Es ist vorbei, bye-bye

Sound Alexander Osangs Roman „Comeback“ erinnert an Silly, Pankow, alte Wendezeiten. Damit wir nicht vergessen, wie es war und nicht mehr ist
Ausgabe 14/2015

Seinetwegen hatte es in unserer Familie stets Stress gegeben. Es war in den frühen 90er Jahren, und Alexander Osang arbeitete noch bei der Berliner Zeitung. Wenn eine neue Reportage von ihm erschien, wollte sie jeder zuerst lesen. Osang berichtete von Menschen, die den Sturm der Veränderung erlebt hatten. Und zwar keinen säuselnden Wind of Change, sondern orkanartige Böen. Osangs Texte suchten in den verbliebenen Trümmern und Bruchstücken von Biografien. Und sie gingen nah heran. Er besuchte die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die von der Revolution in der DDR gefressen, aber nicht verdaut worden war, in ihrem nunmehr unbenutzten Atelier am Teutoburger Platz. Er porträtierte den Spirituosenfabrikanten Sergei Schilkin, der in Berlin-Kaulsdorf seinen privaten Betrieb mit vorzüglich schlechtem „Goldbrand“ und „Schilkin Vodka“ durch die DDR-Planwirtschaft geführt hatte und nun unter kapitalistischen Bedingungen weiterbrennen wollte. (Von Likörinnovationen wie „Berliner Luft“ und dem Insolvenzverfahren im Herbst 2014 ahnte man damals, im März 1991, noch nichts.) Osang berichtete aus dem Wohnzimmer von Tamara Danz, die mit den Musikern ihrer Band Silly im Wohnzimmer hoch über dem Gendarmenmarkt – im September 1991 noch Platz der Akademie – saß und Pläne schmiedete. Die staatliche Plattenfirma Amiga gab es nicht mehr; das Label Ariola hatte die Musiker gerade aus den Münchner Studios herausgekickt. Osang war dabei, als die Band Pankow 1996 von der Vergangenheit ihres Gitarristen Jürgen Ehle eingeholt wurde. Der Musiker hatte mit dem Sicherheitsdienst des kleinen Landes zusammengearbeitet. Hatte über Konzerte im Westen berichtet, und Behörden beschwichtigt. Möglicherweise hatte er auch Kollegen geholfen, die zunächst nicht und dann doch in den Westen fahren durften. Alles war komplizierter, als es die Stempel Stasi und IM zum Ausdruck brachten. Osang konnte das aufschreiben. Deshalb wurde gestritten, wer seine Reportagen zuerst lesen durfte.

Dann ging Alexander Osang zum Spiegel. Man hatte ihm das Angebot gemacht, als Reporter nach New York zu gehen. Wer hätte da widerstanden? In der Berliner Zeitung erschienen nun seine Kolumnen „Schöne neue Welt“ und zu Weihnachten und zu Ostern längere Geschichten. Diese Texte waren fiktional, doch so gegenwärtig, dass sie sich stets als Ergebnis genauer Recherchen lasen. Und so kam auch der erste Roman von ihm an. Die Nachrichten spielt im Journalistenmilieu von Hamburg, mit Fahrten und Rückblicken nach Berlin und Neubrandenburg.

Hoffen, warten, versagen

Nun, zahlreiche Reportagen und Kolumnen sowie zwei Romane weiter, ist Alexander Osangs neuer Roman Comeback erschienen. Zeitgleich mit Das gibts in keinem Russenfilm von Thomas Brussig, in dem Osang als Chefredakteur des Neuen Deutschland auftritt. Doch während Brussig auf kontrafaktische Imaginationen setzt und die Mär vom Wettstreit der Systeme weiterspinnt, hält sich Comeback an die Verlaufsformen der Realgeschichte. In elf Kapiteln wird aus unterschiedlichen Perspektiven und Zeiten die Geschichte einer Band erzählt, die wie ihr Heimatland DDR im Westen aufschlägt. Und dabei in Strudel gerät, die alle Verhältnisse umkehren. Aus den unangepassten und zugleich privilegierten Rockern der Berliner Band Die Steine werden über Nacht vereinzelte Kombattanten im Showbusiness. Fans, die in Songzeilen subversive Subtexte entdeckt und mitgesungen hatten, werden Konsumenten, die ihr Geld nun zu anderen Konzerten tragen als vor dem November 1989. Auch die Frauen und Kinder, die Freunde und die geheimdienstlichen Observateure der Musiker erleben einen Umbruch, der frühere Bindungen auflöst. Emma etwa, mit deren Geschichte der Roman beginnt, ist die Tochter von Steine-Bassist Paul Schmidt und hängt im Herbst 2013 unter der strahlenden Sonne Kaliforniens ab. Emma wird aus dem Stillstand an der Seite eines Hollywood-Aspiranten ausbrechen und bei ihrer Fahrt durch den US-amerikanischen Westen die Lieder der Band ihres Vaters hören.

