Wenn sich am Roten Teppich vor dem Berlinale-Palast die Blitzlichter zu Stroboskop-Effekten verdichteten, hatte das immer wieder auch mit Klaus Lemke zu tun. Der altgediente Haudegen des etwas anderen deutschen Kinos wurde mit seinen neuen Filmen regelmäßig vom Festival abgelehnt und nutzte es dann für seinen Protest gegen eine hoch subventionierte „Leinwand der Langeweile“. Flankiert von jungen fotogenen Stars hielt der bis ins Rentenalter produktive Regisseur selbst gemalte Schilder in die Kameras mit Slogans wie „Papas Staatskino ist tot“. Vergangenes Jahr ist Klaus Lemke gestorben und der Rote Teppich ist um eine Attraktion ärmer. Bleibt die Frage: Wie steht es nun um den deutschen unabhängigen Film, der jenseits staatlicher Förderu
Gegen die Leinwand der Langeweile: Gibt es ein unabhängiges deutsches Filmschaffen?
Indiekino Gibt es einen unabhängigen deutschen Film? Wie Filmemachen ohne Subventionen aussieht, lässt sich auf YouTube und der gerade gestarteten Berlinale herausfinden
Ralf Krämer
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Dart, Bier und Mutterliebe: Der Film „Heiko“ schaffte es auch ohne staatliche Förderung auf die Leinwand – zum Glück
Foto: UCM.one
erung existiert?Für Hannes Hirsch läuft es gerade gut. Sein Langfilmdebüt Drifter ist eine der wenigen Produktionen, die es 2023 ohne staatliche Mittel auf das begehrte Festival geschafft haben. Selbst in der Nachwuchssektion Perspektive Deutsches Kino ist das nur ein Film: Knochen und Namen, eine Regiearbeit von Schauspieler Fabian Stumm über die tragikomischen Bruchstellen einer langjährigen Beziehung.Berlin und seine ClubsDrifter hat es in die Berlinale-Sektion Panorama geschafft und ist ein Liebesfilm, der unter Männern spielt. Moritz, der 22 Jahre junge Held, wird gleich zu Beginn verlassen. Er beginnt eine Odyssee durch das sommerliche Berlin und seine Clubs, mit viel Sex und Drogen. Das klingt wie reines Klischee, ist aber genau, unprätentiös und unverschämt ehrlich. „Mir war es wichtig, zu erzählen, dass in der Szene oft sehr hart miteinander umgegangen wird,“ so Hirsch. „Ich kann Moritz’ Faszination für starke, muskulöse Männer nachvollziehen. Aber das kann auch schnell umschlagen, ins Machotum, bis hin zu faschistischen Zügen, wo dann Leute ausgeschlossen werden, die einem gewissen Ideal nicht entsprechen.“Der 1988 in Tübingen geborene Hirsch absolvierte die Filmarche, jene private Berliner Filmschule, die seit über 20 Jahren auf Selbstorganisation, erschwingliche Gebühren und viel Learning by Doing setzt. Nora Fingscheidt (Systemsprenger) studierte hier, ebenso die Brüder Jakob und Tom Lass (Frontalwatte, Blind & Hässlich).Spätestens hier stellt sich die Frage, was ein unabhängiger deutscher Film eigentlich ist. Denn auch die Lass-Brüder arbeiteten zum Beispiel mit der staatlichen Filmhochschule HFF und dem ZDF zusammen. Letzteres traf auch auf Klaus Lemke zu, der ohne seine jahrzehntelang treu gebliebene ZDF-Redaktion nicht Film auf Film hätte raushauen können. Unabhängig heißt vor allem, frei zu sein von inhaltlicher Einmischung jener Gremien, die über die Vergabe finanzieller Mittel entscheiden. Beileibe nicht immer, aber allzu oft werden dort persönlicher Geschmack und vermeintliches Wissen über die Bedürfnisse des Publikum zum Kriterium. Davon werden in der Branche viele Lieder gesungen.Auch Hirschs Produktionsfirma Milieufilm hat einen Antrag auf Postproduktionsförderung gestellt. Er wurde abgelehnt, denn gefördert würden „eher Projekte mit Themen, die gesellschaftlich schon akzeptiert sind, mit denen man nicht mehr wirklich aneckt“. Das System will Hirsch aber keinesfalls meiden. Im Gegenteil. Drifter stemmte er über drei Jahre, auch unterstützt von der Berliner Universität der Künste und der Deutschen Film und Fernsehakademie, beides staatliche Ausbildungsstätten. Hinzu kamen der engagierte Produzent Jost Hering, der Filmverleih Salzgeber und natürlich Unmengen unbezahlter Arbeitsstunden. „Ich könnte das in dem Maße nicht noch einmal machen“, bilanziert Hirsch und hofft, dass sein Film ihm beim nächsten Mal die Türen der Förderanstalten öffnet.Mit den Low-Budget-Methoden von Klaus Lemke, der lieber nur vier Stunden täglich drehte, damit er seinem Team kein teures Catering zur Verfügung stellen musste, kann der Jungregisseur nichts anfangen. „Ein gutes Catering ist das Minimum“, stellt er klar und fügt hinzu: „Bei vier Stunden am Tag kriegt man doch nichts hin.