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Zeitschriftenschau Die Kulturzeitung "Bidoun" hievt die Kunst des Nahen Ostens endlich auf internationale Sichtweite

"We are spatial" - wir sind räumlich. Unter diesem Thema präsentierte sich im letzten Jahr erstmals die Kunst- und Kulturzeitung Bidoun. Die im Titel gepriesene Erweiterung der Dimensionen schlug sich bereits im Äußeren nieder. Denn Bidoun (zu deutsch: "ohne") fiel zumindest auf dem westlichen Zeitschriftenmarkt durch eine Besonderheit auf. Statt wie üblich von vorne nach hinten musste der Leser das englischsprachige Magazin von hinten nach vorne durchblättern. Dieses haptische Element war nicht nur ausgeklügelte PR-Macke, sondern spiegelte auch etwas von dem inhaltlichen Konzept des neuen Blattes.

Bidoun widmet sich der Kunstszene des Nahen Ostens. Auf jeweils gut über 100 Seiten informiert die von der New Yorker Agentur Surface to Air gestaltete Zeitschrift über die aktuelle Kunst-, Film- und Literaturszene zwischen Istanbul und Kairo. "We are spatial" hat jedoch noch weitere Sinnebenen. Denn Macher wie auch Zielpublikum des Magazins erstrecken sich über nahezu alle Erdteile. Mit einem Verlag in Dubai, einer Redakteurin in Berlin, Gründerin in New York und Layouter zwischen Paris und den Vereinigten Staaten ist das Magazin alles andere als zweidimensional. So will man nicht nur den Austausch zwischen Orient und Okzident befördern, sondern die innerarabischen Kulturen, die Türkei und den Iran miteinander ins Gespräch bringen. Die zeitgenössischen Künstler von der arabischen Halbinsel liegen dabei ebenso im Fokus wie die weltweit verstreuten Exilgemeinden.

Mit Besprechungen von Kunstprojekten im Berliner Haus der Kulturen der Welt, Ausstellungen im Teheraner Museum für Gegenwartskunst oder Filmfestivals an der New York University scheint diese globale Vernetzung zu gelingen. Zwar hinkt das Magazin durch die ausschließliche Verwendung von Reviews der auf dem Zeitschriftenmarkt unumgänglichen Aktualität hinterher, die Hintergründigkeit der meisten Artikel macht dieses Defizit aber wett. Mit einem Fokus auf längere Essays wirkt auch die Textfüllung des Magazins zuweilen spatial.

Dabei setzt Bidoun jedoch nicht nur auf große Namen. Zwar finden sich Interviews mit bekannten Künstlern und Literaten wie Edwar al Charrat oder Rosalind Nashashibi. Viele der vorgestellten Positionen sind jedoch zumindest dem westlichen Leser weitgehend unbekannt. Wer nicht regelmäßig wachen Auges über die unzähligen Kunstbiennalen und Festivals flaniert, für den eröffnet sich ein Fundus neuer Positionen und eine Erweiterung gewohnter ästhetischer Konzepte. Auch wenn sich Sprache und Medien der internationalen Kunst in den letzten Jahren immer weiter angeglichen haben, so ist jedes Werk letztlich noch immer lokal. Jede Arbeit entsteht unter einmaligen sozialen, kulturellen und ökonomischen Verhältnissen. Die Kunst aus dem Nahen Osten aber wird noch immer unter dem Label "Orientalismus" verrührt. Auf erfrischende Weise hat es Bidoun bisher geschafft, diese einengende Zusammenschau auseinander zu rechnen.

Angenehm auch die Leichtigkeit, mit der dies geschieht. Der Kulturbegriff der fünfköpfigen Redaktion ist weit gefasst. Mode und Popmusik haben hier ebenso ihren Raum wie Fotografie und arabische Lyrik. Die Macher um die gebürtige Iranerin Lisa Farjam und die Deutsch-Palästinenserin Alia Rayyan drehen sich nicht bärbeißig um die Themen einer so genannten Hochkultur, sondern sind offen für allerlei Spielereien: Künstler, die auf zwei Doppelseiten ihre liebsten Kochrezepte präsentieren oder eine Textstrecke mit aktuellen Horoskopen und Sternkonstellationen. Sinnlicher lässt sich das vermeintliche Märchenland der Scheherazade nicht dekonstruieren.

Auch im Layout setzen die Macher auf optische Sinnenfreuden. In einem Dreimonatsrhythmus reichen sie ein stimmiges Bild-Text-Verhältnis dar, das immer wieder typisch arabische Icons paraphrasiert. In die naheliegende Falle der Ironie aber tappen sie damit nicht. Mit Texten über die Mystik arabischer Kalligrafie, die Raffinessen des Übersetzens oder spezifisch arabische Bildsprachen nehmen die Autoren von Bidoun die nahöstliche Moderne ernst. Als die Redaktion vor über einem Jahr eine Dummy-Ausgabe auf die Teststrecke schickte, gab sie ihr den bezeichnenden Titel "We are You". Die Rechnung mag ein wenig gerundet sein. Aus dem Einmaleins der Postmoderne aber ist Differenz ja nicht wegzudenken. So gesehen erweitert Bidoun auch die Perspektive des westlichen Lesers um eine fremde Vertrautheit.

Bidoun kann über ausgewählte Buchhandlungen und Kultureinrichtungen bezogen werden oder über Central Books, London, www.centralbooks.com. Eine Ausgabe umfasst circa 100 Seiten und kostet 8 EUR.


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