Die zunächst verstaubt und sperrig klingenden Songs führen zurück in eine Zeit, die Emma nicht kennt. Mit ihren Gedanken und den Songs der Steine sind nun Spuren gelegt, die in den anschließenden Kapiteln aufgenommen werden. Sie setzen die Geschichten der Band wie ein Puzzle zusammen. Erzählt wird vom Manager Conny, der im Juni 1994 mit dem Auto auf den letzten Lkw der abziehenden Sowjetarmee kracht; von der Sängerin Nora, die im Januar 1990 durch das eiskalte New York stolpert und auf Chancen hofft; vom Gitarristen Alex, der sich Ende der 80er Jahre mit den Sicherheitsorganen austauscht; vom Basser Paul, der im Mai 2003 erleben muss, wie seine Tochter aus ihrem fragilen Leben stürzt. Erzählt wird vom neuen Manager Max, der sich im Mai 2012 von einem Boss der Musikindustrie für seine Combo demütigen lässt, und vom Keyboarder Robert, der (wie der Autor Alexander Osang) Ministrant war und gut katholisch beichtet, nachdem er im Juli 1982 sein erfolgreiches Vorspiel bei der Band hat. Zu lesen ist die Geschichte der Stern-Reporterin Carola Jürgensen, die die Gruppe auf Tour begleitet und die alternden Fans der Steine ebenso erleben kann wie die Musiker in der Hoteltristesse des Ostens.

Immer näher kommen die Lebensgeschichten von Menschen, die auf unterschiedliche Weise mit dem Altern und dem Verlust von Möglichkeiten laborieren. Sie hoffen und warten, sind ungeduldig und versagen. Und so ist die Geschichte vom Schlagzeuger Acki, der im März 1987 von seiner Gruppe im Stich gelassen wird, als diese nach Westberlin zu einem Konzert im Quartier Latin fährt und er ins Untersuchungsgefängnis Keibelstraße eingeliefert wird, ein düsterer Höhepunkt, bevor das Ende des ehemaligen Stasi-Führungsoffiziers „Bernd“ in einem ukrainischen Mafiabordell einer eher klischeebeladenen Moralökonomie folgt.

Es ist nicht schwer, in den Verwicklungen von Comeback mehr oder weniger subtile Hinweise auf die beiden in der Danksagung erwähnten Bands Pankow und Silly zu entdecken; auch wenn der Autor selbstverständlich dementiert, dass es sich um Bandgeschichten handelt.

Schön, am Leben zu sein

Das Rockspektakel „Linda Lipstick“ der Steine erinnert nicht nur mit seiner Alliteration an Pankows Rockspektakel „Paule Panke“; die berliner de Nora klingt ähnlich drastisch wie die direkte Tamara Danz. Der aus einer „ostdeutschen Königsfamilie“ stammende Alex lässt auf Jürgen Ehle schließen. Und Züge des Spiegel-Journalisten Osang stecken in der Stern-Reporterin Carola Jürgensen, die sich mit Geschichten aus dem Osten den Weg in die Redaktion der West-Zeitschrift gebahnt hat.

Doch der Roman ist mehr als ein Schlüsseltext über Verwerfungen in der Szene vor und nach 1989. Er ist auch keine Variation über das Thema Wende und Wiedervereinigung, selbst wenn er im 25. Jahr nach dem 3. Oktober 1990 erscheint. Osangs neuer Roman ist vielmehr ein weiterer Versuch, sich der vergehenden Zeit entgegenzustemmen. Denn die Probleme der Figuren im verschlungenen Comeback erwachsen nicht nur aus Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen. Sie korrespondieren vielmehr mit einer Erfahrung beschleunigter Zeit, die Gegenwart und Zukunft immer rascher verschlingt und in eine kaum mehr erinnerbare Vergangenheit zu verwandeln scheint. Wie ein Sog hat die Beschleunigung ihre Protagonisten ergriffen und zieht sie mit sich; fort von einem glücklichen Zustand, den es doch einmal gab oder gegeben haben muss und der nun immer mehr schwindet. „So gut wie früher“ ist nicht ohne Grund der letzte Satz des letzten Abschnitts, der in die Gedankenwelt der siebenjährigen Emma im Juli 1994 zurückführt, als diese zusammen mit ihren Eltern und der Band die Beerdigungsfeier für den verunglückten Manager Conny erlebt und das erste Mal spürt, wie schön es ist, am Leben zu sein.

Nicht der Kapitalismus ist der große Gleichmacher, der Unterschiede auflöst und doch alle vereinzelt. Es ist die Zeit, der wir alle zum Opfer fallen. Denn natürlich kann es nicht so gut werden wie früher. Nur anders. Am Ende der Lektüre möchte man noch einmal von vorn beginnen. Die Platte vom Plattenteller nehmen, vorsichtig herumdrehen und die Songs nochmals hören. Ein gutes Zeichen.

Info

Comeback Alexander Osang S. Fischer 2015, 288 S., 19,99 €

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