“ Zumindest nicht einen Film wie Drifter, dessen Gestaltung sich eher an der sogenannten Berliner Schule orientiert (deren Filme in diesem Jahr einmal mehr den Berlinale-Wettbewerb dominieren). Hirsch ist sich sicher: „Mit mehr Förderung wären manche Filme wohl weniger verkrampft. Aber in Deutschland geht es dann doch eher darum, dass Filme ihre Kosten wieder einspielen. Bei einem Museum oder bei der Oper fordert das niemand.“Absolut unverkrampftGemischte Erfahrungen mit dem Fördersystem hat Benjamin Teske hinter sich. 1983 in Aschaffenburg geboren, debütierte er nach einem Regiestudium an der Hamburg Media School mit Strawberry Bubblegums. Das absolut unverkrampfte Roadmovie über eine Vatersuche im Porno-Milieu wurde von vier Bundesländern und dem NDR finanziert. Ein Verleih wollte den Film ins Kino bringen. „Das wollte der NDR aber nicht“, berichtet Teske. „Es gab Redaktionen und Sender, die von dem Film irritiert waren. Für manche war er ‚nicht wirklich Kino‘, für die anderen kein Fernsehen.“Nun hat Teske Crème de la Crème vorgelegt, eine selbst finanzierte, charmant-witzige Serie über die Startschwierigkeiten der jungen, nicht auf den Mund gefallenen Schauspielerin Cora (Klara Lange). Gekauft wurde sie nicht. Netflix suchte zu dem Zeitpunkt nur „Crime und Krimi“. Einem öffentlich-rechtlichen Anbieter passte sie nicht ins Programm, weil „das Publikum nichts anfangen kann mit einer Serie, die eine Schauspielerin als Hauptfigur hat“. Ein Sender bot dann „sehr, sehr wenig Geld“, aber nur, „wenn wir es insgesamt zu 90 Minuten bringen. Sonst kann man das nicht in der Mediathek programmieren.“ Einen Vorschuss, um noch ein, zwei Folgen mehr drehen zu können, wollte man aber nicht zahlen. „Ich hatte die Schnauze voll“, schimpft Teske. Ende letzten Jahres stellte er die Serie auf Youtube. Dort kommt Crème de la Crème, so Teske, „sehr gut an. Das erfolgreichste Reel wurde auf Instagram aktuell knapp 1,2 Millionen Mal geklickt.“Im Internet begann auch eine der größten Erfolgsgeschichten des jüngeren deutschen Films: Heikos Welt basiert auf einer Figur aus dem Berliner Bezirk Wedding, die zunächst in einem Hip-Hop-Video auftauchte und dann in trashigen Kurzfilmen auf Youtube Kultstatus erreichte. Die wachsende Fangemeinde brachte in einer Crowdfunding-Aktion über 18.000 Euro zusammen, sodass Regisseur und Autor Dominik Galizia einen Kinofilm drehen konnte, rund um Heiko (Martin Rohde), seine Leidenschaften (Bier und Dart) und seine augenkranke Mutter. Galizia, 1988 in Trier geboren, hatte zuvor bereits seinen Film Figaros Wölfe frei produziert. Immer war er auch bei den Filmförderungen vorstellig geworden. „Allerdings wurde mir da relativ schnell klar, dass ich mit meinen Drehbüchern keine großen Chancen hätte“, berichtet er per E-Mail. „Da ich nicht zu viel Zeit mit Deadlines und Gesprächen vergeuden wollte, haben wir Heikos Welt in sehr kurzer Zeit aus eigener Kraft umgesetzt.“Es ist vielleicht kein Zufall, dass der anschließende Siegeszug in München begann, wo Klaus Lemke lebte und zum festen Inventar des Münchner Filmfests gehörte. Eben dort wurde auch Heikos Welt gezeigt, bejubelt und ausgezeichnet. Inzwischen hat der Film über 25.000 ZuschauerInnen ins Kino gelockt und ist auf der Longlist des Deutschen Filmpreises gelandet. In den letzten zehn Jahren gelang Ähnliches nur Nico von Eline Gehring, deren Kollaborateurin Sara Fazilat 2022 als beste Darstellerin nominiert worden war.Auf die Frage, ob er weiter unabhängig Filme machen möchte, antwortet Galizia salomonisch: „Ich werde in Zukunft ausschließlich unabhängige Filme drehen, und ja, staatliche Förderung kommt definitiv infrage.“ Der Dokumentarfilm Neues von Zuhause ist bereits fertig, das nächste Spielfilm-Projekt liegt mehreren Förderanstalten vor. Auch Benjamin Teske arbeitet an einem neuen Stoff, gemeinsam mit der Hamburger Firma Wüste Film. Es geht um Vampire. „Das soll ein größeres Projekt werden und lässt sich nur mit Sendern und Förderern umsetzen.“ Teske ist zuversichtlich: „Wir haben zwei ganz, ganz tolle Redakteurinnen dabei.“ Aber ein kleineres Projekt anders zu finanzieren, kann er sich weiter vorstellen: „Ich mag Independent, ich mag es Rock ’n’ Roll und ich mag crazy Projekte.“ Da klingt die junge Generation dann doch noch einmal ganz nach Klaus Lemke.