Kultur der Aufmerksamkeit

Plagiatsverdacht Whistleblower sollen künftig ihre Namen nennen. Vor allem aber sollen Plagiate wieder Angelegenheit der Wissenschaft werden, um die Integrität ihrer Normen zu wahren
Ausgabe 28/2013
Kultur der Aufmerksamkeit

Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Es war ein Juraprofessor, dem die seltsamen Zitierpraktiken in der Doktorarbeit des viel beschäftigten Politikers und Familienvaters Karl-Theodor zu Guttenberg auffielen. Nachdem Andreas Fischer-Lescano in einer Fachzeitschrift erste Hinweise auf Ungereimtheiten in der Dissertation des nachmaligen Verteidigungsministers gegeben hatte, formierte sich im Netz ein Schwarm, der in kurzer Zeit mehr Belege für dessen unlauteren Umgang mit Quellen sammelte als die Redakteure eines Nachrichtenmagazins. Wie Guttenplag-Aktivisten arbeiten auch kollektive Enthüller von vroniplag nicht immer mit offenem Visier. So wollen sie sich vor persönlichen Anfeindungen schützen und mögliche berufliche Nachteile vermeiden. Unbekannt ist auch der genaue Leser, der als Erster auf bedenkliche Passagen in Annette Schavans Doktorarbeit von 1980 hinwies.

Raus aus der Anonymität

Nun wollen die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Hochschulrektorenkonferenz regulierend eingreifen. Die Überprüfung anonymer Anzeigen sei abzuwägen, heißt es: „Grundsätzlich gebietet eine zweckmäßige Untersuchung die Namensnennung des Whistleblowers.“ Zugleich fordert die DFG, Anzeigen vertraulich zu behandeln; frühzeitige Alarmierungen der Öffentlichkeit seien nicht hinzunehmen. Dagegen hat sich eine Front der Ablehnung formiert. Eine vom Philosophie-Historiker Stefan Heßbrüggen-Walter verfasste Petition versammelt inzwischen über 1.100 Unterschriften. Dennoch: Es gibt zweifellos Gründe, anonymen Hinweisgebern nicht ungebremst Tür und Tor zu öffnen. Zum einen schützt Anonymität auch denunziatorische Äußerungen. Die Forderung, Ross und Reiter zu nennen, stellt eine Gleichheit von Anschuldigendem und Beschuldigtem her, die Betroffene wie Annette Schavan mehrfach eingefordert hatten.

Weitaus wichtiger aber ist der Wille, den Umgang mit Plagiaten wieder zu einer eigenen Angelegenheit der wissenschaftlichen Institutionen und ihrer Angehörigen zu machen. Denn im Interesse der Wissenschaft – und also im Interesse von Forschern und Hochschullehrern – liegt die dauerhafte Wahrung ihrer Standards und Normen. Das heißt: Vor allem die Universitäten und ihre Mitglieder müssen jene Kultur der Aufmerksamkeit entwickeln, die es plagiierenden Titel-Aspiranten erschwert, mit ihren Elaboraten durchzukommen. Dazu wäre zunächst zu klären, was geistiges Eigentum bedeutet und wie damit in Zeiten vernetzter Wissensproduktion umzugehen ist. Auch selbstverständlich verwendete Begriffe und Denkfiguren können intellektuelle Leistungen anderer Forscher sein.

Noch braucht es die Plagiatssucher

Solange es aber Freiräume für unlauter erworbene Doktortitel gibt, so lange bedarf es auch spezialisierter Plagiatssucher, die Missstände aufdecken. Zu überlegen bleibt freilich, ob deren Entdeckungen umstandslos der breiten Öffentlichkeit mitzuteilen sind. Wer die Macht medialer Berichterstattung kennt, weiß um deren Folgen. Eben deshalb kann eine Empfehlung nur lauten: Wenn es denn anonyme Hinweisgeber geben muss, sollten die Universitäten deren Anschuldigungen zunächst intern prüfen. Denn sie sind es, die für erbrachte Leistungen ihre Doktortitel verleihen. Und sie haben ein elementares Interesse daran, die Integrität ihrer Normen ebenso zu wahren wie die Würde ihrer Angehörigen.

Ralf Klausnitzer, geboren 1967, lehrt am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universität zu Berlin

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