Es war ein langer Weg. Zwischen dem Knaben, der am 31. Oktober 1920 als Helmut Neustädter in Berlin-Schöneberg geboren wurde und dem betagten Mann, der am Samstag als Helmut Newton bei einem Autounfall am Sunset Boulevard ums Leben kam liegen 83 Jahre, eine Reise mehrmals um die Welt und die düsteren Verirrungen des 20. Jahrhunderts.
Helmut Newton, der Urheber der "Großen Nackten" und Choreograf unterkühlter erotischer Fantasien war nicht einfach nur ein Fotograf. Helmut Newton war der Schöpfer surrealer Bildwelten, libidinöser Beziehungsgeflechte und perverser Räume. Einer, der mit seinem Faible für Coolness und Oberfläche die glatten achtziger Jahre bereits vorausgedacht hatte, als vom Hochglanz a la Tempo und Wiener noch lange nicht die Rede war.
Dem Modefotografen Helmut Newton ist dabei gelungen, was sonst nur wenigen in dieser Branche gelingt: Die Kreation eines unverwechselbaren Ausdrucks. Auch wenn er sich bis zuletzt immer nur als teuren Dienstleister verstanden hat, so weisen seine Aufnahmen zumeist weit über die übliche Gebrauchsästhetik von Fashion und Werbung hinaus. Seitdem er 1952 seine ersten kommerziellen Aufnahmen für die australische Vogue gemacht hatte, war Newton nie einer von denen gewesen, die einfach nur das Medium zum Medium beisteuerten. Die Mode mochte weiterhin mit jeder Saison sterben und wiedergeboren werden. Eine Fotografie von Helmut Newton jedoch blieb langlebig und unverwechselbar.
Schon früh reihte er sich ein in die kleine elitäre Riege von Modefotografen, denen Stile und Saisonfarben längst nichts mehr anhaben konnten: Erwin Blumenfeld, Horst P. Horst oder der Dekor-Artist Cecil Beaton. Doch für die Kritik geriet auch dieser Olymp der anspruchsvollen Fotoerotiker bald zu klein. Spätestens mit seinen "Big Nudes" aus dem Jahr 1982 waren die Bilder des Sohnes eines Berliner Knopffabrikanten das, was sie für ihn selbst nie zu sein schienen: Irgendwie größer, ja irgendwie Kunst.
Vorbilder hat Helmut Newton sicher gehabt. Der französische Surrealist Brassai gehört dazu und auch seine einstige Lehrmeisterin, die Berliner Modefotografin Yva. Festlegen lassen hat er sich deshalb aber nie. Was man sah, war bei Newton, was man kriegte. Zu mehr Zugeständnissen an die Interpretatoren war er nie bereit. Und so drehte sich das Karussell der Deutungen mit den Jahren schneller und schneller. Während die Bilder gestraffter Körper und porentief reiner Wolllust Alice Schwarzer über "faschistische Propaganda" fantasieren ließen, rückten andere mit Psychoanalyse und Biografismus an die nackten Leiber.
Was hinter den Fotografien des "35-mm Marquise de Sade" steckt, darauf sollte man sich seinen eigenen Reim machen. Nichts scheint diesen Bildern fremder, als das Eindeutige zu sein. Allzu oft sind Helmut Newtons Fotos Einladungen, sich auf ein optisch vertracktes Spiel aus Begierden, Zuschreibungen und Fantasien einzulassen. Wer ihnen nachgibt, der verliert an festem Boden. Vertrackte Spiegelinszenierungen, Körperdemontagen und nebulöse Paarungen eröffnen einen Kosmos, in dem fortan nicht mehr klar ist, wer Exibitionist und wer Voyeur, wer Narziß und wer Echo ist.
Das ästhetische Bezugssystem solch erotischer Versuchsanordnungen war früh festgelegt. Noch bevor der Rassenwahn der Nationalsozialisten den Sohn eines deutschen Juden und einer Amerikanerin in die Flucht nach Singapur trieb, bot ihm das Berlin der späten Weimarer Republik mannigfache Impulse. Von Yva, die früh kleine Fotoromane für Berliner Zeitschriften anfertigte, erlernte er die Narration, von den Fotografen der Neuen Sachlichkeit die Kühle und Distanz. Später peppte der leidenschaftliche Kinogänger Newton diese Stilvorlagen noch mit dem Licht und den Figuren der "schwarzen Serie" auf. So wurden aus einfachen Settings Räume aus cooler Lust und aseptischer Suspense.
"Sein" Berlin indes hat Helmut Newton nie losgelassen. 1971, nach einem ersten Herzinfakt, reiste er zurück an die Spree, um sich intensiv seinen Erinnerungsbildern zu stellen. Es entstanden Aufnahmen schlanker und unterkühlter Blondinen, die den damals bereits legendären Newton-Stil vor dem Reichstag oder dem zugemauerten Brandenburger Tor vorstolzierten.
Wirklich versöhnt aber hat sich Newton mit seiner Heimatstadt erst Ende des letzten Jahres. Da hinterließ er der Stadt seinen Nachlass: Mehr als tausend Werke eines umfangreichen Fotoarchivs. Für den Mann optischer Spielereien und gebrochener Wahrnehmungen, Verirrungen und ungerader Fluchten zieht das Leben am Ende so vielleicht doch noch einen schlichten geometrischen Kreis.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.