Akademischer Kapitalismus in Deutschland

Bildung Zwar herrschen im deutschen Hochschulsystem keine US-amerikanischen Zustände. Doch die universitäre Lehre wird zwischen Spitzenforschung und Verwaltung zerrieben
Ausgabe 03/2014

Es ist schon seltsam. Da investieren Wissenschaftler immense Energie in die Erlangung der Lehrbefugnis. Und wenn sie nach Jahren intensiver Arbeit endlich die ersehnte Professur erhalten haben, nutzen sie ohne zu zögern jede Möglichkeit, sich von der Lehre „freistellen“ zu lassen. Deren Varianten sind zahlreich und im Zuge der als „Exzellenz-Initiative“ deklarierten Umstellung der Universitäten auf Ungleichheit und Selbstkannibalisierung in beeindruckendem Maße gewachsen. Forschungsfreisemester und -stipendien, Fellowships an Exzellenz-Clustern sowie Gastprofessuren an auswärtigen Hochschulen gehören zu probaten Möglichkeiten, dem universitären Alltag zu entkommen.

Umso mehr, wenn die Institutionen mit angenehmen Bedingungen locken. Wer etwa ein lehrfreies Jahr am Berliner Wissenschaftskolleg oder am Freiburger Institute for Advanced Studies verbringen darf, muss sich keine Sorgen machen: Von der Bücherbereitstellung bis zur Tagungsorganisation ist bestens gesorgt. Auch der Status eines Permanent Visiting Professor an einer US-amerikanischen Universität lohnt sich: Turnusmäßig wiederkehrende Semester auf dem Campus kann man prima zur Niederschrift neuer Werke nutzen. Die Mühen der heimatlichen Ebene werden derweil von Lehrstuhlvertretern und einer wachsenden Schar von Lehrbeauftragten bewältigt, die für einen kaum mehr symbolischen Obolus wirken.

Schieflage der universitären Lehre

Nun sind diese Verhältnisse nur bedingt vergleichbar mit jenem „akademischen Kapitalismus“, den Wolfgang Kemp neulich in einem viel beachteten Artikel über den Umbau des US-amerikanischen Hochschulsystems in der SZ anprangerte. Eine ungebremste Bereicherung der Hochschulen auf Kosten der Studierenden ist hierzulande nicht möglich; der halbherzige Versuch einer Füllung universitärer Kassen mit Semestergebühren blieb erfolglos. Bedenklich aber bleibt die Schieflage der universitären Lehre, die in deutschen Landen gerade zwischen den Mahlsteinen exzellenter Forschung und wachsendem Verwaltungsapparat zerrieben wird.

Auch deutsche Hochschulen beteiligen sich an der Etablierung eines Systems, bei dem einige wenige Spitzenwissenschaftler zu besonderen Bedingungen wirken, während Lehrveranstaltungen immer mehr über knapp oder überhaupt nicht besoldete Lehraufträge abgesichert werden. Zwar gibt es noch keine „globalen Professuren“. Dafür aber diverse Gelegenheiten zum temporären Ausstieg aus einem System, das mit der Einheit von Forschung und Lehre einst Vorbild für die Einrichtung von Universitäten war.

Über Gründe für Absetzbewegungen muss nicht lange spekuliert werden. Zum einen haben Hochschullehrer in den überregulierten Bologna-Universitäten substantiell weniger Zeit. Zum anderen sind die auf ECTS-Punkte abonnierten Studierenden nicht unbedingt das ersehnte Zielpublikum für riskantes Denken. Schließlich dokumentieren „Stars“ und „Diven“ innerhalb des Wissenschaftssystems ein Phänomen, das der Soziologe Robert K. Merton als „Matthäus-Effekt“ beschrieb: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Der Gewinn und die Sicherung von Reputation ist dabei zu einem Spiel geworden, dessen Regeln immer schwerer zu durchschauen sind. Ähnlichkeiten mit intransparenten Preisbildungen auf dem Kunstmarkt sind wohl nicht beabsichtigt.

Ralf Klausnitzer lehrt Germanistik an der HU Berlin.

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