenen. Schöner nämlich ist Dialektik selten gebaut worden. Hier der schmutzig zerzauste Dämon, dort die klinisch reine Kulisse. Hüben der Despot, den seine Anhänger ein halbes Jahr für unsterblich hielten, drüben ein gekacheltes Labor, in dem wissenschaftliche Methodik dem volkstümlichen Hokuspokus zu Leibe rückt. Wo sich mythische Vorstellungen wissenschaftlich kategorisieren lassen, da verpuffen sie meist so schnell wie das Rumpelstilzchen, hat man es erst beim Namen genannt.

So ist im vorerst letzten Teil der Saddam-Saga für jeden etwas dabei. Amerika hat mit neuen Video-Loops viel für die eigene Psychohygiene getan, während Saddams Gefolgsleute nicht mehr auf die "Rückkehr des Königs" harren müssen. Und das alles gehüllt in einen Stoff, der so alt ist, wie die Geschichte der Menschheit selber. Mehr kann man von einem guten Film wohl wirklich nicht erwarten. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit.


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