Wem gehört die Uni? Obwohl an deutschen Hochschulen kaum mehr das Hinterfragen gelehrt wird – diese Frage hat es wieder aufs Tapet gebracht. In Österreich, von wo im vergangenen Herbst die Protestwelle rüberschwappte, ist die Ansage klar: Eine zentrale Protest-Homepage heißt unsereuni.at. Und die letzte bundesweite hochschulpolitische Demonstration in Deutschland fand am 30. Januar in Frankfurt unter dem Motto „Die Uni gehört allen“ statt.
Dass solche Postulate nötig geworden sind, liegt an den einschlägigen Reformen der letzten Jahre. Bologna lässt grüßen: Die Unis orientieren sich nicht mehr nur an den den symbolischen Märkten des wissenschaftlichen Ansehens, sondern zunehmend auch an ökonomischen Zielen. Das führt zu neuen Mechanismen und Prioritäten, und bedeutet nicht nur, dass vermehrt Forschungsgelder eingeworben werden müssen und übergeordnete Aufsichtsräte (die an manchen Universitäten sogar tatsächlich so heißen) über die Ausrichtung der Unis wachen. In diesen Gremien ist vor allem die Privatwirtschaft vertreten.
Die Orientierung an Geldwerten prägt nunmehr sämtliche Uni-Bereiche: Fachbereiche stehen in Konkurrenz zueinander um Haushaltsmittel. Bibliotheken werden zusammengelegt, was in Prüfungszeiten zu akutem Platzmangel und zumindest an der Freien Universität (FU) Berlin schon zum temporären Ausschluss Fakultätsfremder führte. Manche neu berufenen Professoren handeln Gehälter aus, die sich die jeweiligen Institute in der Höhe eigentlich nicht leisten könnten oder dürften; das Image der Hochschule wird mit viel Geld ausstaffiert, nicht zuletzt, um zahlungskräftige Studierende aus aller Welt anzuziehen; Studiengänge folgen nun auch unternehmerischen, nachfrageorientierten Planungen. Uni-Leitungen führen sich zunehmend wie kapitalistische Manager auf und fordern die entsprechende Entscheidungsmacht. Und das sind nur einige Beispiele für der Folgen.
Ihren deutlichsten Ausdruck findet die Kapitalisierung hierzulande aber in der Schaffung einer kleinen Liga von staatlich besonders geförderten Unis. So wird ein ökonomistischer Wegweiser etabliert, der noch deutlicher als die inzwischen üblichen „Rankings“ die vermeintlich besten Unis anzeigen soll. Dieser Logik folgend gelten dann etwa die Höhe von Studiengebühren und die Zahl der abgelehnten Studienbewerbungen als Qualitätsmerkmal.
Entrechtet und entmündigt
Die Frage, wem die Uni gehört, stellt sich aber nicht nur angesichts der wissenschaftsfremden Zwänge, sondern unmittelbarer noch hinsichtlich der Mit- und Selbstbestimmung. Die Studierenden haben immer weniger Einfluss auf ihr eigenes Studium. Die so genannte Gruppenuniversität – ein Verwaltungsmodell, in dem Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter sowie anderweitig Beteiligte als drei eigene Statusgruppen agieren, die in den Gremien der allgegenwärtigen Mehrheit der Profs zugeordnet sind und mithin Einfluss auf die Uni-Politik nehmen sollen – wurde längst zugunsten der „Management-Modelle“ für gescheitert erklärt, weil letztere weniger zeitraubend und der Kapitalisierung dienlicher sind. Den Studierenden wird der Eindruck vermittelt, sie seien im Studium nicht „Universitätsbürger“, wie das früher hieß, sondern Auszubildende. Zeit und Nerven für Hochschulpolitik bleiben ihnen daher sowieso kaum noch. Die Reformen der jüngsten Zeit haben sie in ihrer Zeiteinteilung eingeschränkt und auf der Grundlage einer – an einen Arbeitsvertrag erinnernden – impliziten Übereinkunft über abzuleistende Arbeitsstunden pro „Leistungspunkt“ einem umfassenden Regime von Kontrollen, Prüfungen und Sanktionen unterworfen.
