Eigentlich eine Sensation

Interview Barack Obama hat seine Bereitschaft erklärt, mit „moderaten Taliban“ in Afghanistan zu verhandeln. Er muss es tun, sagt Afghanistan-Kenner Peter Scholl-Latour

Der Freitag: Ist die Konzessionsbereitschaft des US-Präsidenten in Sachen Afghanistan ein Eingeständnis militärischer Fehlentwicklungen im Krieg gegen den Terror?
Peter Scholl-Latour: Obama hat ja noch etwas ganz anderes gesagt, nämlich dass der Krieg in Afghanistan nicht gewonnen werden kann. Bei dieser Aussage handelt es sich um die eigentliche Sensation – wenn Sie wollen auch um das Eingeständnis einer militärischen Fehlentwicklung. Man sollte endlich zur Kenntnis nehmen, ein asymmetrischer Krieg kann mit einer konventionellen Kriegsstrategie, unabhängig vom Grad der militärischen und technologischen Überlegenheit, nicht gewonnen werden. Nicht nur in Afghanistan wird dieses deutlich. Auch die Israelis im Südlibanon haben bei dem Feldzug gegen die Hisbollah im Jahr 2006 keinen Sieg errungen.

Sie selbst haben ja schon seit Beginn der Operation „Enduring Freedom“ vor den Risiken eines Krieges in Afghanistans gewarnt. Fühlen Sie sich nachträglich bestätigt?
Es war ja wahrlich nicht das erste Mal, dass ich mich mit meiner Meinung in Opposition zu fast allen Vertretern der medialen Öffentlichkeit stand, um anschließend von der Entwicklung bestätigt zu werden. Mir wäre es manchmal auch lieber, meine Prognosen würden nicht eintreffen.

Könnten Sie das präzisieren?
Spätestens seit dem Jahr 2003 liegen in Berlin Berichte der deutschen Kommandeure und des Bundesnachrichtendienstes vor, die vor einer fatalen Entwicklung warnen. Im Süden Afghanistans, wo Briten und Kanadier sich in ihren Festungen einbunkern, wird die zunehmende Aggressivität der Taliban nur durch massiven Einsatz der US-Luftwaffe mühsam in Schach gehalten. Diese Flächenbombardements verursachen jedoch Verluste unter der Zivilbevölkerung, die wiederum die Pflicht zur Blutrache der dortigen Stammeskrieger zusätzlich motivieren. Über den unzugänglichen Osten Afghanistans, über Nuristan, haben die US-Special Forces, die dort den Mudschahidin von Gulbuddin Hekmatyar gegenüberstehen, ohnehin die Kontrolle verloren.

Dem erwähnten Hekmatyar kennen Sie persönlich, aus der Zeit des sowjetischen Krieges in Afghanistan.
Richtig. Man sollte in diesem Zusammenhang daran erinnern, der sowjetische Rückzug aus Afghanistan liegt – fast auf den Tag genau – 20 Jahre zurück. Noch heute sind die ausgebrannten Tanks der Roten Armee im Norden des Landes nicht zu übersehen, als eine Art Mahnmal für die Vergänglichkeit von Imperien.

Wie stellt sich die militärische Ausgangslage im Norden Afghanistans dar, also im Befehlsbereich der Bundeswehr?
Dort ist die Lage vergleichsweise ruhig, aber nicht mehr stabil. Der Hauptunterschied in der Region besteht darin, dass hier Tadschiken leben, die gegen die überwiegend aus dem Volk der Paschtunen kommenden Taliban bis zum Eingreifen der Amerikaner 2001 heftigen und verzweifelten Widerstand geleistet haben und sich in der Nordallianz dem Unternehmen "Enduring Freedom" angeschlossen haben. Aktuell werden jedoch diese kampferprobten Verbündeten des Westens aus den einflussreichen Posten, die ihnen Präsident Karzai ursprünglich eingeräumt hatte, durch paschtunische Warlords, gekaufte Taliban, Drogenbosse und anderer Elemente verdrängt. Daher kann es auch im Norden jederzeit zum großen Aufstand kommen. Dann wäre die isolierte Garnison Faizabad zur Kapitulation gezwungen, und die in Kundus und Maza-e-Scharif stationierten Kräfte müssten sich zur tadschikischen Grenze durchschlagen. Mit der unverantwortlichen Schönfärberei muss endlich Schluss gemacht werden.

Also begrüßen Sie die Initiative von Barack Obama?
Es bleibt dem US-Präsidenten gar nichts anderes übrig. Wobei die fatale Verlagerung vom Irak nach Afghanistan, für die sich Obama ausspricht, gewisse Risiken beinhaltet. Sollte es zu bewaffneten Übergriffen auf die tribal areas in Nord-Pakistan kommen, wäre die fragile Islamische Republik endgültig in diesen Konflikt einbezogen, ein unkontrollierbarer, turbulenter Staat von mehr als 170 Millionen Einwohnern, der zudem noch über Kernwaffen verfügt.

Das Gespräch führte Ramon Schack

Für den Publizisten und Buchautor Peter Scholl-Latour (85) waren - abgesehen von Indochina - die Themen Islam, Naher Osten und Mittelasien immer Schwerpunkte seiner journalistischen Arbeit. Zu diesen Weltregionen erschienen Bücher von ihm, unter anderem Das Schlachtfeld der Zukunft Zwischen Kaukasus und Pamir (Berlin 1996) sowie
Kampf dem Terror Kampf dem Islam? Chronik eines unbegrenzten Krieges. (München 2002)

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