Neoliberale Einmalhilfe

Contra Grunderbe Die Idee ist toll: Alle 18-Jährigen bekommen 20.000 Euro vom Staat vererbt. An der sozialen Ungleichheit wird das trotzdem nichts ändern
Ausgabe 05/2022
Neoliberale Einmalhilfe

Illustration: der Freitag

Eigentlich klingt die Idee charmant und gerecht: Alle sollen erben, nicht nur die Kinder Wohlhabender! Konkret aber ist das Konzept problematisch. Gibt es nicht dringlichere und effektivere Verwendung für die 15 Milliarden, die das jährlich kosten würde? Warum sollten auch Kinder von Wohlhabenden das bekommen? Warum nur die, die jetzt gerade 18 werden und ältere Jahrgänge nicht?

Es gibt viele soziale Probleme, für die öffentliches Geld vorrangig eingesetzt werden sollte: Armut – vor allem im Alter und bei Erwerbslosigkeit –, Mangel an bezahlbaren Wohnungen, Pflegenotstand, hohe Investitionsbedarfe der Kommunen, Personalmangel im Bildungsbereich. Hinzu kommen gigantische Zukunftsaufgaben beim klimagerechten Umbau von Energiesystem, Verkehr und Gebäuden. Das geht nicht alles über Kredit. Prioritäten müssen gesetzt werden. All diese Aufgaben zielgerichtet zu bewältigen, ist wichtiger und nützlicher als ein Handgeld aus der Gießkanne zum 18. Geburtstag.

Das DIW will das Geld zweckbestimmen: für Ausbildungsfinanzierung, für Wohneigentum, Selbstständigkeit, Unternehmensgründungen – oder für Weiterbildung und Einkommenseinbußen bei Arbeitslosigkeit, Krankheit sowie für Kinderbetreuung und Pflege. Das suggeriert, hier gehe es um eine gesellschaftlich sinnvolle Verwendung statt um eine private Ver(sch)wendung. Tatsächlich geht es aber vor allem um die Förderung von Privateigentum, „Eigenvorsorge“ und Eigenverantwortung. Es gibt hier mehr als nur Spuren neoliberaler Ideologie.

Für all die genannten Fragen gibt es bessere und billigere Instrumente. Die Reduzierung statistischer Ungleichheit ist kein Selbstzweck. Ein Grunderbe löst keine sozialen Probleme und reduziert weder übermäßigen privaten Reichtum noch die damit verbundene Macht. Chancenungleichheit entsteht nicht erst durch Erbschaften in der Lebensmitte. Sondern vielmehr durch berufliche Stellung, Bildungsniveau, Einkommen und Lebensweise, soziales Umfeld und die Orientierungen der Eltern. Einmalig 20.000 Euro bewirken hier wenig. Wichtiger sind ein gutes, kostenfreies, integriertes Ganztags-Bildungssystem und eine verbesserte Ausbildungsförderung für Kinder ärmerer Familien – als Zuschuss, nicht Kredit.

Für die Betreuung von Kindern, Alten und Behinderten bedarf es guter Einrichtungen und häuslicher Pflege sowie Einkommensersatz für pflegende Familienmitglieder. Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Alter müssen durch die gesetzliche Arbeitslosen- und Rentenversicherung besser abgesichert werden. Private Vorsorge erreicht die am wenigsten, die sie am nötigsten hätten. Daran würde auch ein Grunderbe nichts ändern.

Selbstständigkeit lässt sich auf anderem Wege besser fördern. Die Wohraumprobleme lassen sich nicht mit Eigentumsförderung lösen – schon gar nicht mit 20.000 Euro. Ursache der drastischen Schieflagen sind Niedriglöhne und übermäßige Einkommensungleichheit. Dem muss durch flächendeckend wirkende Tarifverträge sowie höhere Mindestlöhne begegnet werden, wozu es starker Gewerkschaften bedarf.

Aber lässt sich nicht mit dem Argument eines Grunderbes eine Vermögens- und höhere Erbschaftsbesteuerung der Superreichen leichter durchsetzen? Eher nicht. Es gilt das „Nonaffektationsprinzip“: Steuern werden nie zweckgebunden erhoben. Daher ließe sich eine solche Besteuerung nicht wirksam an ein Grunderbe koppeln.

Am Ende würde ein solcher Vorschlag die Multimillionäre und Unternehmenseigner nicht davon abbringen, ihre Lobby, ihre finanzielle und politische Macht gegen eine höhere Besteuerung einzusetzen. Es führt kein Weg daran vorbei: Wirksame Vermögensbesteuerung und Abbau von Ungleichheit muss man gegen diese Gruppen erkämpfen.

Info

Lesen Sie hier eine Gegenrede von Stefan Bach auf diesen Artikel.

Ralf Krämer arbeitet bei ver.di in der Abteilung für Wirtschaftspolitik

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