Ausschließlich negativ dürfen die Studierenden das aber nicht sehen. Denn aus der beschriebenen Kapitalisierung folgt ja die Notwendigkeit für die Unis, sich eine neue Art des (auch post-)studentischen Zuspruchs zu sichern. Dabei geht es nicht nur um die Graduierten als potenzielle Geldquellen. Sie sollen auch bei der positiven Außendarstellung – vielen Uni-Leitungen geht es erklärtermaßen um die Etablierung einer jeweiligen Marke – behilflich sein. Da nun nämlich auch die deutschen Hochschulen auf dem globalisierten Bildungsmarkt um Anteile und Kundschaft ringen, ist ein guter Ruf auch im außerwissenschaftlichen Raum geschäftsnotwendig. Markenbildung im weltweiten Wettbewerb kann sehr lukrativ sein, falls nämlich – vermittelt durch die beschriebene ökonomistische Chiffre – der Eindruck erweckt wird, Abschlüsse der eigenen Uni seien besser angesehen als andere, und somit im wahrsten Sinne des Wortes mehr „wert“.
Getreu dem Motto: „Die Alumni sind ja nach dem Studium die besten Botschafter der Uni“, wie es einmal im Alumni-Büro der FU Berlin hieß, werden die Studierenden zunehmend angehalten, sich für die Zwecke ihrer jeweiligen Uni nützlich zu machen, zumindest nach dem Studium. Die Gewinnung von organisierten „Alumni“, vulgo: Ehemaligen, ist mittlerweile eine strategische Notwendigkeit für das Unternehmen Universität. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass sie von mehreren Unis auch im fernen, strategisch bedeutsamen Ausland wie China und den USA betrieben wird (in beiden Ländern ist etwa die FU Berlin aktiv).
Schon im Jahresabschlussbericht der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) von 2001 ist zu lesen: „Dass die Hochschulen trotz nachlassendem finanziellen Engagement der Länder nicht über weniger Geld verfügen als vor einigen Jahren, ist allein auf das Bemühen zurückzuführen, vermehrt Mittel von dritter Seite (auch aus dem privaten Bereich) einzuwerben.“ Als konkrete Bemühungen werden angegeben: „Fundraising in Form von „capital campaigns“, die Gründung von Alumni-Vereinigungen, Hochschulsponsoring, aber auch der Verkauf von wissenschaftlichen Dienstleistungen und von weiterführenden Ausbildungen“.
Dabei dient schon die Organisierung der Alumni auch den meisten der anderen Punkte. Die Organisationsbemühungen beginnen konsequenterweise schon zu Studienzeiten. Da die Studierenden ein Verbundenheitsgefühl zur eigenen Uni entwickeln sollen, werden sie zum Objekt der Begierde für die hochschulische Technokratie, die ihnen mittels extra dafür geschaffener bezahlter Stellen Honig ums Maul schmiert.
Charmeoffensive fürs Geschäft
Doch die Begründung der Notwendigkeit von Alumni-Büros seitens der HRK macht misstrauisch. Die hatte nämlich bereits 1997 auf einer Vollversammlung den Beschluss „Zur Rolle der Absolventenvereinigungen“ gefasst. Darin werden zunächst die deutschen Unis als faktische Rabenmütter dargestellt: „Während private Hochschulen im In- und Ausland schon lange ihre Absolventinnen und Absolventen betreuen, beginnen die staatlichen Hochschulen in Deutschland erst seit relativ kurzer Zeit, sich um ihre ehemaligen Studierenden zu kümmern.“ Heute sieht es da schon anders aus. Auf Anfrage erklärt Ralf Alberding von der HRK: „Ich habe den Eindruck, dass die meisten Hochschulen so etwas haben“, seien es studentisch, oder von der Verwaltung angestoßene Vereinigungen, auf Fachbereichsebene oder gesamtuniversitär. Sichtbar sei das beispielsweise am mittlerweile gehäuften Aufkommen von Stellenanzeigen für die Ehemaligen-Verwaltung, „manchmal in Verbindung mit Career-Service- und Fundraising-Teams“.
Dafür gibt es einen Dachverband der mit Ehemaligen-Arbeit betrauten Büros. Die auf dessen Homepage www.alumni-clubs.de enthaltenen Themen und Dienstleistungsangebote zeigen, dass sich bereits eine hoch professionalisierte Branche entwickelt hat. Einschließlich Österreich und der Schweiz gibt es demnach bereits über 400 Mitgliedsinstitutionen. Verbände existieren es auch auf regionaler oder Bundesland-Ebene.
