Der gekränkte Politiker

Die Kohl-Protokolle Auch wenn es wehtut: Für die Freiheit des Wortes kann kein Preis zu hoch sein
Ausgabe 18/2017
Helmut Kohl steht nun eine historisch hohe Summe an Schadenersatz zu
Helmut Kohl steht nun eine historisch hohe Summe an Schadenersatz zu

Foto: Daniel Roland/AFP/Getty Images

Wofür braucht ein früherer Bundeskanzler 1.000.000 Euro? Der Pfälzer, der von 1982 bis 1998 regierte und jetzt 87 Jahre alt ist, erhält ein stattliches Ruhegehalt. Er kann sechs personengebundene Sonderschutzfahrzeuge des BKA nutzen. In seinem Büro arbeiten sieben Mitarbeiter – vom Kanzleramt finanziert.

Es ging also nicht gerade ums nackte Überleben, als der pensionierte Politiker seinen ehemaligen Ghostwriter Heribert Schwan mitsamt dem Heyne-Verlag verklagte. Er bekam Recht. Nachdem Die Kohl-Protokolle zunächst nur mit „offiziell vom Landgericht Köln erlaubten Passagen“ ausgeliefert werden konnten, gibt es jetzt eine historische Höchstsumme Schadenersatz: eine Million Euro. Denn in dem 2014 erschienenen Buch fanden sich Zitate aus Gesprächen, die Kohl 2001/02 mit Schwan geführt hatte. Der Journalist sollte damit als Ghostwriter Kohls Memoiren verfassen. Schwan nahm die Gespräche mit dem Kassettenrekorder auf – und veröffentlichte sie eigenmächtig, nachdem er sich mit dem Oggersheimer Keller-Bewohner während der Arbeit am vierten und letzten Band zerstritten hatte. Die publizierten Äußerungen, unter anderem über die heutige Kanzlerin und ehemalige Bundespräsidenten, machten das Buch zum Bestseller. Sie zerstörten aber auch Freundschaften, so mit einem früheren Partei- und Staatschef, der um die Strafe für Verspätungen wusste.

Für den Altkanzler und seine Anwälte ist das Handeln des Journalisten skrupelloser Verrat und beispielloser Bruch persönlicher Vertrauensverhältnisse. Der verklagte Veröffentlicher beruft sich mit seinem Koautor Tilman Jens dagegen auf seine Funktion als Journalist. Zudem sei wirklich Vertrauliches nur bei ausgeschaltetem Gerät gesagt worden.

Nun kann man sich über Helmut Kohl und seine Inanspruchnahme des Rechtsstaats ebenso wundern wie über einen Journalisten, der sein Verschwiegenheitsgebot verletzt. Denn natürlich gehört es zu seinen primären Pflichten, genutzte Quellen zu schützen – ansonsten trocknen sie aus. Doch mit dem jetzt ergangenen Urteil gewinnt der Konflikt zwischen Persönlichkeitsrecht und Publizität neue Dimensionen. Mehr noch: Es zeigt ein Dilemma, das sich eigentlich nicht auflösen lässt. Einerseits schützt das jetzige Urteil die persönlichen Rechte eines prominenten Sprechers – und markiert damit zugleich die Grenzen für künftige journalistische Umgangsformen mit privaten Äußerungen. Denn wie kann ein Journalist über exklusive Mitteilungen und persönliche Meinungen berichten, wenn er sofort Klagen befürchten muss? Und wie steht es eigentlich um die Tatsache, dass Helmut Kohl eine eminente Person des öffentlichen Lebens ist? Andererseits zeigt der Fall, wie wichtig Vertrauen ist und bleibt: Wer wird sich mit der Presse verbinden, wenn vertrauliche Aussagen öffentlich gemacht werden?

Mit seiner Entscheidung hat das Gericht demonstriert, welcher Wert den grundgesetzlich verankerten Persönlichkeitsrechten eines prominenten Politikers zugemessen wird. Das öffentliche Interesse an seinen Gedanken und Überlegungen fällt demgegenüber weniger ins Gewicht. Mit einer solchen Haltung wären auch andere Indiskretionen justiziabel. Deshalb ein Vorschlag: Der gekränkte Politiker soll seinen verdienten Schadenersatz erhalten. Und dafür interessierten Lesern sein „Vermächtnis“ unzensiert zur Verfügung stellen. Denn für die Freiheit des Wortes ist kein Preis zu hoch. Wenn nötig, sogar eine Million.

Ralf Klausnitzer lehrt Germanistik

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