Bier schlägt Psychotherapie

Gesundheit Einer der mächtigsten Männer im Gesundheitswesen sagt, ein Bier sei manchmal besser als eine Therapie. Psychologen greifen ihn dafür an. Dabei hat er Recht!

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Ein Bier ist manchmal besser als eine Therapie, sagte Josef Hecken. Er sagt das als einer der mächtigsten Männer im Gesundheitswesen. Hecken ist der Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA). Für seinen Spruch kritisieren ihn nun Psychotherapeuten, in Zeitungen stehen skeptische Artikel und sogar die Titanic macht sich über ihn lustig. Um die volle Affäre nachzulesen, einfach mal Hecken und Bier googeln.

Um zu verstehen, warum sie auf Hecken schimpfen, wenn er das sagt und es keinen interessiert, wenn etwa ich das behaupte, muss man wissen, was der GBA ist. Zusammengefasst entscheiden im GBA ein paar mehr oder weniger schlaue Köpfe, was die Krankenkassen alles bezahlen. Einen Bypass bei einem Herzinfarkt: Ja! Eine Brille, bei Kurzsichtigkeit: Nein! Wie in der römischen Arena. Daumen hoch oder runter.

Der oberste Daumendreher ist Hecken. Der sagte auf einer Sitzung des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen, man benötige nicht für jeden Bürger einen Psychotherapeuten, eine Flasche Bier tue es manchmal auch. Also Daumen runter für mehr Psychotherapeuten. Die regen sich jetzt natürlich auf. Verfassen einen Protestbrief in dem es heißt: "Sie bagatellisieren und ignorieren mit Ihrer Bierflaschen-Metapher die Not unserer Patienten und stigmatisieren subtil Menschen mit schweren psychischen Störungen." Auch andere Experten greifen Hecken an.

Wenn aber Akteure im Gesundheitswesen die Patientenkeule ziehen und in diesem Fall von deren Not sprechen, dann lohnt es sich, genau hinzuschauen. Denn oft schieben sie diese nur vor, um ihre eigenen Rechte zu schützen. Also die Not ihrer Brieftasche zu verteidigen.

Kommen wir aber erst einmal zurück auf die Bierflasche. Klar, die Deutschen saufen zu viel. 12,8 Liter reinen Alkohols sind es laut der WHO im Jahr. Mehr als 70 000 sterben daran im Jahr. Aber wer glaubt, Hecken wollte das bagatellisieren, der irrt. Er hat nicht gesagt: „Gegen eine Depression hilft ne Flasche Schnaps!“ Er sprach von einer Flasche Bier. Meinetwegen könnte er auch von zwei sprechen. Es geht ihm, so interpretiere ich seine Aussage, um ein anderes Problem: die Pathologisierung der Gesellschaft.

Also darum, dass stetig neue Krankheiten geschaffen werden. Ich gestern also noch traurig war und heute eine depressive Verstimmung habe. Mein Wohlstandsbauch wandelt sich zum potenziellen Killer, der für Herzinfarkt, Diabetes und Rückenprobleme steht. Ich bin nicht müde, ich habe eine Schilddrüsenunterfunktion. Spannend ist, dass ich den Anfang dieses Absatzes im passiv schreiben musste. Ich mag das passiv nicht, aber es ist schwer, einen Akteur bei diesem Phänomen zu erkennen. Wer schafft diese Krankheiten?

Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien. An graue Männer, die in Hinterzimmern neue Krankheiten erfinden, um den Illuminaten Geld in die Taschen zu spielen. Ich glaube aber an kaputte Systeme. Wie etwa das Gesundheitswesen. Daran, dass dort zum einen Menschen nach Ruhm suchen. Junge Doktoranden die ein Thema suchen; forschen wollen und müssen und am Ende gerne eine neue Entdeckung hätten. Pharmafirmen, die neue Medikamente entwickeln wollen und dafür gerne helfen, Krankheiten zu finden. Und auch Psychotherapeuten, die Kunden brauchen. Denn auch sie haben studiert, viel Geld für Zusatzausbildungen ausgegeben und brauchen jetzt Kunden. Also Menschen, die sich von ihnen beraten lassen, statt mit einem Kumpel ein Bier zu trinken. Ersteres kostet etwa 50 Euro die Stunde. Das Bier ist für 2,50 Euro zu haben. Zur Pathologisierung hier auch ein spannendes Interview mit dem Psychologen Allen Frances.

Hecken hat also recht, seinen Daumen bei neuen Psychotherapien zu senken und für ein Bier zu heben. Psychotherapeuten dürfen ihn gerne dafür kritisieren. Sie sollten dabei aber die Patienten aus dem Spiel lassen, denn sie agieren in ihrem eigenen Interesse. Spannend wäre jetzt nur noch zu wissen, ob in Zukunft die Krankenkasse meine Kneipenrechnung zahlt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Rasmus Cloes - Gesunde Skepsis

Jeden Tag erwacht ein neuer Prophet und erzählt, was gesunden lässt: Morgensex, Kaffee oder Prozac. Ich prüfe ihre Steintafeln.

Rasmus Cloes - Gesunde Skepsis

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