In besagtem HRK-Grundsatzbeschluss ist ebenfalls festgehalten, dass es für jenes Kümmern eine Gegenleistung seitens der Betreuten geben soll, wofür die Voraussetzung eine „Corporate Identity“ sei, also dass sich „alle der Hochschule zugehörigen Personengruppen“ mit selbiger identifizieren. Inzwischen haben viele Unis ein „Corporate Design“, also einen einheitlichen visuellen Auftritt sämtlicher Uni-Abteilungen entwickelt: Sie haben sich eigene Schriftarten kreieren lassen, sich bestimmte Farbtöne gesichert, und oft auch ihre Logos überarbeiten lassen. Auch ein „Mission Statement“, die Nennung von notwendigerweise ebenso hochtrabenden wie unkonkreten angeblichen Leitwerten, gehört zur Markenbildung.
Die Forderungen der HRK lauteten schon 1997: Mehr Wettbewerb im Hochschulsektor, mehr Profilbildung, weniger Anonymität. Nur so sei auch die universitätsinterne „Identitätsstiftung“ möglich. „Hinzukommen muss die Möglichkeit einer umfangreichen Mitgestaltung des Hochschullebens durch die Studierenden.“ Ziel sei, dass sich „Hochschulen wieder mehr als Verantwortungsgemeinschaften begreifen. Hochschulen sind nicht primär Dienstleistungsunternehmen und die Studierenden nicht primär Kunden.“ Vielmehr sollten Lehrende und Lernende den gemeinsamen „Lebensraum“ auch gemeinsam gestalten.
Das soll dann zur Basis dafür werden, dass Ehemalige später in der „zukunftsorientierten Außendarstellung der Hochschule“ helfen und eventuell sogar direkt „finanzielle Unterstützung der Hochschule bei besonderen Projekten“ (bis hin zu „Baumaßnahmen“) leisten. Und noch auf eine weitere Weise können sie dem Uni-Image dienen: Ihr beruflicher Aufstieg soll als Qualitätsmerkmal der ausbildenden Hochschulen angesehen werden, die „im wachsenden Wettbewerb um staatliche Finanzmittel, aber auch im Wettbewerb um leistungsstarke Studenten sowie um die Platzierung der Absolventen auf dem europäischen und globalen Arbeitsmarkt“ stünden. Folglich ging das HRK-Papier von 1997 mit einer Empfehlung zur Einrichtung von „Career-Services“ einher.
Es ist natürlich auf der einen Seite gut, dass man sich endlich um die Studenten kümmert. Doch der Widerspruch zwischen der vollmundigen Wertschätzung der Studenten, und ihrer gleichzeitig betriebenen Entrechtung und Entmündigung zeigt, dass der angeblichen Fürsorge ein rein kapitalistisches Motiv zugrunde liegt. Die Charmeoffensive dient der Etablierung einer überwiegend geschäftlich geprägten Beziehung zwischen Studierkundschaft und Service-Hochschule. Mit allen daraus folgenden Ungleichheiten, denn während etwa die im HRK-Beschluss angedachten „Online-Absolventenbücher“ – also zur Durchsicht offene Verzeichnisse – zumindest potenziell den meisten Graduierten nützen würden, profitieren von den üblichen Firmenkontakten, Karriereberatungen oder Verhaltenskursen eben nur bestimmte Fachrichtungen.
Für entsprechend orientierte Alumni oder Noch-Studenten ist das Karriere fördernde Netzwerk von Personen mit einem gewissen Mindeststatus an den Ehemaligen-Organisationen dann auch reizvoll. Wenn sie das latent politisch anmutende, universitäre Identitätsangebot annehmen und sich nicht für die negativen Seiten ihrer Uni interessieren zeigen sie damit, dass sie nie gelernt haben, derartige Anbiederungsversuche als solche zu erkennen und Autoritäten zu hinterfragen. Statt dessen werden sie dem Unternehmen Universität einfach einverleibt.
Alle anderen müssen sich überlegen, ob diese Art von Universität es überhaupt noch Wert ist, sich für sie zu engagieren.
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