Frankreichs Theorie-Jetset ist immer für eine kleinen Affront zu haben. Seitdem sich die ehemaligen Linksaußen André Glucksmann, Bernhard-Henri Lévy und Alain Finkielkraut zur "Neuen Philosophie" zusammengefunden haben, gibt es in Frankreich kaum eine Debatte, die nicht irgendwann im Rumgehuber der telegenen Meisterdenker enden würde. Einst, als sie sich im Zuge von Solschenizyns Buch Der Archipel Gulag vom linken Saulus zum rechten Paulus wandelten, wurden sie von den Konservativen in Paris frenetisch gefeiert. Heute, sechzehn Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ist diese Troika der Frühbekehrten erneut auf der Suche nach Passion und Einschaltquote.
Dabei dürften ihnen auch nach dem Ende des Kommunismus die Themen nicht ausgehen. Denn das Böse, so erfährt man aus André Glucksmanns neuem Buch, ist weiterhin immer und überall. Wie zum Beweis nennt er das Werk schlicht Hass. Denn der Hass, so Glucksmann, ist nicht aus der Welt zu kriegen, auch wenn die aufgeklärte Gegenwart diese emotionale Negativladung in die Geschichtsbücher oder auf die Chaiselongue der Psychoanlyse verbannt haben mag.
Beispiele hierfür findet er zuhauf. Ob islamistischer Terror, neuer Antisemitismus oder Russlands Tschetschenienpolitik: Überall erblickt der eloquente Salonreaktionär einen "Nihilismus der apokalyptischen Reiter". Glucksmann erspäht den Hass in Reinform und untersucht die "Autonomie des Hasses", die sich quer zu den abgenutzten Erklärungsmodellen linker Pädagogik oder idealistischer Weltanschauung stellt.
"Der Wütende", so Glucksmann, "drückt der Welt die innere Leere auf, als deren Verkörperung er sich sieht" Dies gilt für die Selbstmordattentäter von New York wie für palästinensische Terroristen. Denn moderner Terror, der mit einfachsten Mitteln eine größtmögliche Wirkung erzielt, ist für Glucksmann nie Folge historischen Unrechts, sondern schlicht "Hitler handlich verpackt zum Selbermachen". Wo eine aufgeklärte Linke der Welt einst mit Vernunft und Logik zu Leibe rücken wollte, da setzt André Glucksmann fortan lieber auf jene Macht, die frei heraus böse ist. Schließlich sind in der Welt vitalistische Kräfte am Werk. Jeder andere Glaube ist für den Philosophen mit der Günther-Netzer-Frisur Schnickschnack, der schon allzu lange die Diskurse verstopft.
Was nun folgt ist eine dialektische Trainingsstunde, die mit simplen Übungen beginnt, sich am Ende aber um Kopf und Kragen turnt. Der Hass, so Glucksmann, meint nie das Andere, sondern stets das Selbst. Jeder Hass ist letztlich Selbsthass. Das gilt für den Antisemiten, der den Juden schlicht zu seinem Alter Ego macht, wie für den Antiamerikaner, der es nicht ertragen kann, dass die Welt nicht so friedlich ist, wie er sie gerne hätte. Hass als todbringendes Ressentiment ist für Frankreichs namhaften Agent provocateur schlicht das Abfallprodukt des westlichen Idealismus: "Wir wollen Gott sein. Es macht uns wahnsinnig, dass wir es nicht sind, und hassen all jene, die uns, und sei es auch unbewusst, zwingen, klein beizugeben".
Wer dieses "wir" ist, das Glucksmann stets im Munde führt, bleibt das offene Geheimnis. Großzügig beschimpft er seine Mitwelt abwechselnd als antiamerikanisch, antisemitisch oder chauvinistisch. Der Hass, der mit der Welt "tabula rasa" macht, scheint mehr und mehr Besitz von seinem eigenen Kritiker zu ergreifen. Mit jeder Seite überrollt den Leser ein Furor gegen den Mainstream der gemeinen Gutmenschen. Und je mehr der logische Apparat - jene feingliedrige Maschine der philosophischen Analyse - ins Stampfen und Schnaufen, ins Rauchen und Wüten kommt, je mehr droht dem Lesenden Glucksmanns Denke um die Ohren zu fliegen.
Statt etwa die gegenwärtigen Ressentiments gegen Amerika genauer unter die Lupe zu nehmen, greift er lieber Robert Kagans Thesen vom alten Europa auf, das es sich in der Kuschelecke der nachgeschichtlichen Spießigkeit gemütlich gemacht habe. Statt die Einwände gegen Amerikas Krieg gegen den Irak auf Plausibilität abzuklopfen, singt er lieber die schräge Moritat vom "Recht der Völker, befreit zu werden". Auf diese Weise kommt André Glucksmann dem Hass nicht näher; er ergibt sich ihm.
Erneut hat einer aus der Riege der nouveau réactionnaire ein Buch geschrieben, das nicht mehr ist, als eine Abrechnung mit der eigenen linken Vergangenheit. Der Hass, der für André Glucksmann immer Selbsthass ist, macht sich wieder mal schimpfend und zeternd über des Autors Alter Ego her. Mitten im Zeitalter der Nachgeschichte kommt Frankreichs "Neue Philosophie" noch immer nicht mit der eigenen Vorgeschichte klar.
André Glucksmann: Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt. Aus dem Französischen von Bernd Wilczek und Ulla Varchmin. Nagel Kimche, Zürich 2005, 290 S., 19,90 EUR
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